17 Jahre nach der ersten Schwangerschaft beschlossen mein Mann und ich, nochmal ein Kind zu bekommen. Ich war sofort schwanger, mit 39. So, als hätte mein Körper längst darauf gewartet. Neu war, dass ich mich enorm auf das Kind freute. Umso trauriger war ich zugleich, dass ich dies während der ersten, unverhofften Schwangerschaft zu wenig vermocht hatte. Die späte Schwangerschaft konfrontierte mich auf eine nie geahnte Art mit derjenigen meiner frühen Jugend: Ich erlebte sie bewusster, selbst, wenn die Zeit flog. Ich war gelassener, wissender, selbstsicherer, ruhiger. Mein Umfeld freute sich mit mir. Nahm mich ernst. Staunte ein bisschen. Allerdings darüber, dass 17 Jahre zwischen meinen Kindern liegen. «Mit dem gleichen Mann?», klang es manchmal unverhohlen. Wie gern die Menschen sich das Leben berechenbar wünschen, lässt mich stets aufs Neue schmunzeln.
Die neue Schwangerschaft schien mir einen Schub von Sanftmut, Schönheit und Reife zu schenken, die sofort wahrgenommen und reflektiert wurden. Niemand hätte mir einen Blick des Misstrauens zugesandt. Höchstens ein kleines Bedauern konnte ich ab und an in einem Augenwinkel lesen. «Wenn das Kind 20 ist, bist du schon 60.» Oder: «Hoffentlich darfst du deine Enkelkinder noch kennenlernen.»
<<Fehler mache ich manchmal dieselben wie vor vielen Jahren.>>
Ich richtete mit Freude das Kinderzimmer ein. Nahm mir Zeit für mein Ungeborenes und mich. Schrieb, las, staunte, träumte einfach, statt den Träumen hinterher zu rennen. Ich hatte eine unsägliche Energie für meine Arbeit. Jüngere Mütter sprachen mich an. Plötzlich war ich, die viel zu junge Mama, eine Oma-Mama, deren Rat gesucht wurde. Schliesslich war mein grosser Sohn ja bereits 17. Wohl geraten, zuvorkommend, gut ausgebildet, die Mama noch jung.
Als das Baby auf die Welt kam, hatte ich vor allem Zeit für die Liebe. Ich sah erneut das Wunder der Geburt und des Mutterseins. Ich reflektierte es jedoch dankbarer und demütiger. Begrüsste die Gesundheit meines Sohnes nicht mehr so selbstverständlich und beinahe übermütig wie in jungen Jahren. Ich genoss jeden Tag. Mein kleiner Sohn und ich wuchsen derart zusammen, dass ich im Alltag darauf angesprochen wurde, wie wohltuend es sei, zu spüren, wie gut es einem geliebten Kind gehe. Wie wichtig die Liebe als sinnund seelenvolle Investition in die Zukunft eines Menschen sei. Die Auswirkung: Auch mein Sohn war gelassen und ruhig. Ein Spiegelbild. Doch gerade dies lässt sich – wie gut ich dies wusste – eben nicht erzwingen. Erfahrung ist wie ein fertig gemaltes Bild, während die Unerfahrenheit erst aus ein paar Strichen besteht. Ich konnte einfach Mutter und glücklich sein und geniessen: Stundenlang mit meinem Kind im Wald Steine schichten, vorlesen, singen, mit Bäumen reden.
Diese innige Zeit hat meinen zweiten Sohn über die Schwere der Trennung von Mama und Papa – nach 28 gemeinsamen Jahren – hinweg getragen. Dessen bin ich sicher. Nun, allein in einer kleinen Wohnung, als freischaffende Journalistin, werde ich zum zweiten Mal im Leben mit einer grossen Herausforderung konfrontiert. Denn plötzlich ist das Alter ein Thema: Im Beruf, als Freundin, als Mutter. Denn, aller Gelassenheit zum Trotz, bin ich dünnhäutiger geworden. Unmittelbar spüre ich meine 50 Jahre: Wo zuvor nur eine Zahl war, sind nun viel zu viele aus der Zeit quellende Erlebnisse. Der Körper wird schneller müde. Wo ich mit dem Älteren auf Bäume kletterte, bleibe ich beim Jüngeren artig auf dem Boden. Fehler mache ich manchmal dieselben wie vor vielen Jahren: Weil auch er kein Geschwisterchen in gleichem Alter hat, konzentriere ich mich manchmal zu arg auf meinen Jüngeren. Bin vielleicht zu nachsichtig und inkonsequent. Jetzt, wo die Kinder meiner Freunde gross sind und sie sich Gedanken machen, in welches Theater sie am Abend gehen, lege ich mich neben meinen klugen Zehnjährigen und kuschle mich mit ihm in den Schlaf.