Monatsgespräch / Margret Bürgisser
«Haben Sie einen tollen Mann!»
Nur wenige Paare teilen sich die Kindererziehung und Erwerbsarbeit partnerschaftlich. Die Soziologin Margret Bürgisser hat solche Familien in einer Langzeitstudie erforscht. Sie plädiert für Geduld – und Ausprobieren!
wir eltern: Frau Bürgisser, während wir Sie hier zum Interview treffen, kocht zu Hause Ihr Mann Zmittag?
Margret Bürgisser: Nein, bei uns gibts eine strikte Regelung. Wir schreiben in die Agenda «Ma ko» für Margret kocht oder «Wa ko» für Walter kocht. Und derjenige ist verantwortlich inklusive Tischen, Servieren, Abwaschen. Heute bin ich dran.
Was wird es zum Zmittag geben?
Ich werde in unser vegetarisches Restaurant gehen und verschiedene Gerichte nach Hause mitnehmen.
Wie elegant.
Und einfach. (lacht) Ich koche nicht so gern.
Mögen Sie das Kochen nicht wegen dem Klischee der täglich kochenden Hausfrau?
Als ich jung war, habe ich mit einem Freund zusammengelebt. Er hat nicht gekocht, ich täglich – was ich rückblickend unverständlich finde. Aber so war das damals.
Damals, das war auch die Zeit, als Sie Ihre Langzeitstudie über Familien begannen, die sich Erwerbsarbeit und Kindererziehung teilen. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Das war 1990. Die Gleichstellung war schon in der Verfassung verankert, das Gleichstellungsgesetz aber noch nicht in Kraft. Von überall her hörte man: Es wäre schön, wenn man die Rollen teilen könnte! Aber es geht nicht. Wegen dem nicht und diesem nicht. Und damit war die Diskussion beendet. Irgendwann hat mich das furchtbar geärgert. Ich dachte, ich möchte mal sehen, ob es tatsächlich nicht geht und begann nach Paaren zu suchen, die sich Erwerbsarbeit und Kindererziehung teilten. Die Bedingung war, dass beide erwerbstätig waren, die Frauen mindestens 50 Prozent und die Männer nicht mehr als 70 Prozent.
Also möglichst ausgeglichen.
Genau. 28 Paare habe ich interviewt und darüber mein erstes Buch geschrieben. Daraus folgte die zweite Studie 2003/04 und 2015 die dritte. 2016 habe ich ergänzend auch die Kinder befragt.
Welche Erkenntnis hat Sie am meisten erstaunt?
Überrascht hat mich, wie sehr aus Sicht der Kinder bestätigt wird, dass Väter die Betreuer- und Erzieherrolle sehr gut ausfüllen. Dass die Kinder ihren Vätern sehr viel Sozialkompetenz zuschreiben und ihren Müttern sehr viel Power und Zielstrebigkeit, also Eigenschaften, die es in der Arbeitswelt braucht, um sich zu behaupten. Es ist beeindruckend, wie sehr die alten Vorurteile widerlegt worden sind.
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zvg
Margret Bürgisser ist Soziologin und Inhaberin des Instituts für Sozialforschung, Analyse und Beratung (ISAB). Seit 30 Jahren forscht sie über partnerschaftliche Rollenteilung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie sozialen Wandel und leitete mehrere nationale Forschungsprojekte. Ein besonderes Anliegen ist Bürgisser, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu überführen.
Für ihr neues Buch «Partnerschaftliche Rollenteilung – ein Erfolgsmodell» (hep-Verlag, 2017) hat sie partnerschaftlich organisierte Familien über 20 Jahre begleitet. Anhand von Porträts, statistischen Auswertungen und in Einzelgesprächen gibt Margret Bürgisser ein detailliertes Bild zum Thema Rollenteilung aus Sicht der Mütter, Väter und Kinder.
Beide machen Erwerbs- und Familienarbeit – so heisst also das Erfolgsrezept für alle?
Obwohl mein Buch den Titel trägt «Partnerschaftliche Rollenverteilung – ein Erfolgsmodell», sage ich nicht, dass es alle wählen sollen. Alle, denen die Voraussetzungen dafür fehlen, könnten sich womöglich kritisiert fühlen. Man soll die Vor- und Nachteile aufzeigen, damit neue Rahmenbedingungen geschaffen werden können. Aber man soll nicht alte Klischees durch neue ersetzen.
Stichwort Klischee: Haben Männer mehr Mühe mit der Rolle als Teilzeitarbeiter? Sie geben Erfolg, Karriere, Geld auf – Faktoren, über die sie sich oft definieren.
Männer sind oft kompetitive Typen, bewundern Spitzensportler, Heros, die erfolgreicher sind als andere. Das hat Tradition. Und Erwerbsarbeit ist nun mal sichtbarer als Familienarbeit. Sie ist mit Lohn verbunden, bringt Status. Familienarbeit ist halbwegs unsichtbar und ziemlich repetitiv: viel Aufräumen, Hegen und Pflegen. Und es ist immer noch Gratisarbeit. Dass Männer sich unter diesen Umständen nicht darum reissen, sich mehr in der Familie zu engagieren, kann ich verstehen.
Trotzdem sollen sie genau das tun ...
... sie müssen die Erfahrung mal machen, was es an Gewinn bedeutet, ein Kind vom ersten Tag an mitzubetreuen, Verantwortung zu übernehmen und emotional etwas zurückzubekommen.
Gewinn? Sie argumentieren mit der Terminologie der Arbeitswelt?
Auf der emotionalen Ebene ist die Arbeitswelt oft eine sehr trockene, karge Landschaft. Da kommen Leute «unterernährt» nach Hause und lechzen nach Emotionalität. Wichtig bei der Rollenteilung ist: Für Väter ist es erst attraktiv, sich in der Kinderbetreuung gleichwertig zu engagieren, wenn die Mutter aus dem Haus ist.
Nach dem Motto: Ist die Mama aus dem Haus, läuft Papa zu Hochform auf?
Genau. Sie sollen nicht Unterstützer oder Helfer sein. Sondern gleichberechtigte Miterzieher. Die Frauen müssen lernen abzugeben. Selbst wenn die Geschlechter sich in den grossen Formen annähern, steckt der Teufel im Detail. Ob Kinderfotos auf dem Bürotisch, ob mit dem Nachwuchs während der Arbeit zum Kinderarzt, beides läuft bei Männern unter «Sozialkompetenz», bei Frauen unter «No-Go». Das ist sicher ungerecht. Aber es dient aktuell der Sache, dass man Männer wahnsinnig toll findet, die das machen. Dass man sie belohnt, dass man den Frauen sagt: Haben Sie einen tollen Mann!
Mütter und Väter werden offenbar noch immer am Schema eines traditionellen Familienmodells gemessen. Wie lange wird es dauern, bis die alten Klischees raus sind aus unserem Kopf?
Es hat sich schon vieles verändert. In meiner Jugend war eine Frau, die keine Rabenmutter sein wollte, zu Hause bei den Kindern, dem Haushalt und übernahm soziale Engagements in der Gemeinde. Meine Grossmutter litt darunter, dass sie aus finanzieller Not arbeiten musste, weil sie geschieden und alleinerziehend war. Gemäss neuen Untersuchungen hat das traditionelle Modell nicht mehr so viel Zuspruch. Die Jungen wünschen sich oft ein Erwerbsmodell mit Teilzeitarbeit beider Eltern, gefolgt vom Modell mit Vollzeitarbeit eines Partners und Teilzeitarbeit des anderen.
Als Wunschvorstellung ist das Modell hip. Im Alltag organisieren sich trotzdem weniger als zehn Prozent so. Im Vergleich: Zehn Prozent der Menschen behaupten, einen Geist gesehen zu haben. Die Wahrscheinlichkeit, einen Geist zu sehen, liegt also höher, als sich Arbeit und Erziehung partnerschaftlich zu teilen.
(lacht) Ein hübscher Vergleich. Für viele ist auch das egalitäre Modell ein Phantom. Nur zehn Prozent habens gesehen und wirklich erlebt.
Hat es trotzdem Zukunft?
Es braucht immer Vorreiter, sogenannte Opinion Leaders. Wenn diese an Akzeptanz gewinnen, kann sich etwas verändern.
Heute wächst in der Schweiz die erste Generation heran, die zu Hause nicht nur unter Mamas Einfluss steht. Verändert das die Sozialisation der Kinder?
Die Trennung in Arbeitswelt und Familienwelt ist noch nicht so alt, wie es scheint. Auf einem Bauernhof waren alle präsent, man wusste, wer was macht, die Jungen wuchsen in diese Aufgaben hinein. Es wäre schön, man könnte die Welten wieder durchlässiger machen. Sonst müssten wir gar keine Frauen ausbilden. Es wäre ja verlorenes Geld.
Ähnlich marktwirtschaftlich gefragt: Wer sind die Gewinner dieses Familienmodells?
Die befragten Eltern argumentieren nicht primär marktwirtschaftlich. Diese Paare sind überzeugt, dass sich ihre Kinder gut entwickelt haben. Viele Kinder haben einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss gemacht. Sie sind vielfältig gefördert worden zu Hause, was heute Früchte trägt.
Wenn zu Hause der Testosterongehalt zunimmt: Wird dann weniger gekuschelt und dafür mehr unternommen?
Väter sind oft nach aussen orientiert mit sportlichen Aktivitäten, etwas unternehmen, ins Verkehrshaus. Die Enkel meines Mannes gehen alle paar Wochen ins Verkehrshaus, auch mit dem Opa. Das fasziniert sie immer wieder von Neuem. Man ist geneigt zu sagen: typisch Buben.
Zum Thema «typisch Buben»: Gibt es Verhaltensweisen, die Frauen und Männer trotz neuer Familienmodelle nicht ablegen?
Manche Verhaltensmuster scheinen mir sehr stark verankert. Bei uns im Quartier spielen viele Kinder draussen: Die Mädchen malen Häuser auf den Boden und spielen Einrichten oder Kochen, während die Knaben mit ihren Skateboards herumrasen. Dieses Verhalten wird permanent verstärkt. Eltern müssen sich auch mal fragen: Gehen sie mit Mädchen und Jungen gleich um? Oder schliessen sie das Mädchen nach einem Sturz in die Arme: «Oh, du Armes», und beim Buben sagen sie: «Steh auf, das ist nicht so schlimm». Wenn man das in der Kindheit tausendmal erlebt, wirkt das prägend.
Eine Umfrage in unserem Bekanntenkreis ergab, dass einige Teilzeitväter den Effort mit Sonnencreme, Zähneputzen oder Obstwaschen nicht so ernst nehmen à la «was mich nicht umbringt, macht mich stärker». Bei anderen gibt es täglich Pommes und Fischstäbchen. Sind ungesunde Ernährung und Karies der Preis für die Arbeitsteilung?
Es braucht Toleranz und jeder Partner muss seinen Raum kriegen. Aber wo es ernsthafte Gründe gibt, Verhaltensweisen zu kritisieren, muss man das tun. Als Mutter würde ich da die Zähne eben selber putzen. Aber ab und zu Pommes und Fischstäbli bringt die Kinder nicht um.
Hat das Laisser-Faire damit zu tun, dass Männer denken: Wenn schon zwei Tage Hausmann, koche ich sicher nicht auch noch Broccoli?
Gut möglich. Viele Männer haben einen unbekümmerten, sorglosen Umgang mit sich selbst – so wurden sie als Buben erzogen –, und Mühe, davon wegzukommen zu einer angemessenen Fürsorge für Kleinkinder. Sie müssen da hineinwachsen, bis sie es nicht mehr so unmännlich finden.
Der grössere Freiraum ist für die Kinder auch eine Chance. Wächst aktuell eine Generation an Ronja Räubertöchtern und Pippi Langstrümpfen heran?
Ab dem Vorschulalter können Kinder von Vätern, die sie gewähren lassen, profitieren. Mal auf einen Baum steigen oder auf ein Klettergerüst, ohne dass jemand darunter steht und zittert, tut gut. Aber die Ronja Räubertochter, die können sie auch von der Mutter lernen.
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Anna Kardos wollte als Kind Seiltänzerin oder wenigstens Primaballerina werden. Ein Geigendiplom und ein Literaturstudium später lässt sie heute stattdessen ihre Finger über die Tastatur tanzen auf den Kulturredaktionen bei CH Media oder seit Sommer 2020 bei der «NZZ am Sonntag», als Moderatorin und Publizistin. Wo es um das Thema Kultur, Kinder sowie die Kombination von beidem geht, schlägt ihr Herz höher.