Kinderwunsch
«Ich wäre so gerne Papa geworden»
Viele Männer leiden, wenn ihr Traum vom Vatersein sich nicht erfüllt. Doch sie bleiben still. Wie ein unerfüllter Kinderwunsch Männer verändert.
Für Tiziano war immer klar: Er will Kinder. Am liebsten zwei. Eine Familie zu haben, gehörte für ihn zum festen Lebensplan. Seine Frau und er heiraten ein Jahr nach dem Kennenlernen. Da ist er 39 und sie 32. Der Traum von der Familie scheint zum Greifen nah. Er sieht es als seine Bestimmung an, mit seiner Frau Kinder in diese Welt zu setzen. Tiziano bemüht das 1. Buch Mose: «Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde.» Doch es will nicht klappen.
Auch Bernd hat schon früh den Wunsch verspürt, eines Tages Vater zu werden, die Familiengeschichte fortzuschreiben und seine Erfahrungen weiterzugeben. Mit Mitte 30 wird dieser Wunsch in ihm immer stärker, eine Frau und Partnerin ist jedoch nicht in Sicht. Seine Sehnsucht, Vater zu sein, bleibt.
Kinderlosigkeit ist nicht nur weiblich
Die Möglichkeit, Kinder in diese Welt zu setzen, haben nicht alle Männer, so wie nicht alle Frauen. Aber das männliche Leiden am unerfüllten Kinderwunsch wird oft übersehen, verharmlost oder – noch schlimmer –es wird ihnen aufgrund ihres Geschlechts gar nicht zugestanden. Der ungewollt kinderlose Mann, er ist ein Phantom.
Die Recherche für diesen Artikel verlief denn auch harzig und erstreckte sich über Monate. Zwar bleibt in der Schweiz laut dem Universitätsspital Zürich jedes fünfte Paar ungewollt kinderlos. Was bedeutet, dass es Zehntausende Männer geben muss, die lieber Kinder gehabt hätten, doch sicht- oder hörbar sind sie nicht. Ganz im Gegensatz zu den kinderlosen Frauen. Als ob keine Kinder zu bekommen allein ein weibliches Problem wäre. Forschende der Universität Genf veröffentlichten 2019 die erste landesweite Studie zu dem Thema Unfruchtbarkeit von Männern. Das Ergebnis: 60 Prozent der rund 2500 Probanden zwischen 18 und 22 Jahren wiesen eine mässige Spermienqualität auf.
Thomas Neumeyer, Sprecher von männer.ch
Als männer.ch, der Dachverband der progressiven Schweizer Männer und Väterorganisationen, einen Aufruf startete, um für einen Podcast über den unerfüllten Kinderwunsch bei Männern zu sprechen, meldete sich niemand. Nicht ein einziger Mann. «Es ist ein sehr intimes Thema», meint der Sprecher von männer.ch, Thomas Neumeyer. «Für viele Männer mit unerfülltem Kinderwunsch ist es ein zentraler Punkt ihres Selbstbilds, einmal Vater zu werden – und eine Säule ihrer männlichen Identität, es zu können. Darüber zu sprechen, dass das vielleicht nie passieren wird, ist schmerzhaft.» Und wohl irgendwie unmännlich. Denn ein intensiver Kinderwunsch wird noch immer fast nur Frauen zugewiesen. Väter werden eher so nebenbei Väter oder halt auch nicht. Doch das stimmt nicht.
Bei Männern sei die Zeugungsfähigkeit ein starkes Element des männlichen Selbstwerts. «Wie sehr ein Mann davon berührt wird, wenn er zeugungsunfähig ist, kommt sehr stark auf seine Lebensperspektiven an», meint Neumeyer. «Aber selbst wenn er sich gar nicht unbedingt Familie wünscht, kann das natürlich schon auch das Selbstverständnis als Mann infrage stellen.»
Als es mit Gottes Hilfe alleine mit dem Schwangerwerden nicht klappen will, suchen Tiziano und seine Frau ein Kinderwunschzentrum auf. Sie wollen herausfinden, ob bei ihnen biologisch alles in Ordnung ist. Ist es nicht.
Tizianos Spermienqualität macht eine natürliche Befruchtung nahezu unmöglich. «Ichhatte so etwas schon vermutet», sagt er. «Als ich die Diagnose hörte, war ich dennoch geschockt. Es hat mich echt getroffen und sehr beschäftigt, dass ich keine Kinder haben kann.» Seine Unfruchtbarkeit kratzt an seinem Selbst- und Männlichkeitsbild. Auch wenn er das zunächst nicht wahrhaben will. «Nachdem ich erfahren hatte, dass meine Frau meinetwegen keine Kinder haben kann, habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich sie verlassen soll, um ihr die Chance zu geben, einen neuen Mann kennenzulernen, mit dem sie sich den Kinderwunsch erfüllen kann.»
Keine Partnerin, keine Kinder
Auch für Bernd, der seinen Nachnamen wie Tiziano lieber für sich behalten möchte, sieht es lange Zeit ziemlich finster aus, was seinen Kinderwunsch betrifft. Der heute 50-Jährige ist in Bautzen im Osten Deutschlands aufgewachsen. Nach dem Mauerfall, erzählt er, seien viele Frauen in den Westen gegangen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Er selbst sei geblieben, habe eine Ausbildung zum Kaufmann gemacht und musste immer viel arbeiten. Für eine Beziehung blieb nur wenig Zeit.
«Mir hat im Leben echt etwas gefehlt», sagt Bernd über seinen Kinderwunsch. Er, der schon immer lösungsorientiert und eher praktisch veranlagt war, versucht sein Glück im Internet. Doch die Liebesbekundungen bleiben aus. «Ich bin nicht gerade der Schwarzenegger-Typ, auf den die Frauen fliegen», sagt er. «Ich war richtig traurig deswegen, habe es aber niemandem erzählt, sondern immer mit mir alleine ausgemacht.»
Doch Bernd ist damit nicht alleine. Viele Männer sind ungewollt kinderlos, weil sie nicht die richtige Partnerin an ihrer Seite haben: 47 Prozent der ungewollt kinderlosen Männer gaben in einer Studie des deutschen Bundesfamilienministeriums dies als Grund an. Bei den Frauen sind es nur 35 Prozent. Gleichzeitig können sich Männer im Vergleich zu Frauen auch weniger gut vorstellen, ein Kind alleine aufzuziehen.
Für Bernd ist irgendwann klar, dass er keine Liebesbeziehung will. Er will Vater sein. Und dafür ist er bereit, etwas Neues auszuprobieren. Durch Zufall stolpert er in der Zeitung über einen Artikel zum Thema Co-Elternschaft. Den Begriff hat er noch nie zuvor gehört, aber ab diesem Zeitpunkt hat er einen Namen für das, was er will. Und das ist keineswegs die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie. Damit ist er durch. Was er will, ist ein Kind, aber ohne dafür eine sexuelle oder romantische Beziehung zu einer Frau eingehen zu müssen. Schliesslich landet Bernd auf dem Internetportal Familyship. Eine der Gründerinnen ist Christine Wagner, die damals mit einer Frau zusammenlebte und mit ihr Kinder wollte. «Uns war relativ schnell klar, dass wir nicht nur einen Samenspender suchten, sondern einen Mann, der sowohl biologischer als auch sozialer Vater sein wollte.» Weil sich niemand in ihrer näheren Umgebung bereit erklärte, gründeten sie aus der Not heraus 2011 Familyship.
Elternschaft ohne Liebesbeziehung
Das Portal, berichtet Christine Wagner, sei mit den Jahren stetig gewachsen und richtet sich an alle Menschen, die einen Kinderwunsch haben, der sich für sie in einer Normalfamilie nicht realisieren lässt. Aktuell gebe es etwa 8000 aktive Mitglieder, ein Drittel davon sind Männer, etwa ein Zehntel kommt aus der Schweiz. Die Gründe, aus denen sich die Männer zu diesem Schritt entscheiden, seien recht unterschiedlich, sagt Wagner. «Es gibt Männer, die nur ihren Samen spenden wollen oder die an einer Vaterrolle mit Onkelfunktion interessiert sind. Seit etwa zwei Jahren melden sich aber auch immer mehr Männer, die den Wunsch haben, Vater zu sein und nach einer Co-Elternschaft suchen.» So wie Bernd.
Bernd ist Anfang 40, als er sich bei Familyship registriert. Anfangs trifft er sich mit zwei Frauen. Fragt man ihn, wie er sich die Mutter seines Kindes vorgestellt hat, muss er lachen und sagt: «ein gesundes Weibchen im gebärfähigen Alter». Eine der beiden Frauen ist ein paar Jahre jünger als er, kommt aus Dresden, was ungefähr 60 Kilometer von seinem Wohnort entfernt liegt. Für ihn der perfekte Match. Das erste Treffen findet in einem Café statt. Es habe sich angefühlt wie beim ersten Date. «Nur dass es nicht darum ging, einen Partner fürs Leben zu finden, sondern einen, der einem dabei hilft, Kinder zu haben», sagt Bernd. Nach zwei Monaten wird es ernst. Sie sind sich einig, es gemeinsam zu versuchen. Bernd fährt zu ihr nach Hause. «Das ist ein heikles Thema und war nicht leicht zu organisieren», erzählt er. «Wir mussten warten, bis sie ihre fruchtbaren Tage hatte.» Die beiden entschieden sich für die Bechermethode, die ohne Geschlechtsverkehr auskommt. Vielmehr führt sich die Frau eine Spritze in die Vagina ein, die mit Sperma gefüllt ist. «Wenig romantisch», sagt Bernd, «aber erfolgreich.» Nach wenigen Monaten ist sie schwanger.
Als Bernd seinen Eltern und seinem älteren Bruder erzählt, dass er Vater wird, hält sich deren Begeisterung in Grenzen. «Dafür brauchst du doch eine stabile Partnerschaft», sagen sie. Doch seit sein Sohn auf der Welt ist, sind alle Zweifel verflogen. Für ihn, sagt Bernd, sei Vatersein der Sinn des Lebens.
Inzwischen hat er mit der Frau noch ein weiteres Kind bekommen. Noch einen Jungen. Bernd arbeitet immer noch viel, aber er versucht, seine Kinder zweimal in der Woche zu besuchen. Manchmal sind sie auch bei ihm. Vielleicht zieht er bald nach Dresden. Die Beziehung zur Mutter sei freundschaftlich. «Wir sind nicht die besten Freunde, aber wir versuchen immer gemeinsam eine Lösung zu finden. Bei uns stehen die Kinder im Mittelpunkt», sagt er und fügt hinzu: «Ein Kind bleibt. Mit einem Partner oder einer Partnerin sei das etwas anderes. Wenn man sich trennt, ist man geschieden oder geht getrennte Wege. Ein Kind wirst du nicht mehr los. Das gehört für immer zu dir.»
Götti statt Vater sein
Tiziano hat bis heute keine Kinder. Eine künstliche Befruchtung war weder für ihn noch für seine Frau eine Option. «Manche Paare investieren Tausende Franken, und am Ende klappt es nicht.» Ein Pflegekind oder eine Adoption kam ebenfalls nicht infrage. Irgendwann habe seine Frau zu ihm gesagt, dass sie sich für ihn entschieden habe. Dass sie mit ihm ihr Leben verbringen will – auch ohne Kinder. Das hat die Beziehung gerettet.
Es hat trotzdem eine Weile gedauert, bis sich Tiziano mit seiner Kinderlosigkeit arrangiert hat. Er und seine Frau haben zusammen mit zwei befreundeten Paaren den Verein Glow gegründet. Die einzelnen Buchstaben stehen für «Glauben Leben ohne Wunschkind». Gleichzeitig ist es das englische Wort für glühen, leuchten, strahlen. «Auch kinderlose Paare haben eine Strahlkraft», sagt Tiziano. Ihnen will der Verein eine Möglichkeit bieten, sich in den dunkleren Momenten des Alltags gegenseitig zu unterstützen und zu ermutigen.
Tiziano ist inzwischen Götti von einem Jungen und einem Mädchen. Für ihn ein riesiges Geschenk. Den Jungen sieht er etwa zweimal in der Woche. Er lebt im gleichen Ort im Berner Oberland wie er. «Wenn meine Frau mich mit ihm sieht, fällt es ihr manchmal sehr schwer, das auszuhalten. Sie sieht dann, wie es wäre, wenn wir Kinder hätten», sagt Tiziano. «Wie ich als Vater wäre.»