Philosophie
Wieso, weshalb, warum?

Stüdyo Berlin
Der amerikanische Komiker Louis CK ist Vater zweier Kinder. Wenn er in einem Restaurant eine Mutter sieht, die ihrem Kind befiehlt, still zu sein und seine Pommes zu essen, fragt er sich nie, wieso sie so entnervt ist. Weil er weiss, dass Kinder ihre Eltern so lange mit Fragen löchern können, bis sie die ganze Welt dekonstruiert haben. Etwa so:
Papa, warum können wir nicht nach draussen gehen?
Weil es regnet.
Warum?
Naja, Wasser kommt vom Himmel runter.
Warum?
Weil es in einer Wolke war.
Warum?
Weil Wolken sich aus Dunst formen.
Warum?
Ich weiss nicht. Vielleicht weiss ich es einfach nicht mehr. Das ist alles, was ich weiss.
Warum?
Weil ich dumm bin, okay?
Warum?
Weil ich in der Schule nicht aufgepasst habe.
Warum?
Weil ich immer nur Unsinn gemacht habe. Meine Eltern hat es nicht gekümmert.
Warum?
Weil sie jung waren, als sie mich bekommen haben.
Warum?
Weil ich ein Unfall war und ihnen die Jugend versaut habe.
Warum?
Was weiss ich? Weil sie es nicht besser wussten.
Warum?
Weil sie auch schlechte Eltern hatten, vielleicht. Und die auch wieder schlechte Eltern waren, so geht es immer weiter.
Warum?
Weil wir alleine sind im Universum. Niemand kümmert sich darum.
Warum?
Weil es Dinge gibt, die einfach sind, okay? Und andere nicht.
Warum?
Weil Dinge, die nicht sind, können nicht sein, was weiss ich. Es kann einfach nicht alles sein.
Warum?
Ach sei ruhig und iss deine Pommes.
Wer kennt sie nicht, solche Dialoge. Vorangetrieben werden sie durch ein Missverständnis. «Allzu oft», sagt Kinderphilosophin Eva Zoller Morf, «vergessen Eltern, dass sich die Welt den Kindern genuin anders darstellt.» Kinder wollen alles wissen, weil sie sich die Welt erst noch erschaffen müssen. Sie suchen zwar auch konkrete Wissensantworten auf ihre Fragen, aber nicht nur. Oft geht es um den grösseren Zusammenhang, den Sinn des grossen Ganzen. Wie die grossen Philosophen wollen Kinder wissen, warum die Welt so ist, wie sie ist. Für Eltern ist das nicht immer lustig, denn manchmal will man einfach nur kochen und nicht stotternd nach Antworten suchen, die man selber nicht hat. Wer die Fragen der Kinder nicht als Intelligenz-Test begreift, sondern als Aufforderung zum gemeinsamen Nachdenken, der kann Wundersames erleben. Beim gemeinsamen philosophischen Gespräch dürften Eltern mitunter staunen, wie viel ihre Kinder schon von der Welt verstehen. Man braucht sie bloss zu fragen.
Eva Zoller Morf beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Kinderphilosophie, hat verschiedene Bücher dazu publiziert und bietet Seminare für Lehrer und Eltern an. Für ein philosophisches Gespräch, so sagt sie, braucht es keine philosophische Ausbildung. Sensibilität und ein paar methodische Grundbegriffe reichen. «Kinder haben ein genuines Verständnis dafür, dass es zu jedem Warum ein Darum gibt, und sie haben die Hoffnung, dass alles zu etwas gut ist», sagt sie. Der philosophische Zugang zu solchen Fragen besteht für die Erwachsenen darin, erst mal einzugestehen, dass man auch nicht auf alles eine Antwort hat. Aber dass man Vermutungen anstellen kann, wozu etwas gut sein könnte. Dann kann man die Vermutungen auf Logik und Wahrscheinlichkeit hin abklopfen. Und schon ist man mitten im philosophischen Gespräch.

Besser argumentieren
«Eltern und Kinder profitieren gleichermassen von solchen Gesprächen», betont Daniela Camhy vom Philosophischen Institut in Graz. Sie möchte, dass Kinderphilosophie auch in Kitas und Schulen vermehrt zum Zuge kommen, unter anderem etwa als verpflichtender Ethikunterricht. Denn philosophisch geschulte Kinder können genauer zuhören, differenzierter denken und ihre Handlungen auf das Ziel hin überprüfen. Ausserdem, so weiss Camhy, können sie nicht nur besser argumentieren, auch ihr Selbstwertgefühl wird gesteigert.
Genau das hatte Matthew Lipman, einer der Väter der Kinderphilosophie, im Sinne, als er Ende der 60er-Jahre mit seinen ersten Studien begann. Im Nachgang der 68er-Bewegung und ihrer Diskussionen stellte er sich die Frage, warum die Studenten so schlecht argumentierten. Er begann darüber nachzudenken, ob man bereits Kinder ins logisch argumentative Denken einführen und wie man sie zu selbstständigem Denken anhalten könnte. Dazu entwickelte er eigene Lehrmodelle, die sich als sehr ergiebig erwiesen. Dem zweiten Vater der Kinderphilosophie, Garreth Matthew, ging es weniger um Logik als um den Dialog. Für ihn war die Beobachtung entscheidend, dass Kinder ganz natürlich über Fragen nachdenken, die auch Gegenstand der akademischen Philosophie sind. Er versuchte, seinen Studenten diese Kinderphilosophie zugänglich zu machen. Gleichzeitig forderte er die Erwachsenen auf, die philosophischen Gedanken des Kindes aufzunehmen und gemeinsam weiterzudenken. Philosophische Gespräche, so Matthews, sollten auf Augenhöhe stattfinden.
Im Laufe der 70er- und 80er-Jahre entwickelten sich in allen Teilen der Welt kinderphilosophische Ansätze in jeweils unterschiedlicher Ausprägung; heute gibt es Gesellschaften für Kinderphilosophie, es gibt Institute und Fachtagungen. Immer fter wird Ethikunterricht auch an Schulen als Alternative zum Religionsunterricht angeboten.
Aber nicht nur in Schulen können philosophische Gespräche von Nutzen sein. Auch für Eltern sind entsprechende Gespräche mit ihren Kindern ergiebig, gerade weil sich in unterschiedlichen Lebensaltern unterschiedliche Fragen stellen.
«So stellen die Kleinen typischerweise Warum-Fragen», sagt Zoller Morf. «Wenn Opa im Himmel ist, warum kann man ihn nicht sehen?» In diesem Alter gilt es zu klären, auf welche Fragen es eine konkrete Antwort gibt, zum Beispiel eben, dass der Körper des Grossvaters eingeäschert wurde. Und dann über die verbleibenden Fragen zu werweisen: Was vom Opa könnte im Himmel sein? Was meinen wir mit Himmel? Wo könnte das sein? Die Antworten kommen dann, wenn man die Fragen an die Kinder zurückgibt und sich dafür interessiert, was sie denken. Als nächstes fragt man nach Gründen, nach der Wahrscheinlichkeit, womit die Logik zum Zug kommt.
Während im Vorschulalter die Fantasie eine grosse Rolle spielt, kommen bei grösseren Kindern Logik und Kausalität dazu. Da fragt etwa ein Knirps, ob ein Held so etwas wie das Monster der Guten sei, oder wenn die Geschichte mit dem Urknall stimmt, ist die Schöpfungsgeschichte dann eine Lüge?
«In der Primarschulzeit stehen mit der Sozialisation oft moralische Fragen im Zentrum », so Zoller-Morph. «Kinder wollen wissen, warum man etwas so tun muss, oder etwas anderes nicht darf. Es geht dabei um den Sinn von Regeln, für die man Gründe finden oder die man auch widerlegen kann. Muss man zum Beispiel immer die Wahrheit sagen? Oder darf man auch lügen, wenn es gute Gründe dafür gibt? Und welche Gründe wären das?» Dies fordert Erwachsenen oft philosophisch einiges ab, wenn sie ihren Kindern alltägliche Notlügen erklären müssen, etwa dass sie sich am Telefon verleugnen liessen.
Mehr differenzieren
In der Pubertät schliesslich tauchen dann die grossen Sinnfragen auf: Wozu bin ich da? Wozu soll ich die Schule fertig machen? Welchen Beruf soll ich erlernen? Es ist die Phase, in der ihnen Eltern oder die Gesellschaft Aufgaben auferlegt, deren Sinn sich ihnen nicht erschliesst. Es sind Identitätsfragen und Fragen nach dem Sinn des Lebens. Hier kann die Philosophie ihnen aufzeigen, dass man sich nicht nur aus Prinzip gegen Regeln auflehnen muss, sondern versuchen, die Dinge mit den Eltern zusammen differenziert zu betrachten.
- Eva Zoller Morf: Selber Denken macht schlau – Grosse Fragen für kleine Philosophinnen und Philosophen, Zytglogge- Verlag, 2010.
- Barbara Brüning: Prinzessin Lara und der kleine Saurier – Bildungsverlag Eins, 2010.
- Hans Bernhard Petermann: Kann ein Hering ertrinken? Philosophieren mit Bilderbüchern, Beltz Verlag 2007.
Wichtig ist, dass sich die Eltern Zeit nehmen. Zeit ist auch für einen Philosophen die wichtigste Ressource. Mit kleinen Kindern philosophiert man typischerweise abends an der Bettkante, wenn der Tag rekapituliert wird; mit älteren stellen sich entsprechende Fragen meist beim gemeinsamen Essen. Gerade bei Konflikten, Ängsten, oder Themen, die immer wiederkehren, bietet sich ein solches Gespräch an. Wichtig sei auch hier, dass nicht eine moralisierende Belehrung stattfindet, sondern dass man herauszufinden versuche, was eigentlich dahinter steckt, so Zoller Morf: «Es geht nicht darum, den Konflikt zu verstehen, sondern um das Prinzip, warum es immer wieder zum Konflikt kommt. Und das umzusetzen, was man davon verstehen kann.» In der Pubertät schliesslich wird die Peer-Group wichtiger als das Elternhaus. Wichtig sei, dass Eltern nicht als Besserwisser auftreten, sondern ihre Kinder ernst nehmen und zu verstehen versuchen, was in ihnen vorgeht. Sie wichtig nehmen, auch wenn sie nicht reden wollen, aber signalisieren, dass man dazu bereit ist.