Geburt mit Doula
Doula als Begleiterin bei der Geburt
Was macht eine Doula? Wir begleiten Geburtsbegleiterin Martina Dolder vom Doula Verband Schweiz.
Doula Martina Dolder kniet neben der Badewanne. Sie hat soeben die Hausgeburt von Timea begleitet. Fünf Minuten alt ist das Baby, es schlummert auf der Brust seiner Mutter Carole Bohrer, die mit geschlossenen Augen in der Wanne liegt, glücklich. Ehemann Dani Bohrer fängt den unvergesslichen Augenblick mit der Handykamera ein. Eine Erinnerung für die Ewigkeit.
Doula bedeutet, frei übersetzt aus dem Altgriechischen «Dienerin der Frau». Man nennt sie auch «Zeugin der Geburt» oder ganz einfach «Geburtsbegleiterin». Die Doula übernimmt keinerlei medizinische Aufgaben. Dafür sind Hebammen und Ärzte zuständig.
Eine Doula kümmert sich ausschliesslich um das Wohlbefinden der Gebärenden, des Partners und deren Bedürfnisse. Dass Frauen, die bereits selber geboren haben, andere Frauen beim Gebären begleiten, ist eine alte Kultur, die seit Jahrtausenden praktiziert wird. In vielen Ländern bis heute. Frauen werden von Müttern, Schwiegermüttern, Schwestern oder Freundinnen begleitet. Oder eben von professionellen Doulas. Es ist statistisch erwiesen, dass sich die Betreuung einer vertrauten Person positiv auf den Geburtsverlauf auswirkt. In den wenigsten Spitälern kann diese Betreuung gewährleistet werden, deshalb begrüssen auch viele Hebammen die Anwesenheit einer Doula. In der Schweiz gibt es 150 ausgebildete Doulas, die dem Verband Doula Schweiz angehören. Das Doula-Begleitungs-Paket kostet ab Fr. 900.–.
➺ Mehr Infos unter: doula.ch
Die Doula als Vertraute
Viereinhalb Monate zuvor: Mollis, 5. Januar 2019. Dicke Flocken wirbeln durch die Luft, der erste grosse Schnee fällt ins Flachland. Durch das dichte Schneetreiben fährt ein Auto, Zürcher Nummernschilder. Am Steuer sitzt Martina Dolder. Die Doula ist auf dem Weg zu Dani und Carole Bohrer.
Die Begrüssung ist herzlich, Gelächter, Umarmungen. Alte Freunde, denkt man. Doch die drei verbindet ein anderes spezielles Erlebnis. Martina Dolder hat das Ehepaar bei der Geburt der ersten Tochter, Selina, als Doula begleitet. Dass sie sich heute treffen, hat einen besonderen Grund. Carole Bohrer ist wieder schwanger. Im sechsten Monat. Die Bohrers wollen für die Geburt des zweiten Kindes wieder die Dienste «ihrer» Doula in Anspruch nehmen. Sie alle haben eingewilligt, dass ich ihre Treffen begleite.
Im Wohnzimmer, am langen Holztisch, sitzt Selina, zerteilt genüsslich ein grosses Stück Kuchen, schiebt sich volle Gabeln in den Mund. Selina ist jetzt zweieinhalb Jahre alt. Bald wird sie grosse Schwester sein.
Doula - für wen?
«Als Carole damals von dieser Doula erzählte, war ich überhaupt nicht begeistert», erzählt Dani Bohrer. Er hatte keine Ahnung, wofür eine Doula gut sein soll, sagt er. Und er hatte sich nicht vorstellen können, bei einem derart intimen Ereignis eine fremde Frau dabei zu haben: «Wozu auch? Ich bin ja da, um dir beizustehen», habe er gesagt. Zweifelte sie an seinen Kompetenzen?
Carole Bohrer relativiert: «Nicht, dass ich es ihm nicht zugetraut hätte. Doch wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukommt.» Falls ihr Mann bei der Geburt ausfallen würde, wollte sie jemanden dabei haben, der sie und ihre Wünsche kennt, dem sie vertrauen kann. Dani Bohrers Skepsis legte sich, als er Martina Dolder kennenlernte. Er fand sie sympathisch.
Die Studie aus dem Jahr 2012 über «Kontinuierliche Unterstützung für Frauen während der Geburt» der Cochrane Collaboration, einem weltweiten Netz von Wissenschaftlern und Ärzten, wurde mit 15288 Frauen durchgeführt. Die Gebärenden mit Doula an der Seite hatten:
♦ 50% weniger Risiko, per Kaiserschnitt zu gebären;
♦ 41% weniger Risiko, mit Saugglocke oder Zange zu gebären;
♦ 28% weniger Risiko, irgendein Schmerzmittel oder eine Anästhesie zu erhalten;
♦ 33% weniger Risiko, unzufrieden zu sein oder ihre Geburtserfahrung negativ zu beurteilen.
Die Doula bei der Geburt
Beim ersten Vorgespräch für die zweite Geburt lassen sie zuerst noch einmal die Geburt von Selina Revue passieren. «Ich war überzeugt, dass es eine schöne, leichte Geburt werden wird», erzählt Carole Bohrer. Doch daraus wurde nichts. Die Geburt im Spital dauerte 30 harte Stunden.
Das Paar war froh um Martina Dolder, die während der ganzen Zeit bei ihnen war. Denn eine Doula kennt keinen Schichtwechsel, sie bleibt an der Seite der Frau, des Paares, bis das Baby da ist.
«Es ist gar nicht viel, was ich mache. Es sind kleine Dinge wie ein Glas Wasser bringen, beim Baden das Frotteetuch unter dem Kopf richten, Mut machen», so Martina Dolder.
Kleine Dinge, doch genau die können den Geburtsverlauf positiv beeinflussen. Sie hat Carole Bohrer getröstet und unterstützt, als diese nach 24 Stunden ohne Schlaf und Erbrechen im Zehnminutentakt einfach nicht mehr konnte. Als sie, entgegen ihren Vorsätzen, aus Erschöpfung eine Periduralanästhesie (PDA) verlangte.
Die Doula hat sich um den werdenden Vater gekümmert, hat ihm Tipps gegeben, wie er seine Frau unterstützen kann. «Man weiss ja im Voraus nicht, dass man hilflos dasteht, sich fragt, was um Himmels Willen man tun soll», so Dani Bohrer. Und wollte er eine Pause machen, «konnte ich das tun mit der Gewissheit, dass Martina für Carole schaut». Als Selina geboren war, zum Hochzeitslied ihrer Eltern, machte die Doula ein Foto. Als die kleine Familie versorgt war, ging sie.
Draussen nahm sie als Erstes ihre «Notnagel-Zigarette» aus der Doula-Tasche. Dann fuhr sie zu einer Freundin: «Kannst du mich in den Arm nehmen?» Auch die Doula war total erschöpft.
Die Doula hilft verarbeiten
Sie sind emotional, diese Erinnerungen. Alle haben Tränen in den Augen. Dass die schwere Geburt trotzdem als ein schönes und stärkendes Erlebnis in Erinnerung bleibt, sei der Doula zu verdanken, ihrer Anwesenheit und dem Nachgespräch nach der Geburt, sagen die Bohrers.
Doch eigentlich gehts heute um die Zukunft und die zweite Geburt. Und wieder hat Dani Bohrers Frau eine Idee, die ihm Kopfzerbrechen verursacht. Carole Bohrer möchte eine Hausgeburt. «Was ist, wenn was schiefläuft?»
Und dann das Thema Hygiene: «Ich weiss noch gut, wie das ausgesehen hat. Das Bett wäre ruiniert», moniert er. Er brauche Zeit, sagt er. Und sie: «Wenn Dani lieber keine Hausgeburt will, dann tun wir es nicht.» Nur eine Sache ist für beide indiskutabel. Die Doula. Sie könnten sich nicht vorstellen, ohne sie zu gebären.
Doula bei Kaiserschnitt
29 Geburten hat Martina Dolder begleitet. Die zweite Geburt der Bohrers wird ihre 30. sein. Die Doula begleitet Frauen und Paare bei Geburten in Spitälern, in Geburtshäusern und bei Hausgeburten, bei geplanten Kaiserschnitten und sie bleibt dabei, wenn ein Kaiserschnitt unter der Geburt nötig wird. Sie begleitet Singlemamis und Frauen, deren Männer nicht bei der Geburt dabei sein möchten. «Wichtig ist, dass die Chemie zwischen den Beteiligten stimmt», sagt sie. Zweimal hat sie einem Paar eine Kollegin empfohlen. «Es hat einfach nicht gepasst.»
Als Doula vom Beruf leben?
Martina Dolder hat sich 2007 zur Doula ausbilden lassen. Seit 2018 ist sie Präsidentin vom Verband Doula Schweiz. «Leben», sagt sie, «kann man von dieser Arbeit nicht». Die garantierte Präsenzzeit von einem Monat – zwei Wochen vor und zwei nach dem errechneten Geburtstermin – lassen nicht unzählige Engagements zu. Doula sein, sei mehr eine Herzensangelegenheit als eine lukrative Erwerbsmöglichkeit.
Mollis, 13. April 2019. Zweites und letztes Treffen vor der Geburt in rund sechs Wochen. Martina Dolder hat zwei mit Fragen bedruckte A4-Seiten vor sich auf dem Tisch liegen. Es gibt noch so einiges zu besprechen. Klar ist jetzt, dass es eine Hausgeburt geben wird. «Es war ein Prozess, jetzt stimmt es für mich», sagt Dani Bohrer.
Die Hebamme für die Hausgeburt hätten sie kennengelernt, «eine sympathische, kompetente Frau, wir haben ein gutes Gefühl mit ihr». Kurz vor der Geburt werden sich die Doula und die Hebamme auch noch persönlich kennenlernen. Damit man sich nicht ganz fremd ist, und damit die Rollen beider Frauen geklärt sind.
Carole Bohrer ist ein Planungsfreak. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein dickes Mäppchen, gefüllt mit Infos, Listen und Memos für jeden erdenklichen Fall rund um die Geburt. Kürzlich hat sie sich weinend am Telefon bei Martina Dolder über ihren Mann beschwert, weil der sich so gar nicht für den Inhalt des Mäppchens interessiere. Dolders Antwort: «Vertrau auf euch und leg die Listen und Bücher beiseite. Bei der Geburt kannst du dich auf deinen Mann verlassen. Und grüss mir Dani und richte ihm aus, dass ich ihm viel Kraft wünsche mit seiner hormongesteuerten schwangeren Frau.» Als sie dies erzählen, lachen sie alle.
Die Doula steht für die Gebärende ein
Nun will die Doula wissen, was das Paar sich für die Geburt wünscht, wie es die Geburt plant. Sie leitet das Gespräch, interveniert wenn nötig und spricht Themen an, die relevant sind. Auch Unangenehmes lässt sie nicht aus, wie etwa eine allfällige Einweisung ins Krankenhaus bei Komplikationen. Carole Bohrer wünscht sich, ungestört zu gebären und während der Geburt die über Wochen eingeübte Hypnose anwenden zu können. Sie sind gespannt und gestärkt, die Bohrers, bereit für die Hausgeburt und sehen ihr mit einer gewissen Gelassenheit entgegen. Denn selbst wenn sie ins Krankenhaus müssten: «Unsere Hebamme könnte nicht mitgehen, aber Martina schon.»
«Es ist mir wichtig, dass alle Frauen am Tag der Geburt voller Selbstvertrauen in sich und ihren Körper sind und sich voller Vorfreude auf dieses grosse Ereignis einlassen können», sagt die Doula. Und sie findet es zudem schön, dass sie auch die Väter unterstützen darf, wenn das Bedürfnis da ist.
23.05.2019, 19.28 Uhr: «Du darfst die nächsten Stunden gerne etwas Energie nach Mollis schicken, ich bin unterwegs, es geht los», schreibt die Doula auf mein Handy. Gedanken machen sich auf den Weg, beste Wünsche, und obwohl ich nicht direkt beteiligt bin, ist da Spannung und leichte Nervosität. Stunden später die nächste Nachricht: «Klein Timea ist um 22:35 geboren. Es geht allen gut, und sie sind überglücklich.»
Die Geburt war so, wie sie es sich gewünscht hatten, «sie war rundum schön», erzählt Carole Bohrer drei Wochen später am langen Holztisch im Wohnzimmer. Neben ihr sitzt Dani Bohrer, Baby Timea auf seinen Beinen. «Zwar hatte ich heftigste Wehen und war unglaublich laut, das hatte ich mir tatsächlich anders vorgestellt», so Carole Bohrer. Doch wenn sie glaubte, sie könne nicht mehr, «gaben alle drei mir die nötige Kraft und ich wusste, alles wird gut».
Auch für Dani Bohrer war diese Geburt zu Hause ein «unglaublich schönes Erlebnis». «Wir waren nur unter uns, alles war sehr entspannt und unaufgeregt.» Die Hebamme, die keine unnötigen Interventionen vornahm und Carole Bohrer gebären liess, so wie sie es sich gewünscht hatte, und «mit Martina war eine gute Seele mehr im Raum». «Es war perfekt, besser kann man sich eine Geburt nicht wünschen», sagt Dani Bohrer.
Die Doula ist gerührt. Denn eigentlich konnte sie dieses Mal gar nicht viel tun. Sie hat die Lichterkette aufgehängt, Kerzen angezündet. Sie war einfach da. Und dann kam auch schon das Baby. Spät in der Nacht, als die kleine Familie längst im Ehebett lag und die Doula sie mit Sandwiches versorgt hatte, fährt sie nach Hause. Die «Notnagel-Zigarette» braucht sie dieses Mal nicht.
«Als Doula habe ich immer wieder Zweifel. Braucht es mich überhaupt?» Es sei einfach nicht selbstverständlich, dass sie bei solch intimen Erlebnissen dabei sein dürfe. Und jedes Mal nach einer Geburt sei da etwas Heiliges, was sie und die Paare verbinde. «Es ist zwar nur ein Beruf. Doch es ist mir jedes Mal eine grosse Ehre.»
Für Carole und Dani Bohrer ist die Doula eine Vertraute geworden – wenn auch nur auf Zeit. Denn heute, nach dem Nachgespräch, trennen sich ihre Wege. Das Auto mit den Zürcher Nummernschildern fährt ein letztes Mal davon, in den Abend hinein. Was bleibt sind gute Erinnerungen. Und der zweite Name von Timea. Martina.