
iStock.com
Neujahr
Vorsatz, ade!
Das neue Jahr ist stets ein Anlass, über gute Vorsätze nachzudenken. Auch über die in der Kindererziehung. Autorin Steffi Hidber fragt sich, warum sich einige davon immer wieder in Luft auflösen.
Ich werde mein Kind nicht zu mir ins Bett nehmen, wenn es schreit
So hatten wir das zumindest gedacht: Elternzimmer – Kinderzimmer. Strikt getrennt. Doch wenn ein zahnender Säugling um 3:30 Uhr in der Früh zum zehnten Mal zur Schrei-Orgie ansetzt, wacht sogar mal ein schnarchender Vater auf und brummt: «Nimm ihn doch endlich ins Bett!» Gemütlicher ist es auch. Und trotzdem musste keines unserer Babys wieder dem Elternbett entwöhnt werden. Ätsch!
Ich werde mein Kind zweisprachig erziehen
Das ist der Vorsatz, den ich mir als frischbackenes Mami ganz fest vorgenommen habe, da ich selber zweisprachig aufgewachsen bin. Doch von der ersten Minute an, in denen ich meine Erstgeborene im Spitalbett im Arm hielt und liebevoll «Welcome to the world, little girl» geflüstert habe, fühlte es sich für mich einfach falsch an, mit meinem Baby Englisch zu sprechen. Und so bleibt es vorerst dabei, dass mein Mann und ich eine Geheimsprache haben. Ich bin jedoch nach wie vor überzeugt, dass meine Kinder – irgendwann – doch noch zwei Sprachen perfekt beherrschen werden. I swear!
Ich werde jeden Babybrei selber machen, ausschliesslich mit Bio-Gemüse
Bestimmt ist Herr Hipp ein ganz feiner Mensch. Doch wenn er wüsste, wie sehr er mir das Herz gebrochen hat mit seinen offenbar unvergleichlich schmackhaften Babymahlzeiten im Glas, würde er sich bestimmt ein bisschen schlecht fühlen. Denn die Stunden, die ich verloren habe mit dem liebevollen Zubereiten von ausgesuchten Breien in allen Variationen, die alle postwendend von meiner Tochter ausgespuckt wurden, werde ich nie wieder zurückbekommen. Gläschen topp, Mami flopp.
Ich werde mein Kind nicht ständig mit Altersgenossen vergleichen
Eine Freundin, die wir hier mal Jeannette nennen, hat mich richtiggehend wahnsinnig gemacht damit, dass ihre Tochter erst mit 20 Monaten laufen gelernt hat. «Sie wird es nie lernen! Sie hat Entwicklungsstörungen! » Es war mir immer peinlich, dass mein Kind währenddessen um ihre lauffaule Freundin regelrechte Bahnen gezogen hat. Doch wie sah es drei Jahre später aus bei uns? Meine Tochter steckte mit ihren 3 ½ Jahren noch immer in den Windeln, während das vermeintliche «Spätzünder »-Gschpänli seit mehr als einem Jahr trocken war. Wir lernen: Vergleiche sind blöd. Aber warum, um Himmels willen, glänzt das Haar meiner Freundin so viel schöner als meines?
Ich werde meinem Kind grausige Wahrheiten ersparen
Den Vorsatz muss ich vergessen haben. An das ungläubige Gesicht meiner Tochter kann ich mich noch gut erinnern: «Aus Hühnern, so wie die auf dem Bauernhof?» Sie hält inne, das angebissene Chicken-Nugget-Stück noch im Mund. «Ja, Schatz. Diese Nuggets werden aus Hühnerfleisch gemacht, dafür muss man die Hühner töten.» «Das ist aber total gemein!», sagte sie. Und ass unbeirrt ihr «Happy Meal» fertig auf. Wir lernen: Kinder sind ziemlich unzimperlich. Zumindest wenn es um ihr Lieblingsessen geht.
Ich werde niemals den Fernseher als Babysitter missbrauchen
Egal, wie stark man als Elternteil den Fernsehkonsum einschränkt: Das Trance-Gesicht, das selbst kleinere Kinder machen, sobald sie vor dem Bildschirm sitzen, kennen wohl alle. Und ich beichte, dass ich schon öfter zur Fernbedienung gegriffen habe, um wenigstens eine Viertelstunde in Ruhe etwas erledigen zu können oder ein fieberndes Quengelkind ein wenig aufzuheitern. Doch einen Abend lang weg, mit Disney-DVD zu Hause im Abspielgerät? Wird wahrscheinlich frühestens in zehn Jahren passieren!
Ich werde mein Kind in der Wahl seiner Freunde nicht beeinflussen
Und was ist, wenn das liebste Gschpänli im Sandkasten von einer kettenrauchenden Nanny betreut wird? Der neue Spielkamerad quer über den Spielplatz «fick dich» schreit und meinem Kind den ganzen Zvieri weg isst? Na, bitte. In ein paar Jahren ist mein Einfluss ohnehin weg. Also: Nutze die Zeit!
Ich werde kein Spielzeug dulden, das Batterien braucht und Lärm macht
Dachte ich als Kinderlose. Jetzt weiss ich: Wenn ein Kind beim Spielen Lärm erzeugt, weiss man wenigstens, was es macht. Auch wenn man es gerade nicht im Blickfeld hat. Nur her mit dem sprechenden Weltraum-Roboter!
Ich werde nie ein Theater machen, wenn sich mein Kind dreckig macht
Wie oft hat mein Mann die Geschichte von Eddy Carollo zum Besten gegeben, der als Kind nie mit ihm spielen durfte, weil er sonst seine Kleider dreckig gemacht hätte. Wie oft habe ich den armen Eddy Carollo bedauert, der nie in einem Schlammloch auf dem Spielplatz buddeln durfte. Doch spätestens, als ich gemerkt habe, dass sich weisse Socken auch mit dem stärksten Waschmittel nie mehr weiss machen lassen, wenn das Kind ohne Schuhe damit herumrennt, ist Schluss mit der Maxime: «Ach, das sind ja nur Kleider!» Darunter gelitten hat höchstens mein Mann, für den ich ab und zu die Mädchen absichtlich in dreckige Pullover hülle. Und ja, er freut sich immer darüber!
Ich werde nicht an alles Ketchup schmeissen, nur damit mein Kind es isst
Es gibt Situationen, in denen Mitleid über die Grundsätze siegt. Etwa wenn meine Kinder traurig auf einen Teller blicken, auf dem sich Broccoli, Bratkartoffeln und gebratene Pouletbrust türmen und kein Highlight weit und breit zu sehen ist. Aber da ich sehr gerne koche, wäre es mir ein Graus, wenn meine Familie jede Mahlzeit mit Ketchup überschütten würde, um sie geniessbar zu machen. Also musste ein Kompromiss her. Die Anti-Ketchup-Regel wurde für folgende Lebensmittel gelockert: Fischstäbchen, Hamburger, Chicken Nuggets und Bratkartoffeln. Die Regel gilt nicht, wenn Fremde nach Ketchup fragen, deshalb laden meine Kinder gerne Schulfreunde zum Zmittag ein!
Ich werde meinem Kind niemals ein Spielzeug kaufen – bloss, weil ich es selbst als Kind immer wollte
Das Barbie-Schloss, das ich auf dem Kinderflohmarkt entdeckte, war richtig gross. Und richtig kitschig. Und den Satz «Soll ich euch das kaufen?», hatten meine Töchter bis anhin im Zusammenhang mit Plastikspielzeug wirklich noch nie gehört. Ich habe es trotz ihres etwas verunsicherten «Ehm ... okay?» gekauft. Denn ich freue mich völlig unverhältnismässig darüber, wenn sie damit spielen und spiele gelegentlich mit. Und hey! Den Lego-Technics-Bagger hat der Nachwuchs sich (auch wenn der Kindsvater das Gegenteil behauptet) garantiert auch nicht von ganzem Herzen gewünscht!
Ich werde nie, nie, niemals mein Kind schlagen
Vorsatz eingehalten. Dafür habe ich mehr, mehr, mehrmals so fest mit der Faust in die Wand geschlagen, dass ich mir Blutergüsse geholt habe. Genug gesagt.
Ich werde keine einzige Kinderzeichnung wegwerfen
Konnte ich ahnen, dass meine Mädchen Fliessbandarbeit leisten? Und wer hat schon einen 60-Quadratmeter-Estrich, in dem man – fein säuberlich in Zeichnungsmappen verstaut und mit Datum versehen – jedes auch noch so schludderig gefertigte Kunstwerk seines Kindes aufbewahren könnte? Ich entsorge die ständig entstehenden Bastel- und Zeichnungsarbeiten im Wochentakt, gut getarnt im Altpapierstapel. Aber niemals vor den Augen meiner Kinder.
Ich werde meinem Kind nie sagen: «So gehst du mir nicht aus dem Haus»
Gestreifte Leggings mit geblümtem Kleid? Ein Graus, das sieht wohl ein Blinder! Als Mutter von zwei Mädchen, die eine sehr bestimmte Vorstellung davon haben, was sie «schön» finden und was sie «bequem» finden (erstaunlicherweise sind das nicht immer dieselben Kleidungsstücke), habe ich diesbezüglich gelernt, mir meine Kämpfe gut auszusuchen. Gehen wir zu Freunden oder an ein Fest, bestehe ich auf das letzte Wort in Sachen Kleidung. Doch für den Kindergarten, Schule oder Spielplatzbesuch gilt bloss: Solange ich nicht in Sichtweite bin, darf sich ein Fremder ruhig fragen, warum diese Mädchen so seltsam gekleidet sind. Mustermix olé!
Ich werde meinem Kind möglichst früh ermöglichen, ein Musikinstrument zu lernen
Die Vorstellung war so schön: Das hoch musikalische Mädchen, das zwar mit den Füssen noch nicht an die Pedalen kommt, aber die schönsten Mozart-Sonaten auf dem Klavier spielt. Die Realität sieht anders aus: Wohin bloss ein Klavier stellen? Wäre Musikunterricht nach der Nachmittagsschule nicht zuviel? Und noch wichtiger: Wie finanziert man die Miete, den Transport und die Unterrichtsstunden? Ich habe deshalb den Musikunterricht auf die Liste der Dinge gesetzt, die meine Kinder sich von Herzen und mehrfach wünschen müssen, bis ich versuche, es für sie zu verwirklichen. Genau so, wie wir es mit dem Pony auf der Dachterrasse gemacht haben.