Wochenbett
Flitterwochen mit Baby
Keine Frage, es gibt Frauen, die sich von der Geburt so gut und flott erholen, dass sie sich schon wenige Stunden danach wieder fit fühlen. Ob sie so schnell wieder einsatzbereit sein wollen wie die französische Justizministerin Rachida Dati, die fünf Tage nach dem Kaiserschnitt im schwarzen Kostüm und Stöckelschuhen an einer Kabinettssitzung erschien, muss jede Frau selbst entscheiden. Einiges spricht jedoch dafür, dass es sich lohnt, das neue Leben mit Kind aus der Ruheperspektive anzugehen. Ganz besonders wenn man nicht wie Dati über Personal verfügt, das einem Windelberge und andere alltägliche Herausforderungen fleissig aus dem Weg räumt.
Doch das Wochenbett, zumindest das klinische, wird immer kürzer. Liessen sich die Mütter vor 30 und mehr Jahren noch zehn, nach einem Kaiserschnitt sogar fünfzehn Tage nach der Geburt im Spital verwöhnen und mit der Babypflege vertraut machen, entlässt man die Frauen heute spätestens nach fünf, bei einer Sectio nach sechs Tagen – sofern keine Komplikationen auftreten. Ab 2012, mit der Einführung der Fallpauschale in der Geburtsmedizin, wird man die Wöchnerinnen bereits nach drei bis fünf Tagen nach Hause schicken. Grund: der Kostendruck. Das Spital wird nicht mehr die individuellen Aufwendungen für Geburt und Wochenbett verrechnen können, sondern erhält pro Fall eine durchschnittliche Pauschale. Hektik, Leistungs- und Kostendruck vom ersten Tag des Lebens an.
Das Wochenbett – darf man es überhaupt noch so schrecklich altbacken nennen? Hat es vielleicht seines altertümlichen Begriffs wegen in den letzten Jahren zunehmend an Attraktivität verloren? Egal, ob wir es in Babyflitterwochen oder nachgeburtliche Regenerationszeit umtaufen, ob wir es im Spital oder zu Hause verbringen, das Wochenbett hat seinen Sinn und seine Berechtigung. In den ersten sieben bis zehn Tagen, im sogenannten Frühwochenbett, erholen sich Mutter und Kind von den Geburtsstrapazen, Geburtswunden heilen, der Hormonspiegel verändert sich, die Milchbildung setzt ein, das Kind lernt von der Brust oder der Flasche zu trinken, der Nabel heilt ab. Alles herausfordernde und neue Erfahrungen, bei denen die junge Mutter froh ist um Unterstützung und Rat von einer Hebamme, einer speziell geschulten Pflegefachfrau oder einer erfahrenen Mutter. Wie das für unsere ins weibliche Umfeld eingebetteten Ahninnen ganz selbstverständlich war. Im Spätwochenbett bildet sich die Gebärmutter vollständig zurück, die Hormone normalisieren sich, die Eltern stellen sich auf den Schlaf-Wach-Rhythmus des Babys ein. Können sich viele Mütter und Väter in den ersten Tagen kaum satt sehen an diesem unschuldigen und zarten Wesen, spüren sie die Bindung und die Verantwortung für dieses hilfsbedürftige Geschöpf nun immer klarer, was gerade in unserer individualisierten Gesellschaft eine grosse Umstellung und Herausforderung bedeutet.
«Das Wochenbett ist eine sensible, wichtige und manchmal schwierige Phase», sagt Franziska Maurer, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Chefärztin der Frauenklinik am Bürgerspital Solothurn. «Paare, die das erste Kind erwarten, konzentrieren sich vor allem auf die Geburt und weniger aufs Organisieren von Entlastung im Wochenbett, weil sie sich den Alltag mit dem Kind gar nicht vorstellen können.» So sind denn viele Frauen im Wochenbett sehr allein und auf sich selbst gestellt, wie Franziska Maurer und die Hebamme Hanni Bürki unabhängig voneinander feststellen. Vaterschaftsurlaub gibts kaum, das familiäre Umfeld fehlt. Doch die Erfahrung zeigt: Erhält die Frau genügend Erholungszeit, Hilfe und Unterstützung, kommt sie schneller wieder zu Kräften, kann besser auf die Bedürfnisse des Neugeborenen eingehen und startet mit einem soliden Fundament ins turbulente Familienleben. «Etwa 14 Tage lang sollte sich die Wöchnerin nicht um Haushalt und ältere Kinder kümmern müssen», sagt Hanni Bürki, Hebamme mit über 30 Jahren Erfahrung im Wochenbett. Mutet sie sich nämlich zu viel zu, sind Schwierigkeiten vorprogrammiert. Bürki: «Die Milch geht zurück, die Naht beginnt zu schmerzen, die Nerven liegen am Boden.» Maurer und Bürki wünschen sich deshalb, dass das Wochenbett wieder die Bedeutung erlangt, die es verdient. «Unsere Gesellschaft sollte der Frau die nötige Wertschätzung und Ruhe geben, um sich nach der Geburt zu erholen und sich mit ihrer neuen Aufgabe vertraut zu machen», so Franziska Maurer.
Tipps für die ersten Tage und Wochen:
Hebammenbetreuung
Viele Frauen wissen es nicht oder erfahren es zu spät: Nach dem Spitalaufenthalt hat die junge Mutter Anrecht auf eine bestimmte Anzahl Hausbesuche einer Hebamme. Es lohnt sich, frühzeitig, also mindestens einen Monat vor der Geburt Kontakt mit einer freiberuflichen Hebamme aufzunehmen, sonst findet sich unter Umständen niemand mehr in der Region. Auch Stillberatungen werden übrigens von der Krankenkasse übernommen.
www.hebammen.ch
Nähe und Kennenlernen
Gerade in den ersten Tagen und Wochen geniesst es das Baby, wenn es nach dem Baden nackt auf dem Oberkörper von Mutter oder Vater liegen darf, zugedeckt mit einer warmen Decke. Auch für die Eltern sind dies ganz besondere Momente der Nähe. Neugeborene fühlen sich besonders geborgen, wenn sie gehalten und getragen werden, möglichst oft in körperlicher Verbindung sind mit einem Menschen.
Sind die Eltern dem Kind nah und nehmen sie sich genügend Zeit, verstehen sie bald schon die Sprache, mit der es seine Bedürfnisse ausdrückt. Sie können seine Mimik, seine Gestik, seine Geräusche und sein Weinen immer besser deuten.
Ernährung
Kurz nach der Geburt wird das Neugeborene das erste Mal gestillt. Eine erfahrene Hebamme, Stillberaterin oder Mutter ist in den ersten Tagen Gold wert und auch später, wenn Probleme auftauchen. Am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt füllen sich die Brüste der Mutter, die Milch schiesst richtiggehend ein – eine heikle Phase für die stillende Frau. Jetzt sollte Quark im Kühlschrank keinesfalls fehlen, ein Wickel lindert zuverlässig allfällige Milchstaus. Sollte es trotz Unterstützung nicht klappen mit dem Stillen oder fühlt sich die Frau unwohl dabei, ist das kein Unglück, findet Hebamme Hanni Bürki, die von sich sagt, sie sei mit dem Alter toleranter und offen für alles geworden: «Wenn ich diesen Müttern sage, dass ihr Kind auch mit Pulvermilch gross wird, beruhigt sie das sehr.»
Massage
In Indien werden Frauen nach der Geburt während mehreren Wochen täglich massiert. Eine tolle Sache, die, vielleicht in leicht reduziertem Ausmass, unbedingt bei uns zur Routine werden sollte. Stress und Anspannung, die sich während Schwangerschaft und Geburt aufgestaut haben, werden ausmassiert. Die Logik dahinter ist einfach: Geht es der Mutter gut, profitiert das Baby und die ganze Familie davon. Und wenn wir schon dabei sind: Selbstverständlich geniesst auch (fast) jedes Baby regelmässiges Massieren. Die meisten Hebammen haben Grundkenntnisse in Babymassage. Es werden auch Kurse angeboten.
Paparituale
Manche Väter fühlen sich nicht sofort verbunden mit dem fremden Winzling, der eben dem Bauch ihrer Partnerin entschlüpft ist. Doch bereits in den ersten Tagen und Wochen kann der Vater, falls er nicht zur raren Spezies des Hausmanns gehört, seine Beziehung zum Kind festigen. Toll für die ganze Familie ist, wenn Papa nach der Arbeit Sohn oder Tochter in eine Traghilfe packt oder in den Kinderwagen legt und eine Runde durch den Park oder das Quartier marschiert. Das befreit seinen Kopf vom Alltag, die Mutter geniesst ein paar babyfreie Minuten und das Kind wird durch die Bewegung an der frischen Luft wunderbar ruhig.
Einordnen, akzeptieren
Keine Frau vergisst ihre Geburten. Ob rasant oder erschöpfend lange, traumatisch oder ekstatisch, enttäuschend oder erfüllend – jede Geburt ist absolut einzigartig. In den ersten Tagen und Wochen ist es für die meisten Frauen ein Bedürfnis, das Erlebnis dieser Grenzerfahrung Familienangehörigen und Freunden zu erzählen. Dadurch wird das Vergangene verarbeitet und verdaut. Wer merkt, dass Traurigkeit, Schmerz, Wut oder Schuldgefühle zurückbleiben, kann sich an eine Fachperson für Geburtsverarbeitung wenden.
www.geburtsverarbeitung.ch
Anna Brunner (38) lebt mit ihrer Familie in Zürich und widmet sich hauptberuflich dem Amar Quartett.
«Lilia ist mein viertes Kind. Sie ist am 27. Juli auf die Welt gekommen. Weil mein Mann noch bis zum 2. August frei hatte, war ich schon nach zwei Tagen wieder zu Hause, um diese kostbare erste Zeit mit ihm zu teilen. Das ging, weil ich eine gute Geburt hatte, ohne Medikamente oder PDA; ich spüre gern, was in meinem Körper vorgeht und bin nicht besonders schmerzempfindlich. Nach der Geburt bin ich aufgestanden und habe mich besser gefühlt als vorher. Bei meinem ersten Kind blieb ich allerdings eine Woche lang im Spital, beim zweiten Kind wegen einer Schwangerschaftsvergiftung und grossem Blutverlust sogar zwei. Beim dritten Kind ging glücklicherweise alles gut und ich genoss es, mich im Spital verwöhnen zu lassen, doch nach drei Tagen hatte ich genug von der Spitalatmosphäre.
Beim vierten Kind ist man natürlich um einiges gelassener als beim ersten und bricht nicht gleich in Panik aus, wenn es brüllt. Das Wochenbett Zuhause verlief viel friedlicher und ruhiger als die vorherigen Male im Spital. Weil meine beiden älteren Kinder in den Ferien waren und mein Mann nun auch wieder bis spät abends arbeiten musste, war ich viel allein. Ein paar Mal brachten Freundinnen und eine Nachbarin einen Znacht vorbei, sonst hatte ich wenig Besuch, es war Ferienzeit. Die hormonelle Umstellung setzte mir etwas zu, ich fühlte mich dünnhäutiger als sonst; die Hilfe und Gesellschaft einer Grossfamilie wären dieser Situation gewiss hilfreich gewesen.
Besonders gut taten die Besuche der Hebamme – eine ideale Einrichtung. Daneben versuchte ich bewusst, mich zu schonen. Normalerweise bin ich jemand, der alles sofort erledigen will ; jetzt liess ich vieles liegen, machte nur das Wichtigste. Zwei Wochen nach der Geburt musste ich bereits wieder an ein Konzert. Ich bin selbstständige Geigerin und der Auftritt war bereits vor zwei Jahren vereinbart worden, ich konnte also nicht absagen. Nicht weiter erstaunlich, dass ich am nächsten Tag einen Milchstau mit hohem Fieber hatte. Doch dank Tricks und Tipps wie Quarkwickeln ging es mir schnell wieder gut. Gerne würde ich drei Monate lang beruflich pausieren, aber in diesem Leben ist mir das nicht möglich, ich bin an Verträge gebunden. Anderseits lässt sich mein Beruf bestens mit der Familie vereinbaren.»