Kinderhospiz
Bald soll es Kinderhospize in der Schweiz geben
Gleich drei Kinderhospize sollen in den nächsten Jahren in der Schweiz entstehen. Im Fokus steht jedoch nicht das Sterben von Kindern, sondern die Lebensqualität betroffener Familien.
Ein Kinderhospiz ist ein Ort zum Sterben. Stimmt. Allerdings ist es weit mehr. Es ist ein Ort, an dem sich Eltern ausruhen können vom strapaziösen 24/7 Pflegedienst, der das Leben mit einem schwerkranken Kind bedeutet. Ein Ort, an dem Eltern ihre Kinder in Obhut geben und eine Auszeit nehmen können. Wo Geschwisterkinder wahrgenommen werden, die sonst im Alltag untergehen, weil die unheilbare Krankheit eines Bruders oder einer Schwester wie ein schwerer Mantel alles überdeckt. Wo kranke Kinder leben und auch mal vergessen können.
Einfach nur Kind sein, lachen und geniessen. Gemeinsam mit anderen Kindern. Und der Familie. Denn das Leichte ist dem schweren Alltag oft entwichen. Ein Kinderhospiz ist ausserdem nicht zwingend Endstation. Es ist ein Ort, den Familien aufsuchen, ihn aber auch wieder verlassen können. Und wiederkommen.
Und ja, letztendlich ist es der Ort, an dem die letzten Tage und der Abschied eines geliebten Kindes stattfinden können, in liebevollem und familiärem Rahmen, eng begleitet und palliativ betreut durch Fachpersonen.
Und wenn es dann vorbei ist, sind da Leute, die sich weiter kümmern. Familien in ihrer Trauer auffangen. Sich um Administratives sorgen. Einen Weg aufzeigen, wie es nun weiter gehen kann. Gesunde Trauer- und Abschiedskultur gehören dazu.
Denn trotz dem Fokus auf das Leben und die Lebensqualität ist es letztendlich wichtig, wie und wo ein Kind sterben kann. 5000 Kinder leben hierzulande mit einer Krankheit ohne Aussicht auf Heilung. Jedes Jahr sterben ungefähr 400 bis 500. Oft verbringen sie die letzten Tage ihres Lebens in Spitälern.
Laut der Pelican-Studie des Kinderspitals Zürich und der Uni Basel von 2016 sterben vier von fünf Kindern auf Intensivstationen. An einem Ort, der wenig familiäre Atmosphäre zulässt. In eher kalten Zimmern, zwischen piependen Maschinen.
Weniger als eines von fünf Kindern kann Daheim sterben, wie es sich viele Kinder eigentlich wünschen. Hier füllen Kinderhospize auch eine Lücke, werden Brücken zwischen Kliniken und Kinderzimmern. Sie sind also wichtige Orte. Für Menschen, denen das Schicksal einen richtig fetten Strich durch den Plan des Lebens gemacht hat. Im nahen Ausland funktionieren Kinderhospize so. Und nun werden auch in der Schweiz welche entstehen. Endlich.
Verschiedene Kinderhospiz-Projekte in der Schweiz mussten bisher auf Eis gelegt oder eingestellt werden. Meist aus finanziellen Gründen. «Kinderhospize sind bei uns nicht in den Gesetzen vorgesehen, darum existieren keine Tarifstrukturen», sagt Nicola Presti von der Stiftung Kinderhospiz Schweiz.
Die Abrechnungsmöglichkeiten für Dienstleistungen in einem Kinderhospiz dürften limitiert sein. Mangels Versicherungsgeldern und öffentlicher Beiträge muss der Aufbau und der Betrieb darum weitgehend mit Spenden finanziert werden.
«Dass Kinderhospize nicht mehr Lobby haben, liegt an der fehlenden Sensibilisierung in der Politik und der Öffentlichkeit», sagt Stephanie Escher, Mitinitiantin des Projekts Kinderhospiz Allani in Riedbach bei Bern.
Denn Sterben und Tod sind bekanntlich in unserer Gesellschaft ein Tabu. Geht es um Kinder, dann erst recht. Denn dass auch sie sterben, dieses Thema löst Unbehagen aus. «Genauso wenig ist das Bewusstsein vorhanden, wie anstrengend die Betreuung von todkranken Kindern für die betroffenen Familien ist», so Stephanie Escher.
Umfassende Entlastungsangebote fehlen oft. Die Stiftung Kinderhospiz Schweiz bietet jedes Jahr betroffenen Familien Ferienwochen in Davos an.
Das Projekt Allani ist eines von dreien, die derzeit in der Schweiz in Planung sind. Der gleichnamige Verein wurde 2016 gegründet. 2020 konnte ein über 100 Jahre altes, auf modernste Standards umgebautes Bauernhaus in Riedbach bei Bern im Kaufrecht gemietet werden.
Bei der Suche nach einem geeigneten Standort sei die Nähe zum Inselspital Bern wichtig gewesen, das in zehn Autominuten erreicht werden kann. «Um eine umfassende pädiatrische Palliative Care zu gewährleisten, ist die enge Zusammenarbeit zwischen dem Inselspital und Allani geplant», so Mitinitiantin Sarah Clausen.
Im April 2021 fanden Gespräche mit Investoren statt. Finanziert werden soll das Hospiz aus Spenden und von Partnern aus der Wirtschaft. «Von politischer Seite haben wir noch keine entsprechenden Signale bekommen», sagt Sarah Clausen. Der Kauf und der Umbau der Liegenschaft kosten rund sieben Millionen Franken.
Acht Kinder und ihre Familien sollen hier ein Zuhause auf Zeit finden und eine Auszeit nehmen können. «Die Dauer, die betroffene Familien bleiben können, ist nicht definiert», so Clausen. Läuft alles wie geplant, soll Allani 2022 eröffnet werden. Als erstes Kinderhospiz der Schweiz.
Auch die Realisierung der beiden anderen Projekte geht derzeit zügig voran. «Wir planen einen Neubau in einer Vorortsgemeinde von Zürich, in der Nähe des Kinderspitals», sagt Nicola Presti von Kinderhospiz Schweiz. Im Züricher Hospiz sollen bis zu zehn Familien aufgenommen werden können. «Wenn sich keine grösseren Schwierigkeiten in den Weg stellen, ist eine Betriebsaufnahme in der zweiten Hälfte 2023 denkbar», so Presti.
Finanziert werden sollen Investitionen und Betriebskosten mittels Spenden und Fundraising. Derzeit sei man mit verschiedenen Partnern aus Wirtschaft, Gesundheit und auch der öffentlichen Hand im Gespräch.
Wobei auf politischer Bühne noch viel Arbeit vor ihnen liege, so Nicola Presti. Immerhin: Eine Einzelinitiative von Nick Glättli (SP) 2020 für die Realisierung eines Kinderhospiz' wurde vom Kantonsrat deutlich unterstützt und an den Regierungsrat überwiesen.
Generationenübergreifendes Palliativ- und Hospizzentrum nennt der Verein Mehr Leben in Basel sein Projekt mit rund 40 Betten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Auch hier ist das oberste Ziel die Entlastung, die soziale Isolation zu vermeiden und den Sterbeprozess zu begleiten, in der Region Basel, aber auch über die nationalen Grenzen hinweg.
Nun hat der Verein eine grosse Liegenschaft mitten in der Stadt gefunden. Die Lage, so Präsident Henri Gassler, ist wichtig. «Das Leben mit dem Sterben soll nicht auf irgendeinem Hügel abseits der Gesellschaft stattfinden.» Mit dieser Liegenschaft sei man mitten im Leben.
Laut Henri Gassler wird bis Ende 2021 die Machbarkeitsstudie vorliegen. Unterstützung in der Projektentwicklung bekommt der Verein von der Berner Fachhochschule.
Ein Teil der Finanzierung steht, der Betrag im zweistelligen Millionenbereich für einen allfälligen Neu- oder Umbau wird mit Spendengeldern und allenfalls Beiträgen der öffentlichen Hand finanziert werden. Als Zeithorizont bis zur Eröffnung nennt Henri Gassler drei bis vier Jahre. «Jetzt legen wir richtig los, uns kann keiner mehr stoppen.»
Der Artikel erschien zuerst in der Mai-Ausgabe 2021 von «wir eltern».
Als Quereinsteigerin in den Journalismus schreibt Anita Zulauf erst für die «Berner Zeitung», die Migrationszeitung «Mix», nun bei «wir eltern» und als freie Journalistin bei dem Kulturmagazin «Ernst». Sie mag Porträts und Reportagen über Menschen-Leben und Themen zu Gesellschaft und Politik. Als Mutter von vier Kindern hat sie lernen müssen, dass nichts perfekt, aber vieles möglich ist.