Gärtnern mit Kindern
Wo Kinder ohne Garten gärtnern können
Ein eigenes kleines Beet pflegen – eine Erfahrung, die vielen Kindern Freude macht. Wer selber keinen Garten hat oder lieber mit anderen Kindern in der Erde wühlt, wird im Projekt Gartenkind glücklich. Ein Augenschein in Brugg, einem der 60 Standorte.
Es ist kurz vor 16 Uhr, Kim, Carlijn und Malo trudeln als Erste ein. «Hoi, Alexandra», rufen sie über den Rasen. Kursleiterin Alexandra Stalder (50) grüsst mit fröhlicher Stimme zurück. Die drei Achtjährigen springen über eine Rabatte und hüpfen eins nach dem anderen auf dem schmalen Weglein zu ihren Beeten.
Es ist ein warmer Sommertag Ende August und die Sonnenblumen stehen gerade in voller Blüte. Im Frühling hatte jedes Kind ein Stück Boden erhalten, die Erde krümelig geharkt, mit etwas Kompost angereichert und verschiedene Samen reingesteckt.
Radiesli und Sonnenblumenkerne waren besonders beliebt. Die Kinder haben gemulcht und gejätet, gegossen, wenn es tagelang trocken war, die wachsenden Pflänzchen gehegt und gepflegt. Die Radiesli sind rot und lecker geworden und schon lange in den kleinen Bäuchen verschwunden. Mittlerweile überragen die Sonnenblumen die Kinder, die jetzt zwischen ihnen herumturnen oder mit Augen und Fingern ihre zackigen Blütenköpfe untersuchen, deutlich.
Ein kleiner Sonnenblumenwald ist es geworden. «Die Kinder wollten dieses Jahr alle stehen lassen», erzählt Alexandra Stalder. «Ich finde es eigentlich nicht so gut; sie zehren viele Nährstoffe aus dem Boden, die den anderen Pflanzen dann fehlen. Aber die Kinder sollen Freude haben an ihrem Garten, das ist die Hauptsache.» Alexandra Stalder lacht, freut sich mit ihnen und ergänzt: «Es ist ihr Reich.»
Sumay (11)
Gartenkind: ein preisgekröntes Projekt
Einmal in der Woche am Mittwochnachmittag trifft sich die Gruppe von elf Kindern zum Gärtnern im Schulgarten in Brugg (AG). Entstanden ist der Kurs dank dem Projekt Gartenkind von Bioterra (siehe Box) und dem Engagement der Schule Brugg, die das Projekt fest in den Jahresplan und ins Freizeitangebot aufgenommen hat.
Bioterra, die sich für biologisches und naturnahes Gärtnern einsetzt, will Kindern in der Schweiz Zugang zu einem Garten ermöglichen, damit sie die Kreisläufe der Natur entdecken und erleben können, wie selbst gezogene Tomaten, Rüebli oder Erdbeeren schmecken.
2021 wurde das Projekt mit dem Schweizer Ethikpreis ausgezeichnet; Studierende der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Kantons Waadt vergeben diesen jedes Jahr für Projekte, die sich durch soziales und ökologisches Verantwortungsbewusstsein auszeichnen.
Jetzt ruft Alexandra Stalder die Kinder zu sich: «Heute graben wir im Gemeinschaftsbeet die Kartoffeln aus», kündigt sie an. Ein aufregender Moment! Wie gross wird die Ernte sein? «Das Kraut der Pflanzen ist schon länger vertrocknet und abgestorben, der Zeitpunkt ist also richtig», erklärt die Kursleiterin, die an einer Primarschule in Brugg als Klassenassistentin arbeitet und in einer Kita als Betreuerin tätig ist.
Reichlich Unkraut wächst auf dem Beet. Die Kinder holen Körbe und Kräuel aus dem Gartenhäuschen und legen los. Schon mit dem ersten Haufen Erde kommen die Früchte zum Vorschein.
«Lueg Alexandra, lueg grad drei miteinander!» Die Kinder graben eifrig und kommentieren immer wieder begeistert ihre Funde: «Oh mein Gott, das ist die grösste!» «Schaut mal, was ich für eine habe, wie die aussieht!» Die Kinder halten die Kartoffeln in die Höhe, zeigen sie einander. «Das sind lustige Härdöpfel dieses Jahr», meint Alexandra Stalder, «richtig coole Formen!» Aber dann schlägt die Begeisterung plötzlich in mildes Entsetzen um: «Alexandra, wähh, diese Kartoffel ist kaputt! Was ist das?», fragt Emily (8).
Alexandra Stalder
Mit zwei Fingern hält sie die faulig-braune Knolle von sich weg. «Das ist die Mutterkartoffel», weiss Alexandra Stalder. «Die haben wir im Frühling gesetzt, aus ihr sind all diese neuen schönen Kartoffeln entstanden.» Die Kinder riechen an der Mutterkartoffel, manche rufen erneut «wäähh!» und schliesslich legt Emily sie auf einen Holzbock neben das Beet. Luard, der bisher kaum gegraben hat, schnappt sich die Kartoffel und schneidet sie ohne erkenntlichen Ekel mit einem Messer entzwei. Während die anderen weitergraben, zerstückelt er den braunen Klumpen geschickt in immer kleinere Teilchen.
Anne Gabriel-Jürgens
Bioterra Saisonkurs: An knapp 60 verschiedenen Standorten in der Schweiz können Kinder im Unter- und Mittelstufenalter von Ende März/Anfang April bis Ende September unter Anleitung ein eigenes kleines Gartenbeet bepflanzen und pflegen.
Der Kurs findet wöchentlich während eineinhalb Stunden statt. In den Schulferien wechseln sich die Kinder beim Giessen ab. Kosten: Fr. 150.— bis Fr. 200.—.
Offene Gartennachmittage in Bioterra-Gärten: Gärten in der ganzen Schweiz bieten Kindern während der Gartensaison die Möglichkeit, zu bestimmten Zeiten unverbindlich vorbeizuschauen und Gartenluft zu schnuppern. Unter Anleitung können die Kinder kleine Gartenarbeiten übernehmen.
Das Angebot richtet sich an Kinder zwischen vier und elf Jahren, es ist kostenlos und findet bei jedem Wetter statt. An den meisten Standorten ist keine Anmeldung erforderlich. «Gartenkind» wird vom Migros Kulturprozent und von öffentlichen Stellen unterstützt.
Alle Infos und Standorte ➺ bioterra.ch/gartenkind
Beliebt: Graben und wässern
«Das ist das Schöne am Gärtnern mit Kindern: Wenn man sie machen lässt, finden sie immer etwas, das sie interessiert», sagt Alexandra Stalder, die sich als junge Mutter mit einem eigenen Garten einen Kindheitstraum erfüllt hatte und dort viel Zeit verbringt, als ihre Kinder noch kleiner waren auch mit der ganzen Familie. Die Kursleiterin weiss, was Kindern besonders viel Spass macht im Garten: graben und wässern. «Man sollte in jedem Garten einen grossen Erdwall haben, wo Kinder ausgiebig Löcher buddeln können. Zu spüren, wie sich Erde zwischen den Fingern anfühlt, mit den Händen im Dreck zu wühlen, sind wichtige Erfahrungen.» Seit drei Jahren leitet die Hobby-Gärtnerin Saisonkurse für das Gartenkind-Projekt und stellt fest, dass Gartenarbeit die Kinder zufrieden macht.
Allerdings: Arbeit will Sumay es nicht nennen. Der Elfjährige, der schon zum dritten oder vierten Mal im Saisonkurs ist, so genau weiss er das nicht, sagt überzeugt: «Schaffe? Nein, das ist Vergnügen. Hier gibt es immer etwas zu tun. Bei uns zu Hause ist es eher langweilig für mich.» Sumay hat einen Kübel voller frisch gegrabener Kartoffeln zum Wasserhahn getragen, füllt Wasser ein und reibt die Kartoffeln sauber. Zwischendurch wässert er mit dem Schlauch die umliegenden Beete und plaudert mit Malo, der in der Nähe Himbeeren nascht. Eine entspannte Stimmung liegt über dem Ort, der neben einem Tennisplatz und einer Musikschule liegt. Durch die offenen Fenster schweben Geigentöne in den Garten und manchmal finden die Kinder einen gelben Ball zwischen den Pflanzen.
Bald ist es Zeit für die Zvieripause. Die Mädchen haben Ringelblumen gepflückt und zupfen jetzt die orangen Blütenblättchen ab. «Wenn wir die verblühten Köpfchen trocknen, haben wir bereits wieder Samen fürs nächste Jahr», sagt Alexandra Stalder. Die Kinder packen ihr Zvieri aus. Das kleine Apfelbäumchen, das erst vor drei Jahren gesetzt wurde, steuert ein paar reife Früchte bei.
Woher kommt die Kartoffel?
«Wer weiss eigentlich, woher die Härdöpfel kommen?», fragt Alexandra die versammelten Kinder. «Aus dem Öpfel», witzelt Emily. «Aus Frankreich», meint Luard, und Kim geht auf Nummer sicher: «Aus dem Boden.»
Alexandra präzisiert: «Ursprünglich gab es bei uns keine Kartoffeln, sie kamen aus einem schönen Land zu uns, wer weiss, welchem?» – «Ein sehr schönes Land ist zum Beispiel Kroatien», sagt Sumay, der am Pfosten der Pergola herumturnt, «aber von da kommt die Kartoffel nicht, sondern aus Peru.» – «Genau», sagt Alexandra Stalder, «sie kommt aus Südamerika. Erdfrucht hiess sie da und Kolumbus hat sie nach Europa gebracht.»
Bald ist es halb sechs und die Kurszeit um. Die Kartoffelernte haben sich die Kinder aufgeteilt. Das Gemeinschaftsbeet ist geharkt und Gründünger angesät. Adrian (8) hat noch Rasen gemäht und Sumay hat entdeckt, dass die Harke wie eine Stimmgabel summt, wenn sie auf einen Stein trifft. Jemand bringt einen Engerling – oder ist es doch eine Raupe? – und legt sie ins Becherlupenglas. «Aber lasst sie wieder frei, bevor sie stirbt!», mahnt Sumay, der älteste der Gruppe.
«Ihr Lieben, ihr habt super gearbeitet. Jetzt haben wir noch viermal Kurs bis zu den Herbstferien. Was können wir noch machen?», fragt Alexandra Stalder. «Einen Chriesibaum pflanzen», ruft jemand. «Einen Pool aufstellen und baden.» – «Einen Wachstumstrank brauen, damit der Apfelbaum schneller wächst.» – «Ein Feuer machen und bräteln.»
Alexandra Stalder freut sich über die vielen Ideen und ergänzt: «Und auf dem Feuer machen wir etwas, das ihr mit nach Hause nehmen könnt, eine Überraschung.» – «Juhuuu!» Jetzt hüpfen die Kinder über die Beete, den schmalen Weglein entlang. Zufrieden verlassen sie ihren Garten, jedes mit einem Sack Kartoffeln in der Hand.
Veronica Bonilla wollte früher Fallschirmspringerin werden. Seit sie den freien Fall bei der Geburt ihrer Kinder erlebt hat, hat sich dieser Wunsch in Luft aufgelöst. Übergänge und Grenzerfahrungen faszinieren sie bis heute. Dabei liebt sie es, um die Ecke zu denken und sich davon überraschen zu lassen, was dort auftaucht. Und stellt immer wieder fest, dass ihr Herz ganz laut für die Kinder schlägt. Sie war bis 2022 auf der Redaktion fest angestellt, seither als Freie für das Magazin tätig.