Albträume
Mein Kind hat nachts Albträume, was kann ich tun?
Besonders im frühen Schulalter träumen viele Kinder schlecht. Manche sogar so schlecht, dass sie vor lauter Angst kaum mehr ins Bett wollen. Was gegen die Ungeheuer unterm Bett hilft.
In der Nacht kommt die fiese Krake mit ihren langen Armen. Sie umschlingt Alba, zieht sie immer weiter runter an den Grund des Wassers, bis Alba nicht mehr atmen kann. Alba erwacht, hat Angst und kann lange nicht mehr einschlafen. Schon gar nicht ohne Mama oder Papa.
Immer wieder schleicht sich die Krake in ihre Träume. Alba wird schon nur mulmig, wenn es draussen dämmert. Zeit fürs Zubettgehen, Zeit für den Gruselfilm, den sie nicht will. Alba ist ein Bärenmädchen aus dem dieses Jahr erschienenen Buch «Albträume austricksen». Der Psychologe und Psychotherapeut Janos Frisch und die Illustratorin Jeannine Wolf wollen mit ihrem Mitmachbuch Kinder und Eltern dazu motivieren, etwas gegen Albträume zu unternehmen. Denn wie Alba leiden viele Kinder im echten Leben unter schlechten Träumen, die einen mehr, die anderen weniger. Für die Familie sind regelmässige Albträume der Kinder dennoch herausfordernd. Kinder erleben diese Träume sehr intensiv und sind nach dem Aufwachen verwirrt. Wacht das Kind verängstigt oder gar weinend auf, sollte es unbedingt getröstet und beruhigt werden. Nicht alleine weiterschlafen zu müssen, hilft meist sehr. Auch kann es hilfreich sein, am nächsten Tag darüber zu sprechen und Anteil zu nehmen. Natürlich nur, wenn das Kind dies auch möchte.
Bedeutet der Traum etwas?
Albträume könnten für Eltern ein Auslöser dafür sein, sich zu fragen, was im Leben des Kindes gerade los ist. Dabei geht es nicht darum, den einzig wahren Grund für Albträume zu finden. Den gibt es sehr oft nicht. Stattdessen macht man sich ein Bild über die Situation des Kindes. Könnte es unsicher sein? Gestresst? Das Buch listet Albtraumtypen und mögliche emotionale Ursachen auf. Träume das Kind wiederholt, es sei verletzt, so sei es vielleicht sozial erniedrigt worden und dadurch emotional gekränkt. Denn wenn sich abends die Augen schliessen, verarbeitet das Gehirn, was tagsüber geschehen ist und denkt sich Geschichten aus. «Wir haben auch im Traum Gefühle wie Freude, Überraschung und Ärger», schreiben die Autoren. Mal sei der Traum schön, mal bedrohlich. Es sei normal und in Ordnung, solche Träume zu haben.
Das sagt auch Bigna Bölsterli, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Neuropädiaterin und Leiterin der Schlafsprechstunde am Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen: «Alle schlafen mal schlecht, alle haben Phasen mit Albträumen. Das gehört zur normalen Entwicklung.»
Bigna Bölsterli, Leiterin der Schlafsprechstunde am Ostschweizer Kinderspital
Je nach Umfrage gaben 30 bis 44 Prozent der Kinder an, schonmal einen Albtraum gehabt zu haben. Studien zeigen, dass Mädchen häufiger betroffen sind als Buben. Besonders oft treten Albträume bei Kindern im Vorschulalter und frühen Schulalter auf. Das magische Denken sei in diesem Alter sehr ausgeprägt, sagt Bölsterli. Hexe, Tiger, Dinosaurier, echt oder fantasievoll ausgedacht? «Realität und Fantasie verschwimmen noch. Das begünstigt wilde Träume. Die Angst fühlt sich für die Kinder sehr real an und vergeht mit dem Erwachen nicht sofort», erklärt Bölsterli.
Albträume treten meist in der zweiten Nachthälfte auf. Zu Beginn der Nacht falle man in den Tiefschlaf, in den sogenannten Non-REMSchlaf. An diese Träume kann man sicht nicht erinnern. «Dann tauchen wir auf und kommen in den REM-Schlaf», erklärt Bölsterli. Typisch für diese Schlafphase sind die raschen Augenbewegungen. «Als würden wir herumschauen.» Auch die Hirnaktivitäten ähneln in REM-Phasen laut Bölsterli jenen im Wachzustand. In dieser Phase kann es zu intensiven Träumen kommen, an die man sich auch gut erinnern kann, vor allem dann, wenn man davon aufschrickt.
Albträume durch Filme und Games?
Was löst Albträume aus? Diese Frage sei eher philosophischer Natur. Ähnlich wie die Frage: Woher kommen unsere Gedanken? «Albträume entstehen in unserem Gehirn und da haben wir noch zu wenig Durchblick», sagt Neuropädiaterin Bölsterli. Wichtig: «Wenn ein Kind Albträume hat, bedeutet das nicht sofort, dass es ihm schlecht geht oder etwas Dramatisches vorgefallen ist.»
Viele Eltern befürchten, dass nicht altersgemässer Medienkonsum mit Albträumen zusammenhängt. «Furchtauslösende Erlebnisse, dazu kann auch ein Gruselfilm gehören, können in Träume eingebaut werden. Insbesondere die entsprechende Emotion», bestätigt die Schlafexpertin. Sei der Medienkonsum nicht altersentsprechend, könne das Kind die Inhalte nicht einordnen und verängstigt reagieren. «Das kann zu Albträumen führen, oft ganz unmittelbar. Sie können sich auch wiederholen.»
Albtraum oder Nachtschreck?
Wenn ein Kind nach etwa zwei Stunden heftig weinend erwacht und vielleicht angstvoll um sich schlägt, handelt es sich gemäss Bölsterli in der Regel aber nicht um einen Albtraum, sondern um einen Nachtschreck. Eltern verwechseln dies häufig. «Der Albtraum gehört in die zweite Nachthälfte.» Anders als beim Albtraum sind die Kinder beim Nachtschreck nicht ansprechbar und lassen sich nicht beruhigen. Sie seien nicht richtig wach und könnten sich auch nicht klar erinnern, sagt die Expertin. «Nach einem Albtraum aber sind Mädchen und Buben wach und das Gefühl der Angst ist noch da. Man kann mit ihnen reden und sie trösten.» Beim Nachtschreck ist es hingegen besser, das Kind nicht zu wecken, weil es sich sonst beim Aufwachen ängstigen würde.
Ab und zu ein Albtraum zu haben, ist also ganz normal. Doch ab wann muss man sich Sorgen machen? Zweimal pro Woche? Zweimal pro Monat? Laut Bölsterli lässt sich das nicht an Zahlen festmachen. «Es kommt darauf an, wie sehr die bösen Träume das Kind im Alltag belasten und welchen Einfluss sie auf seine Leistungsfähigkeit tagsüber haben. Wird das Einschlafen deswegen über längere Zeit schwierig, besteht ebenfalls Handlungsbedarf.»
In solchen Fällen empfiehlt die Neuropädiaterin das Gleiche wie Füchsin Flora dem Bärenmädchen Alba. Ein gutes Traumende aufschreiben oder malen und sich vor dem Einschlafen noch einmal daran erinnern. Und auch, dass Erwachsene die kindliche Angst vor Monstern unter dem Bett ernst nehmen. Es bringt nichts, zu sagen, dass es keine Monster gibt. Besser vergewissert man sich gemeinsam, dass unter dem Bett tatsächlich nichts lauert und überlegt, wie das Kind im Traum gegen Ungeheuer ankommen könnte.
Dem Albtraum ein besseres Ende geben
Füchsin Flora empfiehlt Alba, vor dem Einschlafen an etwas Schönes zu denken. Noch besser: Das Drehbuch des Gruselfilms abändern und ihm ein Ende geben, das gut ausgeht. Eltern können mit ihren Kindern zusammen ein Happy End ausdenken. Ein Fallschirm gegen das Herunterfallen? Flügel, um dem Verfolger davonzufliegen? «Achten Sie darauf, dass der neue Traum noch eine inhaltliche Nähe zum ursprünglichen Albtraum hat», raten die Autor:innen des Buches. Alba lässt sich in ihrem Albtraum von einem U-Boot retten. Es bringt sie schnell und sicher weg von der fiesen Krake. Im Idealfall wählt das Kind das passende Happy End selbst und je aktiver seine eigene Rolle darin ist, desto besser. Ärztin Bigna Bölsterli rät ausserdem zu schlafhygienischen Massnahmen: Dazu gehören ein regelmässiger Wach-SchlafRhythmus, ein bequemes, kühles Bett und ein abgedunkeltes Zimmer. Abends nichts Schweres essen, spätestens eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen keine digitalen Medien mehr konsumieren, schon gar nichts Gruseliges, fährt sie fort. «Besprechen Sie den Tag mit ihrem Kind und achten Sie darauf, dass es in guter Verfassung schlafen gehen kann. Im Wissen, dass das nicht immer gelingen kann und muss.»
Das Bilderbuch «Albträume austricksen» hilft Kindern und Eltern anhand vieler psychologisch fundierter Tricks und einer tollen Geschichte, besser mit schlechten Träumen umzugehen. Das Buch richtet sich an Kinder zwischen 6 und11 Jahren und deren Bezugspersonen.
Janos Frisch und Jeannine Wolf: «Albträume austricksen. Ein Mitmachbuch gegen schlechte Träume» Hogrefe 2024, 112 S., ab Fr.30.–.
Kamillentee vertreibt Monster
Kinder, die noch ein paar Tage brauchen, um das Happy End für ihren Albtraum zu bestimmen, können die Zeit mit anderen Tricks überbrücken. Kleinere Kinder freuen sich bestimmt über ein Albtraum-Abwehr-Spray. War da nicht plötzlich ein Schatten? Her mit der Flasche, in der stark verdünnter Kamillentee steckt. Natürlich kein bisschen wissenschaftlich erwiesen. Aber wenns hilft!