Vanlife
Ferien im VW-Bus
#Vanlife liegt im Trend: Doch warum wollen eigentlich plötzlich alle Büssli-Ferien machen? Und wie erholsam ist der Urlaub als Familie auf kleinstem Raum tatsächlich?
In diesem Artikel erzählen zwei Familien von ihren unvergesslichen Büssli-Ferien. Dabei war eine Familie mit einem fünfmonate alten Baby und die andere Familie mit ihren etwas älteren Kindern unterwegs.
Bis zu 75'000 Franken kosten die VW-Busse Modell T1, T2 und T3, die auf dem Schweizer Online-Marktplatz Tutti im Frühjahr 2020 angeboten werden. Die hohe Nachfrage treibt die Preise der Büssli-Oldtimer in die Höhe. Schon in den 1950er-Jahren machten Surfer in Kalifornien den VW-Bus zur Legende, zum Symbol ihres unbeschwerten Lebensstils.
#vanlife hat über 6 Mio. Posts
Zurzeit herrscht um den Bulli aber ein regelrechter Hype, nicht zuletzt aufgrund der hohen Präsenz von überaus attraktiven Bildern auf Plattformen wie Instagram. Der Amerikaner Foster Huntington postete im Oktober 2011 das erste Mal unter dem Hashtag #vanlife. Heute existieren zu diesem Schlagwort über sechs Millionen Posts. Buchverlage überbieten sich mit Fotobänden und Reportagen über Roadtrips im Van. Während Vanlife im engeren Sinn für das nomadische Leben «on the road» steht, ohne festen Wohnsitz und mit minimalem Besitz, fühlen sich auch viele Büssli-Fans davon angesprochen, die nur zwischendurch übers Wochenende oder in die Ferien verreisen.
Camper-Van als Verkaufsrenner
Camper-Vans haben die Schweizer Strassen erobert, was sich auch in der Zahl der Neuzulassungen von Wohnmobilen zeigt: Wurden 2009 erst rund 1'600 Wohnmobile neu zugelassen, waren es 2019 rund 4'800 – eine Zunahme von 200 Prozent innert zehn Jahren. Gemäss Caravaning Suisse machten 2019 vor allem Neuzulassungen von Vans wie VW California oder Mercedes-Benz Marco Polo den Zuwachs aus. Eindrücklich schliesslich auch diese Zahl von Auto Schweiz zur Immatrikulation von neuen Personenwagen: Nur 13 andere Automodelle in der Schweiz wurden 2019 häufiger gekauft als der VW California (T6). Anders als SUVs bleiben die ebenfalls grossen VW-Busse weitgehend von Kritik verschont. Obwohl sie weder in puncto Sicherheit (für Fussgänger) noch Ökologie besonders gut abschneiden. Die Camper profitieren vom netten Surfer- und Hippie-Image.
Lifestyle für junge Familien
Wer lieber mieten statt kaufen will, hat die Qual der Wahl: Spezialisierte Anbieter vermieten moderne top ausgerüstete oder eben nostalgische Vans. Büssli-Fans tragen zur steigenden Nachfrage nach Campingplatz- Ferien bei: «Wir stellen die Zunahme der Kompaktwohnmobile und Camper auf unseren Plätzen fest», sagt Oliver Grützner vom TCS. «Vermehrt wollen sich wieder urbane Paare und junge Familien den Traum vom Roadtrip verwirklichen.» Eine Campingwoche im Bus soll das Bedürfnis nach Entschleunigung, Freiheit, Individualität, Nähe zur Natur und Abenteuer befriedigen. So sagt etwa Journalistin Tina Fassbind, die seit mehreren Jahren Ferien in einem VW T3 macht: «Mit einem Büssli entscheidet man sich für einen gewissen Lebensstil. Vor allem mit einem altem Büssli geht es sehr viel gemächlicher zu und her. Der Weg ist das Ziel. Man erlebt seine Umwelt bewusster und intensiver, wenn man so entschleunigt unterwegs ist.»
Während Millionen von Bildern auf sozialen Medien das Leben im Camingbus als überaus romantisch, naturnah, abgeschieden darstellen, sollte man sich davon nicht blenden lassen. Abgeschiedenheit ist kaum um die Ecke zu finden, wildes Campieren in vielen Ländern verboten, die Platzverhältnisse im Bus sind äusserst begrenzt. Ist das Leben im Camper-van also so friedlich, wie das Lied «Hippie-Bus» von Dodo suggeriert? Zwei erfahrene Büssli-Fans mit Familie berichten nachfolgend, was den Reiz von #vanlife ausmacht und wie Urlaub im Bus wirklich ist.
Journalistin Tina Fassbind und ihr Mann, Fotograf Holger Salach, machen mit ihren Kindern seit Jahren Ferien in einem VW Transporter T3 Joker, genannt Berta. Hier folgen ihre Fotos und Erinnerungen an eine unvergessliche Fahrt im Sommer 2019.
Holger Salach
Holger Salach
Holger Salach
Ich liebe Büssli-Ferien, weil…
…wir mit Berta unser Zuhause an die wunderschönsten Orte mitnehmen können – inklusive direkten See-, Fluss- oder Meeranstoss.
Verzichten könnte ich auf…
nasskalte Ferientage. Einer geht. Ab zwei wird es mühsam.
Der schönste Stellplatz
Den darf ich nicht verraten, sonst ist es kein Geheimnis mehr. Aber es gilt die Faustregel: Je weniger Wohnmobile und Saisoncamper es auf einem Platz hat, desto entspannter ist die Atmosphäre. Sorry, ist einfach so.
Mein ultimativer Tipp
Jede und jeder Mitreisende hat seine eigene Kleidertasche. Das hilft, im Chaos den Überblick zu wahren.
Die grosse Freiheit auf 4 m²
Losreisen ohne Plan und immer genau da zu Hause sein, wo man gerade parkt – so machen Büssli-Ferien richtig Spass. Es dauerte allerdings seine Zeit, bis Autorin Tina Fassbind und ihre Familie so weit waren.
«Lass uns in diesem Sommer nur mit dem Minimum losfahren», schlug ich letzten Frühling vor. «Und keine Campingplätze! Einfach irgendwo hinstellen, Dach hoch, fertig.» Der Vorschlag kam bei allen so gut an, dass wir uns fragten, weshalb wir das nicht schon früher gemacht haben.
Aber früher, da war ich froh um fliessend Warmwasser, wenn eine Windel den Inhalt nicht zu schlucken vermochte. Da war ein Spielplatz ein Ort der Entspannung für uns Eltern. Oder ein Tisch vor dem Büssli Garant dafür, dass das Wageninnere nicht mit Brei und Farbstiften umgestaltet wurde. Und der Strom für den Kühlschrank, der irgendwie nicht mehr mit Gas funktionieren will, war auch ganz praktisch.
Kaffe und Popcorn-Pfanne
Inzwischen ist der Unterhalt der Kinder weniger aufwendig. Infrastrukturen braucht es keine mehr. Also stand unserer Reise mit leichtem Gepäck nichts im Weg. Schlafsäcke, Kleider und Badezeug im Heck. Im Schrank Cornflakes für den Neun- und den Zehnjährigen, Kaffee für die Eltern zum Frühstück, dazu eine Packung Spaghetti und Sauce, sollte uns im Nirgendwo der Hunger plagen. Natürlich musste auch noch die Popcorn-Pfanne fürs offene Feuer mit. Ohne gehts nicht mehr.
In fünf Schweizer Seen haben wir in diesem Sommer gebadet, uns in unzähligen Flüssen und Bächen gekühlt. Dazu ein Picknick am Ufer, in einem Waldstück oder am Wegrand einer Wanderung. Kochen? Nicht dieses Mal. Znacht gönnten wir uns im Restaurant – schliesslich fielen ja die Campingkosten weg.
Es waren die besten Ferien überhaupt. Einmal mehr. Denn eigentlich sind alle Reisen in unserem VW-Büssli Berta die besten. Selbst wenn es mal nicht rund läuft. Dann sind wir eben um eine Erfahrung reicher, über die wir später zu Hause im Trockenen herzhaft lachen können.
Wie beispielsweise jene, als wir unsere Wäscheleine wie eine gewaltige Wimpelkette über den ganzen Campingplatz spannen mussten, weil es in den Herbstferien nur einen richtig trockenen Tag gab. Oder als das Vordach in einer Sturmnacht hochgerissen wurde und die Zeltstangen, Orgelpfeifen gleich, flötend zu Boden krachten, sodass wir aus den Schlafsäcken schossen und mit dem ganzen Adrenalin im Blut nicht mehr einschlafen konnten.
Ein perfekter Sommertrip
In diesem Sommer aber war alles perfekt: das Wetter, die Stimmung, die Tour. Jeden Abend sind wir in entlegenen Bergtälern der brütenden Hitze entflohen. Immer ein anderer Ort, jeder schöner als der andere. Und weil wir uns nie ungefragt irgendwo zum Schlafen hingestellt haben, gab es nur freundliche Begegnungen: «Klar könnt ihr euren Bus dort hinstellen. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch unsere Toilette und die Dusche da drüben im Stall benutzen.»
Kein Wunder, überkam uns die Wehmut, als wir Berta auf einem Wiesenstück neben einer Passstrasse für unsere letzte Nacht parat machten. Später – Oski schlummerte bereits selig in der oberen Koje, Paul lag unten im Bett mit offener Heckklappe – blickten mein Mann und ich noch ein wenig hoch zum Himmel. Die Sterne schienen in jener Nacht so nah, als könnte man sie vom Himmel pflücken.
Just in dem Moment, als wir mit einem Glas Wein auf die wunderschönen Tage anstossen wollten, huschte etwas Grosses lautlos über uns hinweg: ein Uhu auf seiner nächtlichen Tour. Als wollte er uns Adieu sagen. So etwas gibt es einfach nur im Hotel Berta. Die ganz grosse Freiheit auf vier Quadratmetern. Ich kann es kaum erwarten, bis wir mit ihr die nächsten Erinnerungen erschaffen werden.
Journalist Pablo Rohner war mit seiner Partnerin und dem fünfmonatigen Sohn fünf Wochen lang in Italien unterwegs. Hier folgen Pablo Rohners Erzählung und Fotos des Urlaubs im Büssli.
Pablo Rohner
Pablo Rohner
Pablo Rohner
Ich liebe Büssli-Ferien, weil…
sie eine perfekte Mischung aus Roadtrip und Campingromantik sind.
Verzichten könnte ich auf…
entgegenkommende Wohnmobile auf leitplankenlosen Bergstrassen.
Schönster Stellplatz
Wind Beach Talamone, Toskana
Mein ultimativer Tipp
Die App «Park4Night», die von Usern eingetragene Stellplätze anzeigt. Einer ist immer in der Nähe.
Häuslichkeit am Strassenrand
Fünf Wochen im VW-Bus mit einem fünfmonatigen Baby: In den ersten Büssli-Ferien als Familie gab Baby Theo Takt und Reisetempo vor.
Wir wollten schnell ans Meer. Familienferien in Italien – das fanden wir als Kinder immer toll und wir waren sicher, dass wir es auch als frische Eltern toll finden würden. Und Theo, unser fünf Monate alter Sohn, hoffentlich auch. Es waren unsere dritten längeren Ferien mit dem VW-Bus meiner Partnerin Sandra – T3, Baujahr 1990 – und die ersten zu dritt.
Die Faszination Büsslireisen spannt sich ja zwischen zwei scheinbar gegensätzlichen Polen. Da ist zum einen der Alltag unterwegs mit seiner alternativen Häuslichkeit. Dazu gehören Rituale wie das tägliche Kaffeekochen am Morgen und die kleinen Freuden, die es mit sich bringt, sich immer wieder an einem neuen Ort mit seinen tausend praktischen Sachen einzurichten. Den Tisch, die Stühle, den Gaskocher, die Moskitokerzen aufstellen. Und dann: Kaffee trinken, lesen, kochen, nichts tun, im Campingstuhl hängend.
Und zum anderen ist da die Euphorie über die völlige Offenheit des Tages, die uns überkommt, wenn wir am Morgen die Seitentüre aufschieben und uns den Ort anschauen, zu dem wir in der Nacht noch gefahren sind. Das Gefühl, das uns sagt: Wir bleiben solange hier, wie es uns gefällt. Oder wir fahren weiter, weiter Richtung Meer. Und sind am Abend ganz woanders.
Doch selbst der stärkste Süddrang streicht die Segel, wenn ein Baby keine Lust mehr auf Fahren hat. Wir waren vorbereitet, glaubten wir. Trotzdem erwischte uns die Gnadenlosigkeit des neuen Passagiers auf dem falschen Pedal. Stoffbüchlein, Rasseln und Verhüllungsspiele mit diversen Textilien können höchstens etwas mehr als eine Stunde davon ablenken, dass es ziemlich öde ist, halb liegend, halb sitzend in einem Autositzchen in einem tuckernden alten Bus festgebunden zu sein. Wir lernten schnell: Viel Zeit für wenig Distanz einzuplanen macht alles entspannter. Oft waren es nicht mehr als 50 Kilometer an einem Tag. Länger fuhren wir bald nur noch in der Nacht, wenn Theo schlief. Ausserhalb von Dörfern und Städten entpuppten sich oft unscheinbare Plätze am Strassenrand als besonders praktisch: einfach anzufahren, selten besetzt und besonders in Ligurien ist man oft mit ein paar Schritten in wunderschönen Wandergebieten. Auch deshalb brannten sich die fünf Wochen zusammen so stark ein, glaube ich: Weil jede neue Entwicklung von Theo an einem neuen Platz, in einem neuen Licht geschah.
Bett, Wickeltisch, Spielplatz
Generell waren wir erstaunt, wie wenig sich das Unterwegssein im Bus mit Baby von den Erfahrungen unterschied, die wir auf unseren vorherigen Reisen gemacht hatten. Die mit einer Matratze belegte Platte, die bis auf den Eingangsbereich bei der Seitentür den ganzen hinteren Bus ausfüllt, diente gleichzeitig als Dreierbett, Wickeltisch und Spielunterlage. Dass Sandra Theo noch stillte, ersparte es uns, an unpraktischen Orten Wasser für die Zubereitung des Schoppens auf dem Campingkocher wärmen zu müssen. Und anstatt, wie ursprünglich geplant, täglich Gemüsebrei zu machen, kauften wir bald Gläschen im Supermarkt.
Die Logistik für Tagesausflüge war dafür zeitlich aufwendiger. Kommt die Eulenrassel oder der Netzball mit ins mittelalterliche Städtchen? An Nuschi und Nuggi gedacht? Wo ist der Beissring? Tee gekocht? Die Spieldecke? Sonnenschirm? Wickelzeug? Wenn wir dann alles hatten und mit vollgeladenem Kinderwagen und diversen Rucksäcken behängt durch enge Gässchen – zum Beispiel in der atemberaubenden Tuffsteinstadt Pitigliano – schaukelten, fragten wir uns manchmal, wie das diese Familien machten, die uns entgegenkamen, das einzige Gepäckstück ein schmaler Trekking-Rucksack.
Trotzdem liebten wir es, immer unser ganzes Zeug dabei zu haben; um jederzeit auf der nächstbesten Fläche einen Spielnachmittag verbringen zu können. Das auf der Reise durch das Land der tausend Sehenswürdigkeiten nicht zu vergessen, ist gar nicht so einfach. Aber Krabbeln lernt das Baby ja nicht im Autositz, Tragetuch oder Kinderwagen. Theo hat es am Strand gelernt, vor Viareggio, beim Turm von Mazza und unter den Schatten der Kitesurfer von Talamone. Und auf der Matratze auf der Platte, hinten im VW-Bus.