Liedermacher Linard Bardill erzählt über seinen handgreiflichen Erziehungsstil und wie er den Weg aus dieser «Misere» schaffte.
wir eltern: Linard Bardill, Sie haben Ihren Sohn über Jahre geschlagen und das öffentlich eingestanden. Warum?
Linard Bardill: Weil ich heute überzeugt bin, dass jede Form von körperlichem Übergriff nichts bringt, sondern im Gegenteil schadet.
Wie alt war Ihr Kind, als Sie zum ersten Mal grob geworden sind?
Es fing früh an, vielleicht mit ein bis zwei Jahren. Man schlägt da nicht zu, gibt mal einen Klaps auf den Hintern, zieht am Ohr, kneift mal.
In welchen Situationen?
Wenn ich an meine Grenze kam, nicht weiter wusste oder er an die von mir gesteckten Grenzen stiess. Wenn das Kind einen so herausfordert, dass man kreativ werden müsste, anstatt zu schlagen; dass man Tugenden wie Geduld, Präsenz oder Hinwendung erlernen müsste, anstatt einfach Dampf abzulassen.
Wie haben Sie zugelangt?
Mit Ohrfeigen, Popoklatschen, Kneifen. Das waren nie brutale Schlägereien, aber trotzdem körperliche Übergriffe.
Fanden Sie das okay?
Ja, ich habe mein Verhalten gegen aussen und vor allem gegen innen, gegen meine innere Stimme, verteidigt.
Was fühlten Sie danach?
Eine kleine Erleichterung. Dann verdrängte ich.
Wie hat sich Ihr Sohn dabei gefühlt?
Das weiss ich nicht so genau. Er hat geweint oder geschmollt.
Haben Sie Ihren Sohn geliebt?
Natürlich habe ich ihn geliebt. Man kann lieben und schlagen. Ja, oft geht das sogar Hand in Hand. Man versöhnt sich dann wieder und ist eine Zeit um so enger und inniger zusammen. Dumm dabei ist nur, dass im Kind ein Muster etabliert wird, das bedeutet: Wenn man geschlagen wird, wird man dafür später umso mehr geliebt.
Hat Ihre Frau interveniert?
Meine erste Frau, also die Mutter des Kindes, war immer der Meinung, dass es falsch ist zu schlagen. Wir haben viel darüber gesprochen.
Wann haben Sie aufgehört?
Als er zehn wurde. Ich weiss noch genau, wo und wann.
Wo und wann?
Er trat in eine Pfütze, machte die neuen Schuhe nass. Provokation! Da gab ich ihm einen Stoss. Er schaute mich an. In seinen Augen war Hass. Da erinnerte ich mich, dass auch ich von meinem Vater geschlagen worden bin und ich ihn dafür gehasst habe. Mir wurde klar: Das kann es nicht sein!
Wie haben Sie es geschafft aufzuhören?
Ich habe Distanz geschaffen. Bin einmal ums Haus gelaufen. Habe das Kind weggeschickt. Jemanden um Unterstützung gebeten: «Du, ich komme da nicht weiter, kannst du mal den Rabauken übernehmen?» Da fällt einem kein Stein aus der Krone.
Und heute, wie gehen Sie mit Ihren Kindern um, wenn es Konflikte gibt?
Ich bin nicht so der Typ, der Kinder zutextet. Mir fällt das eher schwer. Ich versuche, im Idealfall, möglichst konsequent zu handeln, da zu sein, das Kind ernst zu nehmen, es zu berühren, und wenn ich etwas von ihm will, ihm in die Augen zu sehen. Ich überlege mir gut, was ich verlange. Es soll möglichst wenig sein. Dafür klar und ohne Ausnahme. Ich kann auch mal brüllen oder die Augen aufreissen. Ich zeige meine Emotionen, bin sauer oder traurig oder hässig. Ich will kein erziehendes Neutrum sein. Ich möchte den Kindern ein Gegenüber sein, das auf sie eingeht. In Gestik und Wort. Mit Liedern und Tanz, mit Wut und Zärtlichkeit. Ohne psychisch Druck aufzusetzen. Mit möglichst wenig Erpressung. Und ich schlage nicht.
Sie haben nie mehr geschlagen?
Vielleicht gab es noch ein, zwei Ausrutscher. Aber grosso modo bin ich auf mich stolz. Worauf ich auch stolz bin, ist die Tatsache, dass ich unsere Esel auch nicht mehr schlage. Früher dachte ich, Esel brauchen das ab und zu. Heute weiss ich, dass das genauso falsch ist wie bei Kindern.
War es ein langer Weg?
Er dauert an.
Ist Ihr Beruf eine Konsequenz aus den Erfahrungen in dieser Zeit?
Alles wächst aus allem und alles steht für sich.
Linard Bardill (Geb. 1956), Liedermacher und Buchautor, wohnt in Scharans GR, ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.