Aus dem Vaterland
«Mann, rede mit mir!»
Väter sind einsame Indianer und kennen keinen Schmerz. Das Schweigen muss gebrochen werden, findet unser Kolumnist Nils Pickert. Er plädiert dafür, mit den Wölfen zu heulen.
Wenn das Netzwerken unter Vätern so cool wie die Matrix wäre, würden alle Männer mitmachen. Lange schwarze Mäntel, spiegelnde Sonnenbrillen, Mann nickt sich kurz zu. Wenn einer einen Löffel verbiegen kann, räuspern sich die anderen anerkennend. Ansonsten kämpft jeder für sich allein den scheinbar aussichtslosen Kampf, den eigenen Nachwuchs aus dem Gröbsten rauszubekommen – und das in einer Gesellschaft, die für Kinder und deren Erziehungsberechtigte ungefähr das gleiche Interesse aufbringt wie ein Maschinenplanet es tun würde.
Das soziale Netz unterscheidet sich jedoch deutlich von dem aus den stylishen grünen Schriftzeichen. Es erfordert bestimmte Fähigkeiten, die den meisten Männern abgehen, weil man ihnen nie die Gelegenheit dazu gegeben hat, sie spielerisch zu erlernen. Während also in unserer Kindheit unsere Schwestern, Freundinnen und Klassenkameradinnen dazu angehalten wurden, ihre Fähigkeiten in sozialer Interaktion an Puppen und aneinander zu schulen, waren wir Indianer und kannten keinen Schmerz. Und wenn wir ihn doch kannten, haben wir niemandem davon erzählt – schon gar nicht anderen Indianern, denn dann wählen sie einen ja nie zum Häuptling.
Auf vielfache Weise handeln die Jungen in uns, die wir waren, auch heute noch so. Wir gehen nicht zu Ärzten, wir beissen uns durch, geben uns unberührt und sind nicht daran interessiert, unsere Gefühlslage zu kommunizieren. Zum Ausgleich jammern wir schon mal eruptiv, wenn uns irgendein Wehwehchen plagt oder dramatisieren eine Problemlage dermassen, dass es uns sinnvoll erscheint, unsere gesamte Lebensplanung über den Haufen zu werfen, weil angeblich alles so furchtbar und festgefahren ist, dass Mann es nicht mehr lösen kann. Alles bloss, um nicht drüber zu reden. Leider kennt der grosse Indianer, der keinen Schmerz kennen durfte, sich selber auch nicht und bietet allzu oft in der Kontaktaufnahme lediglich Funktionen an: Indianer zum Beispiel, oder auch Ernährer, Vater, Liebhaber. In hellen Momenten wundert Mann sich dann darüber und ist verärgert, dass der oder die andere einen nicht so nimmt, wie Mann ist.
Aber wie ist Mann eigentlich? Auf jeden Fall ist er nicht schwatzhaft, sondern eher maulfaul. Besonders wenn es darum geht, eine Situation zu besprechen, die Mann niemals vollständig unter Kontrolle hat und die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, dass Erfolge immer provisorischer Natur sind. Kinder haben, ist so eine Situation. Kinder sollen und können in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht vollständig kontrolliert werden. Und die Tatsache, dass sich der oder die Kleine mit sieben Jahren relativ vernünftig gibt, ist noch lange kein Indiz dafür, dass er oder sie nicht in der Pubertät komplett ausrastet.
Alles Dinge also, über die Mann mal reden sollte. Und zwar nicht nur in jenen allseits bekannten Kategorien «mein Haus», «mein Auto», «mein Pferd». Mann könnte durchaus auch über Dinge sprechen, die noch in Bewegung sind, in Arbeit und nicht vollkommen abgeschlossen. Darüber, wie es einem mit den Kindern geht, wie der andere seinen Job auf die Reihe bekommt und dass man meistens ziemlich erschöpft, aber glücklich ist. Wenn Mann sich danach fühlt, darf Mann ruhig auch mal aufheulen. Das ist wie bei den Wölfen – hat einer erst einmal angefangen, stimmen die anderen mit ein.