Berufswahl
Was machst du beruflich?
Von Martina Schnelli, Manuela von Ah
Am 14. November war der Nationale Zukunftstag, welcher seit über 20 Jahren versucht, Berufswahlklischees in den Köpfen zu knacken. Doch noch immer spielt das Geschlecht bei der Berufswahl eine grosse Rolle. Jugendliche, die untypische Berufe wählen, brauchen ein dickes Fell und unterstützende Eltern. Zwei Beispiele, die Mut machen.
Justin Harrison, 19, medizinischer Praxisassistent MPA
«Ob Serien wie Grey’s Anatomy, Bücher über Spitäler oder die vielen Arztbesuche als Kind: Die Medizin fasziniert mich von klein auf. Daher startete ich nach der Oberstufe mit der Kantonsschule und dem Wunsch, später Medizin zu studieren. Nach einem Jahr verliess ich jedoch die Kanti und begann eine Lehre als medizinischer Praxisassistent bei der Medbase in Abtwil. Der schulische Weg war mir zu lang und zu theoretisch. Ich wollte die Praxis, im wahrsten Sinne des Wortes, erleben.
«In Lehrbüchern nur die weibliche Form»
Für den Wechsel habe ich von Freunden und Familie viel Zuspruch erhalten, meine Oma war ganz begeistert. Doch der Übergang von der Schule zur Lehre verlief holprig. War ich in der Kantonsschule einer unter vielen, bin ich nun in der Ausbildung zum MPA der einzige Mann. Oder wie es ein Berufsschullehrer ausdrückte, eine Rarität. Dessen bin ich mir in jeder Unterrichtsstunde bewusst: In den Büchern wird nur die weibliche Form verwendet und gelegentlich höre ich bei Aufträgen von Lehrpersonen, jede sucht sich eine Partnerin für die Gruppenarbeit. Da wäre es schön, wenn ich mich auch angesprochen fühlte. Oft bleibe ich bei Gruppenarbeiten unter lauter jungen Frauen aussen vor und mache diese allein. Die Lehrpersonen sind mir gegenüber unterstützend, dennoch wünschte ich mir im schulischen Setting mehr Wertschätzung für meine Position. Ich gehe vielfach die extra Meile und muss für mich einstehen. Das habe ich auch im Berufseinstieg gemerkt, man war gar nicht auf einen medizinischen Praxisassistenten vorbereitet: Auf der Website unter meinem Namen stand die weibliche Berufsbezeichnung und ich bekam regelmässig Briefe oder E-Mails mit der Anschrift «Frau Harrison». Im Praxisteam fühle ich mich integriert und unterstützt von meinen Teamkolleginnen. So haben sie Patient:innen, die bei der von mir durchgeführten Blutabnahme zwischen Staunen und Skepsis dasassen, darauf hingewiesen, dass ich das tipptopp beherrsche. Die grosse Mehrheit der Patienten ist erfreut, wenn sie mich sehen und ich höre oft: Oh so cool, ein Mann. Es wäre toll, wenn weitere Männer folgen würden. Daher wünsche ich mir, dass die Einteilung in Männer- und Frauenberufe wegfallen würde. Sodass sich jede und jeder sowohl in der Fachliteratur als auch im beruflichen Umfeld zugehörig fühlt.»
Justin Harrison, Lernender MPA
Vanessa Sutter, 32, Product Operations Manager
«Weibliche Vorbilder habe ich in der Berufsschule sehr vermisst. Während die Allgemeinbildung teilweise von Frauen unterrichtet wurde, standen in den Fächern ‹Informatikkompetenzen› ausschliesslich Lehrer vor uns. Und ich als einzige Frau in der Klasse war somit sehr oft in der Minderheit. Das war vor 13 Jahren, während meiner Ausbildung zur Informatikerin Applikationsentwicklung. Heute bin ich mit der Berufsschule immer noch verbunden in meiner Aufgabe als Prüfungsexpertin und in der Funktion als Lehrlingsausbildnerin bei Frontify in St. Gallen – einem Unternehmen für Markensoftware.
«Auch heute noch kaum Frauen»
Geändert hat sich in der Zwischenzeit punkto Frauenanteil leider sehr wenig: In den Berufsschulen für Informatiker:innen sitzen geschätzt null bis drei Frauen pro Klasse und bei Frontify betreue ich zwei Lehrlinge. Gerne hätte ich auch junge Frauen angestellt und sie ausgebildet. Leider mangelte es an passenden Bewerbungen. Ich selbst konnte bei meinem Berufswunsch voll auf die Unterstützung meiner Mutter zählen. Obwohl ich in meinem Lehrbetrieb in der Informatik die einzige Frau war, fühlte ich mich immer ernst genommen und als vollwertiger Teil des Teams. Rückblickend verdanke ich die positiven Erfahrungen meiner Leidenschaft zum Analysieren, Problemlösen und Programmieren. Mein Arbeitsumfeld spürte, dass ich für die Informatik brenne. Die Passion und die Expertise machen es aus, um in einem männerdominierten Beruf als Frau bestehen zu können, behaupte ich. Denn auch im jetzigen Job als Product Operations Manager darf ich mit einem 50-Prozent-Pensum Projekte so steuern und betreuen, wie es meinen männlichen Kollegen im Vollpensum tun. So sollte es sein. Meine beiden kleinen Töchter möchte ich bei der Berufswahl ermutigen, auch unkonventionelle Wege zu gehen und in Berufe zu schnuppern, die als typisch männlich erachtet werden. Bis dahin braucht es aber noch einige weibliche Vorbilder und Expertinnen in der Techbranche, die mit einer Selbstverständlichkeit vorangehen.»
Vanessa Sutter, Product Operations Manager und Lehrlingsausbildnerin
14. November Nationaler Zukunftstag
Mit der jährlich stattfindenden und von allen Schulen unterstützten Aktion versucht der Nationale Zukunftstag seit über 20 Jahren Berufswahlklischees in den Köpfen zu knacken. Am 14.November ist es wieder so weit: Mädchen und Buben der 5. –7. Klasse schnuppern in Berufe, die noch immer als typisch männlich oder weiblich gelten. Überflüssig wird der Zukunftstag so bald nicht. Denn trotz vielfältiger Bemühungen der Berufsverbände wählen nach wie vor viele Jugendliche Berufe, die traditionell ihrem Geschlecht zugeordnet werden. So entscheiden sich laut einer BFS-Studie aus dem Jahr 2022 nur etwa 6 Prozent der jungen Frauen für eine Ausbildung in technischen Berufen, während weniger als 15 Prozent der Männer in Gesundheits- oder Bildungsberufen tätig sind. Auch der Anteil der Frauen in MINT-Berufen – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – bleibt weiterhin gering: Nur etwa 14 Prozent der Ausbildungsplätze in diesen Bereichen sind von Frauen besetzt.
Vorurteile und Geschlechterklischees haben eine mächtige Strahlkraft. Sich als Pubertierender davon nicht beeindrucken zu lassen, erfordert ein starkes Selbstbewusstsein und Rückenwind aus dem Elternhaus und der Schule. Auch während der Ausbildung und später am Arbeitsplatz müssen Menschen in genderuntypischen Berufen eine dicke Haut haben. Initiativen wie der Zukunftstag helfen.