Stillen
5 Frauen blicken auf ihre Stillzeit zurück
Wie erleben Frauen das Stillen? Würden sie rückblickend etwas anders machen? Fünf unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen auf das Thema Stillen.
Papa mehr einbeziehen
Vivianne, 43, Künstlerin und angehende Kuratorin, 3 Kinder (8, 13, 16)
«Ich empfinde es als grosses Glück, dass das Stillen bei allen drei Kindern so unkompliziert war und auf Anhieb klappte. Mein erstes Kind stillte ich rund 14 Monate, das zweite sieben Monate und das dritte über 2,5 Jahre. Ich selber erhielt fast drei Jahre lang Muttermilch.
Doch obwohl ich gern gestillt habe, würde ich es heute anders machen. Zum Beispiel würde ich mich abends mit dem Baby nicht mehr immer hinlegen, damit der Papa beim Abendritual mehr einbezogen wird. Als Paar mit drei Kindern besteht die Gefahr, dass man sich im Alltag verliert. Zum Glück hatten wir eine gute Basis und wussten, dass irgendwann einfachere Zeiten kommen.»
Unterwegs oft gestresst
Céline, 36, Direktionsassistentin, 1 Kind (4)
«Ich wusste schon während meiner Schwangerschaft, dass ich stillen möchte, wenn es klappt – aber nicht um jeden Preis. Meine Stillzeit war problemlos und sehr positiv. Mühsam waren für mich eher externe Faktoren wie zum Beispiel die mangelnden Rückzugsmöglichkeiten. Die Suche nach einem ruhigen Ort, um auch unterwegs zu stillen, hat mich vor allem im Winter oft gestresst. Öffentliche Toiletten waren keine Option für mich.
Ich habe dann in Cafés jeweils gefragt, ob ich in einer ruhigen, geschützten Ecke etwas trinken und mein Baby stillen dürfe. Das lief meistens gut. Zum Glück wusste ich auch, dass ich notfalls in einer Apotheke anklopfen konnte. Da gibt es separate und ruhige Räumlichkeiten extra für stillende Mütter.»
Egalitäre Aufgabenteilung
Ursina, 41, Architektin, 2 Kinder (1,5 und 4,5 Jahre)
«Die bewusste Entscheidung gegen das Stillen gab mir eine gewisse Freiheit nach den Schwangerschaften. Meinem Mann ermöglichte es als Vater dieselben Kompetenzen und Erlebnisse mit unseren Kindern wie mir als Mutter. Das einzig Mühsame war, pro Tag zehn Schoppenflaschen abwaschen und sterilisieren zu müssen. Doch diese Aufgabe teilten wir uns, wie wir auch heute die Kinderbetreuung egalitär aufteilen. Uns ist die Eltern-Kind-Bindung weitaus wichtiger als die Mutter-Kind-Bindung. Wir wollten diesbezüglich nur gute Erinnerungen mit unseren Kindern kreieren.
Potenziellen Schwierigkeiten wie Milchstaus, Brustentzündungen, mühsamer Stillstart, stundenlanges Stillen und sich verzögerndes Abstillen konnten wir uns völlig entziehen und mussten uns auch nicht mit ruppigen Hebammen rumplagen. Unser Umfeld akzeptierte unsere Entscheidung. Nur meine Mutter war bei der Geburt unserer Tochter erstaunt, dass ich auch sie nicht stillen wollte. Sie glaubte, wir hätten es beim ersten Kind so gehandhabt, weil es ein Junge war. Da musste ich schmunzeln, weil ich das eine sehr bizarre Vorstellung fand.»
Störender Druck
Miriam, 31, Primarlehrerin, 1 Kind (3,5 Monate)
«Als junge Mutter haben mich anfangs die vielen Artikel rund ums Stillen fast kirre gemacht. Zum Teil ist die Still-Lobby immer noch sehr stark und überall liest man, wie wichtig und gesund Muttermilch für das Kind sei. Mein Sohn nahm in den ersten Tagen nach der Geburt stark ab. Nach einigem Hin und Her stellten wir fest, dass ich nicht genügend Milch hatte. Am Anfang fühlte ich mich machtlos und auch traurig, dass mein Sohn meinetwegen Hunger leiden musste.
Dank einer guten Begleitung durch die Hebamme geniesse ich es heute, zu stillen und ihm zusätzlich einen Schoppen zu geben. Das hat den Vorteil, dass auch mein Partner den Kleinen füttern kann. Ich finde es wichtig, dass wir uns von den Erwartungen der Gesellschaft nicht unter Druck setzen lassen. Was zählt, ist, dass es dem Kind und einem selbst gut geht!»
Stillen mit Codewort
Nadine, 41, Sozialarbeiterin, Stillberaterin, 3 Kinder (3, 11, 15)
«Ich habe alle drei Kinder über drei Jahre lang gestillt. Einerseits hat es sich so ergeben, andererseits habe ich ganz viel übers Stillen gelesen und bin überzeugt, dass es mehr ist als einfach nur Nahrungsaufnahme. Es ist auch Nähe, Schutz, Mama-Auftanken, Wutanfälle mindern und ein gesundes Abwehrsystem bilden. Als ich mich vom Gedanken gelöst hatte, ich müsste nach sechs Monaten Beikost mit dem Stillen aufhören, wurde unsere Stillbeziehung entspannter und einfacher. Ich konnte dank dem neu gewonnenen Vertrauen die Kinder ganz anders sehen und damit eine Basis für die bedürfnisorientierte Erziehung schaffen.
Als meine Kinder etwa eineinhalb Jahre alt waren, haben wir uns jeweils auf ein Codewort fürs Stillen geeinigt und abgemacht, dass sie nur noch zu Hause die Brust bekommen. Ich wollte nicht komisch angeschaut werden oder Sprüche einstecken müssen; die Kinder spüren solche Dinge und ich wollte sie davor schützen. Beim dritten Kind habe ich dann das Stillen beim Namen genannt und aufs Codewort verzichtet. In meiner Arbeit als Stillberaterin bekomme ich mit, dass viele gerne länger stillen möchten, sich aber nicht getrauen.
Ich rate dann, sich an der Empfehlung der WHO zu orientieren. Diese gilt weltweit und sagt, dass Kinder, neben altersangepasster Beikost, mindestens bis zum Alter von zwei Jahren gestillt werden sollen. Ich wünsche mir, dass sich alle bewusst werden, dass Stillen viel mehr ist als Nahrungsaufnahme. Stillen ist Bindung! Klar ist aber auch: Es ist eine Beziehung und muss für beide stimmen.»
Nach dem Studium der Visuellen Kommunikation in Luzern machte Claudia Jucker einen Abstecher in die Filmbranche und folgte dann, als sie Mutter wurde, ihrer Leidenschaft fürs Schreiben und Gestalten. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Content Creator für Print- und Onlinemedien mit Fokus Reisen, Familie und Lifestyle. Wenn sie nicht schreibt, badet sie im Wald, streichelt Ponys oder schmökert durch Magazine. Sie lebt mit Mann und Kindern in Zürich. claudiajucker.com