Seit der Geburt seiner Zwillinge – Mädchen und Junge – kommt Sacha Batthyany nicht mehr darum herum, Genderstudies zu betreiben. Was ihn zeitweise verwirrt.
Ich kann mich gut an diesen Moment erinnern, als wir alle drei gebannt auf den Bildschirm schauten. «Da und da», rief die Ärztin, «man sieht es ganz deutlich.»
«Wo?», rief meine Frau. «Sind Sie sicher?»
«Na da», wiederholte sie: «Zwei Herzen!» Und während sich die beiden anlächelten, als wären sie alte Freundinnen, sah ich geradeaus auf den Monitor, sah nichts als schwarz-weisse Pixel und verstand die Welt nicht mehr: Zwei Herzen? Zwillinge? Grossfamilie? Ich?
Das ist jetzt beinahe drei Jahre her. Zwillinge, das waren für mich Hanni- und Nanni-Mädchen in bunten Strumpfhosen oder Jungs wie die Bryan-Brüder, die beiden Tennisspieler, die im Fernsehen nicht auseinanderzuhalten sind und in den Pressekonferenzen jeweils die Sätze des anderen beenden. Wir hingegen haben einen Jungen und ein Mädchen. Er eher hell und kräftig, sie eher dunkel und fein. Dass Zwillinge nicht immer gleichen Geschlechts sein müssen, daran hatte ich vorher nie gedacht.
Nun gut. Am Anfang spielt das Geschlecht auch keine Rolle. Babys wollen Milch und sie wollen getragen werden – und zwar am liebsten gleichzeitig. Später wollen sie ihre süssen kleinen Hände im Spinatbrei wälzen und den Teller danach auf den weissen Küchenboden schmeissen. Sie wollen nicht ins Bett und schon gar nicht in ihr eigenes, ob es nun rosa bezogen ist oder hellblau, ob Fussbälle drauf sind oder Lillifees, die auf albernen Ponys den Regenbogen runter rutschen. Das Bub/Mädchen- Ding kam mit dem Eintritt in die Krippe – und mit der Sprache. Erst seit sie reden können, haben wir zu Hause unsere ganz privaten Genderstudies.
Wir haben ausgemacht, dass wir sie nie in irgendwelche Rollen zwängen. Er muss nicht mutiger sein als sie und sie muss nicht Ballerina werden wollen. Ich bin auch ziemlich sicher, dass in schlauen Büchern steht, man soll seine zweieiigen Zwillinge möglichst geschlechtsneutral erziehen, also keine Bagger für ihn und keine Haarspangen für sie, sondern beides für beide, so wie es halt kommt. Wahrscheinlich ist das auch richtig so. Nur muss ich gestehen: Ich kann das nicht.
Neulich war ich mit meinem Sohn im Schwimmbad und ertappte mich dabei, wie ich wollte, dass er vom Beckenrand springt. Oder wenn er weint, weil er umgefallen ist, sage ich ihm, er solle auf die Zähne beissen. Bei meiner Tochter bin ich geduldiger und singe ihr ein Lied vor, in dem ein Schmetterling in einen Topf voller Erdbeereis fällt. Bin ich deswegen ein Sexist? Vielleicht sind Eltern zweieiiger Zwillinge einfach stärker mit der Frage konfrontiert, was sie in ihre Kinder hineinprojizieren. Weil wir uns gleichzeitig um eine Tochter und einen Sohn kümmern müssen, die auf die Stunde gleich alt sind, sieht man die kleinen Unterschiede viel deutlicher: Welche Erwartungen habe ich an ihn? Welche an sie? Wieso lasse ich bei ihr beinahe alles durchgehen, während ich bei ihm kritischer bin und ihn mehr formen will: Was, wenn er sich später nichts aus Büchern macht sondern sich für Autospoiler interessiert und Metzger wird?
Letzte Woche war ich mit meinem Sohn allein zu Hause, als ein Möbellieferant kam, um ein Bett zu bringen, das wir bestellt hatten. Gemeinsam trugen wir das Gestell ins Schlafzimmer. Mein Sohn folgte uns und hob einen Hammer hoch in die Luft, der auf dem Boden lag. «Ich bin so stark», rief er. In meiner momentanen Gender-Konfusion sagte ich zu ihm, dass Kraft nichts mit Männlichkeit zu tun habe und er auch ein Bub sei, wenn er statt zu hämmern jetzt vielleicht lieber etwas malen wolle, ein Pony vielleicht? Mein Sohn und der Möbelmann starrten mich an, als sei ich nicht ganz normal. Und sie hatten Recht.
Sacha Batthyany
Sacha Batthyany (41) ist Redakteur beim «Magazin» und hat 4-jährige Zwillinge und eine 6-jährige Tochter.