Spielgruppe
Trennungsangst in der Spielgruppe
Viele Eltern schicken ihr Kind in eine Spielgruppe, damit es mit Gleichaltrigen spielen und lernen kann. Was aber, wenn ihm Eingewöhnung und Trennung schwerfallen?
Sie wollen wissen, wie der Start in der Spielgruppe gelingt? Springen Sie direkt auf den Abschnitt:
Tipps für einen guten Start in der Spielgruppe.
Gut gelaunt zieht sich meine 3-jährige Tochter an,
schnallt den Rucksack auf den Rücken und wir gehen Hand in Hand zur Spielgruppe. Doch vor der Treppe bleibt sie stehen und macht keinen Wank mehr. Ihre Arme umschlingen meinen Hals, als möchte sie mich nie mehr loslassen. Ich spreche ihr gut zu, halte sie fest, versichere, dass ich sie wieder abholen komme. Nach einigen Minuten löse ich ihren Griff und übergebe sie einer Spielgruppenleiterin.
Beim Weggehen winkt mir mein Mädchen gemeinsam mit der Betreuerin durchs Fenster zu. Das ist ihr Abschiedsritual. Sie wirkt nicht unglücklich, dennoch plagen mich Zweifel. Ist es richtig, sie weiterhin in die Spielgruppe zu schicken? Sie muss ja nicht zwingend hin. Die Spielgruppe sollte ihr ermöglichen, mit gleichaltrigen Kindern zu spielen. Zu lernen, Konflikte zu lösen, etwas zu erleben, das wir ihr zu Hause nicht bieten können.
Drei Stunden später, ich warte vor der Spielgruppe. «Es ging alles gut, sie hat zufrieden gespielt», versichert mir die Leiterin. Meine Tochter erzählt, dass sie mit den Puppen gespielt und eine Freundin gefunden habe und die Spielgruppenleiterin eine Geschichte vorlas. So spricht kein Kind, das sich
nicht wohlfühlt in der Spielgruppe. Meine Zweifel sind weg, das Bauchgefühl stimmt – bis zum nächsten Abschied, bei dem meine Tochter am liebsten wieder in mich hineinkriechen würde.
Wie gelingt die Eingewöhnung?
So wie mir geht es wohl vielen Eltern. Wie aber gelingen Eingewöhnung und Abschied? Punkto Eingewöhnung stellt die Spielgruppe – im Gegensatz zu einer Kita – höhere Anforderungen an ein Kind. In der
Regel ist es beim Start zwar älter, aber es hat keine zugewiesene Betreuungsperson und geht nicht über längere Zeit täglich hin. Ausserdem besuchen viele Kinder die Spielgruppe nur ein- oder zweimal wöchentlich. Hinzu kommen Unterbrüche durch Schulferien oder eigene Urlaube.
Ein einheitliches Konzept zur Eingewöhnung gibt es in der Schweiz nicht, erklärt Sabine Meili, die im Schweizerischen Spielgruppen- LeiterInnen-Verband (SSLV) zuständig für das Ressort Kommunikation ist.
«Der Spielgruppen-Start ist eine sensible Phase für Kinder und Eltern. Oft sind die Kinder zum ersten Mal allein in einer für sie grossen Gruppe.» Die Fachfrau empfiehlt Eltern, so lange dabeizubleiben, wie es nötig ist. «Manche Kinder bleiben bereits beim zweiten
Mal alleine, andere brauchen länger.» Der Elternteil sollte sich in einen Raum oder an einen Platz zurückziehen, an dem ihn das Kind jederzeit aufsuchen kann. «So erkennt man, welche Situation das Kind stresst. Ist es ein offener Schnürsenkel oder der Einstieg in ein Spiel mit einem andern Kind?»
Zeit für Ablösung geben
Wie lange ein Kind für die Ablösung benötigt, habe nichts mit der Erziehungsqualität der Eltern zu tun, erklärt die Entwicklungspsychologin und Elternberaterin Brigida Lorenz von Bindung Schweiz: «Ob sich ein Kind schnell von seinen Eltern ablösen
kann, sagt nichts darüber aus, ob es sicher oder unsicher gebunden ist.» Oft hätten sogar sicher gebundene Kinder mehr Mühe sich zu trennen, weil sie nicht einfach so bereit seien, diejenige Person gehen zu lassen, die es am feinfühligsten behandelt.
Buchtipp
Michel Gray: «Eine Dose Kussbonbons», Moritz Verlag, ca.
Fr. 18.–, ab 3 Jahren. Zebra Zeo geht zum ersten Mal allein ins Ferienlager. Seine Eltern geben ihm eine Dose
voller Kussbonbons, Zettel mit Küssen drauf, mit. In Windeseile ist die Angst verflogen und Zeo lernt alle anderen Kinder kennen.
Keinen Druck aufsetzen
Für Sabine Meili ist es wichtig, dass Eltern das Kind und sich selbst nicht unter Druck setzen. Aussagen wie «du bist doch schon gross» oder «nächstes Jahr musst du dann in den Kindergarten» wirkten kontraproduktiv.
Dieselbe Meinung vertritt Brigida Lorenz: «Das Kind in die Spielgruppe zu schicken, nur damit es sich an die Situation im Kindergarten gewöhnt, halte ich für falsch.» Damit würde nur Stress vorgezogen, dem das Kind im Chindsgi ausgesetzt sei.
Und je früher ein Kind Stress erfahre, desto schädlicher sei dies für seine Gehirnentwicklung. Brigida Lorenz rät, nur Kinder in die Spielgruppe zu schicken, die mit Freude hingehen. Denn ist das Kind nicht entspannt, ist seine Lernfähigkeit eingeschränkt und es profitiert nicht.
Gründe für Spielgruppenbesuch
Warum soll ein Kind denn überhaupt in die Spielgruppe? Gemäss SSLV verstehen sich Spielgruppen als Bildungsinstitutionen, in deren Zentrum das freie Spiel steht. Kinder sollen mit verschiedenen Materialien experimentieren und mit anderen Kindern interagieren, Konflikte aushandeln, den sozialen
Umgang lernen. Sabine Meili ist überzeugt, dass alle Kinder von Spielgruppen profitieren.
Bislang gibt es jedoch lediglich Studien dazu, die sich mit der Wirkung von Spielgruppen für fremdsprachige Kinder und solche aus sozial benachteiligten Familien befassen. Für diese Kinder lassen sich Vorteile belegen.
Brigida Lorenz sagt: «Nur jene Kinder, die zu Hause vernachlässigt werden oder zum Beispiel mit suchtkranken oder psychisch kranken Eltern aufwachsen, profitieren von einer Kita oder Spielgruppe in jedem Fall, weil sie dort öfter behutsam versorgt und direkt angesprochen werden.»
So erkennt man, dass es dem Kind gut geht
In allen anderen Fällen sei es zwingend, dass das Kind in der Spielgruppe entspannt sei. Dies zu erkennen ist allerdings nicht ganz einfach: «Wie hoch der Stresspegel ist, sieht man nicht», sagt Brigida Lorenz. Nur weil ein Kind nicht weine, heisse das nicht, dass es ihm gut gehe. «Ein Kind muss neugierig und explorativ sein – das ist ein Zeichen dafür, dass es sich in seiner Umgebung sicher fühlt.»
Ein Kind weinend zurückzulassen, bezeichnet die als Vertrauensbruch, der sich auf die Beziehungsqualität der Eltern-Kind-Bindung auswirken könne. Wie aber merken Eltern, ob sich ihr Kind in der Spielgruppe sicher fühlt? «Dann, wenn es sich von der Spielgruppenleiterin in den Arm nehmen und trösten lässt – zum Beispiel, wenn es sich wehgetan hat», meint Brigida Lorenz.
Eine Spielgruppen-Pause einzulegen, empfiehlt Sabine Meili, wenn ein Kind überfordert und den ganzen Morgen angespannt ist. Wenn es am Vorabend oder am Morgen
weint. Wenn das Bauchgefühl nicht stimmt, der Leidensdruck hoch ist. Allenfalls lohne es sich ein anderes Angebot, wie eine Waldoder Bauernhofspielgruppe auszuprobieren. Sabine Meili meint: «Die Spielgruppe zu unterbrechen oder zu wechseln, ist kein Weltuntergang.»
Bei uns zu Hause ist das zum Glück kein Thema mehr. Vielmehr tönt es jetzt, ein Jahr später, so: «Mami, nein, wir können nicht in die Ferien. Ich habe am Montag Spielgruppe.»
Tipps für einen guten Start in der Spielgruppe
Eine gute Spielgruppe finden
♦ Sich bei andern Eltern umhören
♦ Konzepte oder Leitbilder auf der Website der Spielgruppe lesen
♦ Unverbindlich Kontakt mit den Spielgruppenleitenden aufnehmen und Fragen klären
♦ Auf das Qualitätslabel des Schweizerischen Spielgruppen-Leiterinnen-Verbandes (SSLV) achten
♦ Einen Schnuppermorgen besuchen
Das Kind vorbereiten
♦ Den Raum oder den Ort im Wald oder auf dem Bauernhof gemeinsam besuchen
♦ Einen Vorbereitungskalender mit Törchen oder Stickern basteln, der am Starttag endet
♦ Sich mit anderen Kindern treffen, die dieselbe Spielgruppe besuchen werden
Das Kind eingewöhnen
♦ So lange bleiben, wie es nötig ist
♦ Sich schrittweise zurückziehen und an einem Ort bleiben, an den das Kind kommen kann
♦ Das Kind danach für eine Zeitdauer, die es erfassen kann, alleine lassen
Abschiednehmen
♦ Ein Abschiedsritual festlegen
♦ Ein Übergangsobjekt mitgeben: einen Schal eines Elternteils, das Lieblingsspielzeug oder ein Plüschtier (siehe auch Buchtipp)
♦ Erklären, was man in der Zeit macht, in der das Kind in der Spielgruppe ist
♦ Nicht wegschleichen, wenn das Kind abgelenkt ist
♦ Keine Belohnungen wie Süsses oder Fernsehen versprechen
Sibille Moor hat Anglistik studiert und mehrere Jahre als Redaktorin für Zürcher Tageszeitungen gearbeitet. Heute unterrichtet sie Englisch und Deutsch und textet als Social Media Managerin. Seit sie Mutter ist treiben sie die Herausforderungen im Familienalltag um. Und genau darüber schreibt sie für «wir eltern».