Resilienz
Und ich steh trotzdem wieder auf

Lucas Peters
Als Ivan sechs Jahre alt ist, prügelt ihn der Vater, weil der Junge seinen Plastikbagger kaputt gemacht hat, mit zehn gehören Schläge mit dem Gürtel zum Alltag. Die Mutter ist selten daheim; mithilfe mehrerer Jobs versucht sie, das Geld für die Familie heranzuschaffen. 15 Jahre alt ist Ivan Kirr, als er erstmals beim Klauen auffällt. 23, als er zum Mörder wird. «14 Messerstiche in der Brust des Opfers» steht später in den Polizeiakten.
Der kleine William lebt in einem Nest in Arkansas. Der Vater stirbt drei Monate vor seiner Geburt. Die Mutter lässt den Jungen bei den Grosseltern und kehrt erst wieder zurück, als «Billy» vier Jahre alt ist. Der neue Stiefvater ist gewalttätig und Alkoholiker. Im Suff schiesst er auf den inzwischen Neunjährigen. Zum Glück daneben. Mit 47 Jahren wird Bill Clinton Präsident der Vereinigten Staaten.
Zwei Jungen, zwei schwere Kindheiten. Warum landet einer im Gefängnis, der andere im Weissen Haus?
Zufall? Glück? Oder hat der Starke etwas, das dem Schwachen fehlt? Jahrzehntelang haben sich Psychologie und Pädagogik ausschliesslich darauf gestürzt, zu erforschen, was ein junges Leben schädigen kann: Scheidung, Armut, Gewalt, gefühllose Eltern, mobbende Mitschüler ... So wichtig das ist, so sehr geriet durch den Tunnelblick auf Defizite aus dem Sichtfeld, dass das Leben mehr ist als eine Lotterie, bei der die gezogene Niete achselzuckend zu akzeptieren ist.
Die Entwicklungspsychologin Emmy Werner war in den 50ern die erste, die das Aufwachsen von Kindern aus einer anderen Perspektive betrachtete und herauszufinden versuchte, was es ist, das Menschen «resilient » macht, zu Stehaufmännchen, die nach Goethes Motto leben: «Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, lässt sich etwas Schönes bauen.»
40 Jahre lang untersuchte die Wissenschaftlerin der University of California die Mädchen und Jungen, die im Jahr 1955 auf der hawaiianischen Insel Kaui geboren worden waren. Arm waren sie alle, 201 davon hatten zusätzlich unter alkohol- und psychisch kranken Eltern, Brutalität und Verwahrlosung zu leiden. Zwei Drittel dieser Kinder entwickelten sich erwartungsgemäss schlecht, zeigten Verhaltensauffälligkeiten, gerieten mit dem Gesetz in Konflikt und versagten in der Schule. Doch ein Drittel tat nichts dergleichen. Trotz mieser Startbedingungen führten sie als Erwachsene ein kreuznormales, glückliches Leben mit Familie, Beruf und Freunden. Warum wurden gerade diese kleinen Hawaiianer keine Opfer der Umstände?
Gibt es so etwas wie imprägnierendes Drachenblut? Und aus welchen Zutaten ist es zusammengerührt?
Charly Chaplin
«Drachenblut hat zwei Sorten von Zutaten: personelle und soziale», erklärt Friedrich Lösel, der in den 90ern mit Emmy Werner zusammenarbeitete, als Pionier der deutschsprachigen Resilienz-Forschung gilt, die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie verfasst hat und noch heute als Kriminologe der University of Cambridge und Psychologe der Universität Erlangen-Nürnberg beobachtet, wie Widerstandskraft Biografien gelingen lässt – oder eben nicht. «Doch beim Drachenblut darf man nicht vergessen, dass auch der Nibelungenheld Siegfried seine verwundbare Stelle hatte.» Deshalb bezeichnet Lösel heute seinen damals gewählten Begriff «Invulnerabilität », «Unverletzlichkeit», als «reinen Kokolores ». «Wir haben schnell festgestellt, dass es zwar Menschen gibt, die mit Schwierigkeiten leichter fertig werden und nach Tiefschlägen schneller aufstehen. Aber komplett unverletzlich ist niemand. Resilienz ist kontextgebunden, nicht statisch.» Schicksale wie das von Primo Levi, der alle Gräuel des Konzentrationslagers überlebte, Literaturnobelpreisträger wurde und sich dann umbrachte, zeigten, dass es ewige Unverletzlichkeit nicht gäbe. Aber Faktoren, die günstig für kindliche Seelen wirkten, die gäbe es zweifellos, so Lösel.
Die wichtigsten:
- Ruhiges Temperament ohne grosse Stimmungsausschläge nach oben und unten.
- Ausgeglichenes, unproblematisches Wesen von Geburt an, was es den jungen Eltern leicht macht, liebevoll mit dem Baby zu kommunizieren.
- Die vertrauensvolle Beziehung zu mindestens einer Person.
- Gute Freunde.
- Ehrgeiz und Hartnäckigkeit.
- Realistische Weltsicht.
- Verantwortungsgefühl für sich und andere.
- Glaube an einen höheren Sinn im Leben, auch Religion.
- Und, vielleicht am bedeutsamsten: Selbstwirksamkeit, die Überzeugung, sein eigenes Leben im Griff zu haben, es beeinflussen zu können. (Siehe Interview)
Eindrucksvoll schildert der Zürcher Psychologe Jürg Frick in seinem Buch «Die Kraft der Ermutigung» Lebensläufe resilienter Personen, denen genau diese Faktoren geholfen haben, ihr Schicksal zu meistern.
Da ist Ray Charles, ein Schwarzer in den rassistischen 30er-Jahren in Amerikas Südstaaten. Einen Vater gibt es nicht, Armut ist Alltag; mit fünf Jahren muss der Junge miterleben, wie sein kleiner Bruder George in einem Bottich ertrinkt, ohne ihm helfen zu können. Mit sieben verliert Ray sein Augenlicht. In seiner Biografie schildert er, wie er in der Blindenschule jene Jungen auslacht, die darum beten, wieder sehen zu können. «Zeitverschwendung », sagte ich, «ihr Dummköpfe solltet lieber das Beste aus dem machen, was ihr habt.»
Da ist Ray Charles, ein Schwarzer in den rassistischen 30er-Jahren in Amerikas Südstaaten. Einen Vater gibt es nicht, Armut ist Alltag; mit fünf Jahren muss der Junge miterleben, wie sein kleiner Bruder George in einem Bottich ertrinkt, ohne ihm helfen zu können. Mit sieben verliert Ray sein Augenlicht. In seiner Biografie schildert er, wie er in der Blindenschule jene Jungen auslacht, die darum beten, wieder sehen zu können. «Zeitverschwendung », sagte ich, «ihr Dummköpfe solltet lieber das Beste aus dem machen, was ihr habt.»
Auch Charly Chaplins Kindheit eignet sich nicht gerade für eine Komödie. Immer wieder kommt er ins Armenhaus, wo er schwer misshandelt wird. Seine Mutter verliert erst die Stimme, später den Verstand. Dennoch ist sie es, so Chaplin in einem Interview, «die mir immer das Gefühl gab, ein gewisses Talent zu haben ». Oft haben die «Widerständigen» ein Leben vorzuweisen, das einem die Tränen in die Augen treiben könnte; aber sie alle haben sich entfür die Devise «Handeln, nicht heulen» entschieden.
«Kindern etwas zuzutrauen und sie in die Verantwortung zu nehmen, stärkt enorm», sagt Friedrich Lösel. Mädchen und Jungen dagegen, denen alles abgenommen würde, täten sich schwer damit, Probleme eigenständig zu lösen und selbstbewusst darauf zu vertrauen, dass sie in den Griff zu kriegen sind.
Stärke braucht Herausforderung. «Kinder, die sich nie erproben müssen, nicht zuweilen scheitern und Frustrationen bewältigen lernen, funktionieren nur exakt so lange, wie sie unter den Fittichen der Eltern sind. Gelernte Hilflosigkeit ist der grösste Feind der Widerstandskraft.»
Die vermeintlich zarteren Mädchen hängen die Jungen in Sachen seelischer Robustheit ab. Allerdings, so Untersuchungen, nur diejenigen Mädchen, die auf Geschlechtsrollenklischees pfeifen und finden: Bescheidenheit, Schüchternheit, charmante Unterordnung? Nein, danke.
«Doch ab der Pubertät sind Mädchen oft verletzlicher», so Lösel. Welche Rolle Hormone und Gene bei den realen Aschenputtels, Pippi Langstrumpfs, Oliver Twists und Harry Potters spielen, ist noch nicht ganz klar. Fest steht: sie haben Einfluss. Bewiesen ist etwa, dass jenes Gen, das für den Transport des sogenannten Glückshormons Serotonin zuständig ist, mitbestimmt, ob jemand eher zu den nervösen und trübsinnigen oder eher zu den belastbaren, gut gelaunten Zeitgenossen gehört. Eine lange Variante des Serotonintransporters macht widerstandsfähig, eine kurze labil. Tierexperimente und soziologische Studien belegen: Der Unterschied zwischen Mensch und Maus ist marginal.
Doch selbst «Kurz-Genige» müssen, laut Untersuchungen des Molekularpsychologen Klaus-Peter Lesch, nicht verzweifeln. Werden etwa Mausebabys mit weniger tollem Serotonintransporter von ihren Müttern liebevoll gefüttert, geleckt und beschnüffelt, entwickeln sie sich genauso gut wie die langkettigen Glückspilzmäuse. Weder Maus noch Mensch sind Sklaven von Anlagen und Schicksal. Vielmehr, so der Ansatz der «Positiven Psychologie», liessen sich die Stärken und Eigenschaften wie Optimismus, Neugier, Tatendrang trainieren wie Muskeln.
Können nun Eltern für ihr Kind eine Art Resilienz-Bootcamp veranstalten? Gibt es eine moderne Variante des Styx, in den einst Thetis ihr Söhnchen Achilles tauchte, um ihn unverwundbar zu machen? «Ja und nein», sagt Simon Forstmeier, Willensforscher an der Uni Zürich. Eltern könnten ihrem Kind Liebe geben, Vorbild sein, indem sie selbst tatkräftig Probleme angehen, ihm etwas zutrauen, das kindliche Selbstbewusstsein stärken und mit ihm Kompetenzen trainieren, die helfen, Ziele zu erreichen. Doch das Kind gegen alle Wechselfälle des Lebens wappnen? Simon Forstmeier zuckt die Achseln: «Selbst Achilles hatte seine Ferse.»

Albert Einstein
Prominente, die es dennoch geschafft haben:
Tom Cruise
Er wächst ohne festen Wohnsitz und mit tyrannischem Vater auf. 15 verschiedene Schulen besucht er bis zum Teenie-Alter. Die Mitschüler hänseln ihn wegen seiner Legasthenie. Mit 18 geht er zur Schauspielschule in New York, Samuel Meisner wird sein Förderer und Cruises Leben wendet sich von Grund auf.
Xavier Naidoo
Wegen seiner Hautfarbe meiden ihn die anderen Kinder. Ein entfernter Bekannter missbraucht den Jungen über längere Zeit sexuell. Kickboxen und Musik geben ihm Halt.
Nelson Mandela
27 Jahre lang sitzt er in afrikanischen Gefängnissen, bevor er Präsident wird. Seine innigen Familienbeziehungen, der feste Glaube an Gott, aussergewöhnliche Intelligenz und die unerschütterliche Überzeugung, für das Richtige einzutreten, lassen ihn durchhalten.
Seal
Die Eltern trennen sich kurz nach seiner Geburt. Er kommt zu Pflegeeltern, die Mutter holt ihn zeitweilig zurück, schiebt ihn dann aber von London zum gewalttätigen Vater nach Nigeria ab. Eine Autoimmunerkrankung zerstört Seals Haut. Er läuft von daheim weg, beschäftigt sich intensiv mit Musik, schliesst ein Architekturstudium ab und wird als Sänger und (Ex-)Mann von Heidi Klum weltberühmt.
Angelina Jolie
Die Mutter sperrt sie in ein leeres, steriles Zimmer, weil das Kind sie an die Affären des Vaters erinnert. Anderthalb Jahre soll das Mädchen nur das Kindermädchen gesehen haben. Wegen ihrer Schönheit gewinnt Jolie früh Einfluss auf Männer. Wissbegierde, Tatendrang und Unabhängigkeit von Konventionen zeichnen sie genauso aus wie Exzesse. Mit 38 Jahren entscheidet sie sich, beide Brüste entfernen zu lassen, da sie zur Hochrisikogruppe für Brustkrebs gehört.
Widerständige Menschen sind Menschen mit klaren Zielen – samt passenden Strategien, diese auch zu erreichen. Und genau die lassen sich lernen, Kindern beibringen und üben. Tipps für schwere Zeiten.
Realistische Ziele setzen.
«Nobelpreisträger» oder «Supermodell» ist oft etwas hoch gegriffen. Fernziel in kleine Unterziele gliedern. Am besten in Tages-, Wochen-, Monats-, Jahresziele. Je kleiner die Etappe, desto schneller und häufiger gibt es Erfolgserlebnisse. Belohnen erwünscht! Immer bedenken: Selbst der New York Marathon beginnt mit einem einzigen Schritt.
Motive klären.
Ist das Ziel ein ureigenes, selbst gesetztes? Ausschliesslich dann werden Erfolgserlebnisse als solche empfunden und stärken das Selbstbewusstsein. Kindern nicht fremde Ziele überstülpen, sondern sie in ihren eigenen bestätigen und zu – erwünschten – ermutigen. Nur das schult zielorientiertes Verhalten. Das Kind möchte den Weltrekord des Schweizers Peter Colat im Luftanhalten brechen und liegt deshalb täglich unter Wasser in der Badewanne, um die 16 Minuten, 32 Sekunden zu überbieten. Befremdlich? Nein, toll. Zähigkeit und Ausdauer sind die Königsdisziplinen, um Widerstände zu überwinden.
Selbstmotivation.
Zu Unrecht steht das Selbstgespräch im Ruch, schrullig zu sein. Von Gerhard Schröder, einem in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsenen Halbwaisen, ist überliefert, dass er laut «Ich will da rein» rufend am Zaun des deutschen Kanzleramtes gerüttelt haben soll. Ein paar Jahre später war er drin.
Emotionen regulieren.
Angst blockiert. Deshalb kleine Mut-Trainingseinheiten einplanen. Grosse Gruppen sind ein Horror? Vielleicht zunächst üben, täglich zwei neue Menschen anzusprechen.
Kompetenzinseln finden.
Worin bin ich wirklich gut? Machen. Oft. Das mästet das Selbstwertgefühl.
Durchhaltevermögen trainieren.
Basteln, malen, musizieren – egal. Die Hauptsache ist, dranzubleiben.
Planen lernen.
Wie viel Zeit brauche ich für welches Etappenziel? Wie lange braucht man für zehn Vokis? Ist es realistisch, 80 pro Tag lernen zu wollen? Ausprobieren.
Verantwortung für sich selbst übernehmen können.
Als Übungsfeld eigenen sich Ämtli aller Art.
Vorbild suchen.
Vorbild sein. Lebt die Mutter vor, dass das Leben trotz Stress mit Arbeit/Kindern/ fehlendem Ernährer schön sein kann? Gibt es einen Schulversager-Onkel, der es über Umwege zum Professor gebracht hat? Motivierend wirken Biografien von Stehaufmännchen. Auch immer wieder nett: Arnold Schwarzenegger-Sprüche googeln: «Wenn ich auf die Neinsager gehört hätte, würde ich noch immer in den österreichischen Alpen sitzen und jodeln. Ich habe niemals auf ‹Das geht nicht› gehört. Ich habe immer auf mich gehört und gesagt: ‹Ja, du kannst das!›.»
Tipps, angelehnt an Simon Forstmeiers Publikation «So werde ich willensstark», Verlag Matthias Ess.
In der Deutschschweiz bietet etwa Thomas Moldovanyi Resilienztrainings extra für Jugendliche an.
www.coaching-werkstatt.ch
Interview
«Selbst eine Fliege kann ihr Schicksal gestalten»
Der Würzburger Neurobiologe Martin Heisenberg erforscht Taufliegen und Faktoren der Resilienz im ganz Kleinen. Ein Gespräch.

Der Würzburger Neurobiologe Professor Martin Heisenberg erforscht seit 45 Jahren die Taufliege. Seine Überzeugung: Erkenntnisse über komplexe Gehirne – wie Menschen sie haben – gewinnt man am besten, indem man zunächst ganz einfache untersucht.
«wir eltern»: Herr Professor Heisenberg, wenn ich Ihre Forschungen richtig verstanden habe, gibt es sogar unter Taufliegen solche, die unter schwierigen Bedingungen resignieren und Powerfliegen, die ihr Schicksal meistern. Liegt in der Taufliege die Antwort auf die Frage, was resilient macht, verborgen?
Martin Heisenberg: In der Taufliege liegt jedenfalls überaus Interessantes verborgen. Ich erforsche die Tiere nun seit über vier Jahrzehnten und bin der festen Überzeugung, dass es sinnvoll ist, zu fragen: Wie funktioniert ein einfaches Gehirn, wenn man etwas über ein komplizierteres – etwa das menschliche – wissen möchte. Fakt ist, dass wir noch immer wenig über die Funktionsweise dieses Gehirns wissen. So liegen beispielsweise die Ursachen psychischer Krankheiten noch weitgehend im Dunkeln und die Medikamente dagegen wirken nur palliativ, also lindernd. Das kann auf die Dauer nicht reichen. Man muss im Kleinen anfangen.
Das Gefühl der Selbstwirksamkeit ist, laut Studien, zentral für psychische Widerstandskraft. Ihr Fliegen-tyrannisier- Experiment testet, wie Lebewesen auf Schikanen reagieren?
So könnte man es sagen. Wir nennen die Gruppe der Fliegen, die wir nur ein bisschen plagen, die «Master»-Gruppe und die, die wir zusätzlich durch Entzug der Selbstwirksamkeit piesacken, «Yokeds»-Gruppe, unters Joch geschickte Gruppe. «Slave»- Gruppe, so wurde uns gesagt, sei politisch nicht korrekt. In den 60ern hat man ähnliche Experimente mit Hunden gemacht; jetzt gehen wir in der Gehirngrösse eine Nummer zurück, kommen aber exakt zu den gleichen Ergebnissen.
Könnten Sie Ihre Versuche kurz beschreiben?
Wir haben, wie gesagt, zwei Fliegengruppen gebildet. In beiden Gruppen wurden die Fliegen einzeln in eine Art Kanal gesetzt, in dem sie hin und her krabbeln konnten. Jetzt wurde der Boden für die Fliegen unangenehm erhitzt. Für die eine Gruppe hörte der Reiz «heiss» sofort auf, wenn sie in die entgegengesetzte Richtung krabbelte; für die «Yokeds»-Gruppe wurde der Boden willkürlich erhitzt, ohne dass die Fliegen es beeinflussen konnten.
Und wie sind die Resultate?
Fliegen laufen los, wenn sie nach einer Ruhephase erhitzt werden. Das ist angeboren. Die erste Gruppe behielt ihre natürliche Reaktion bei. Den «Yokeds» dagegen wurde der angeborene Reflex abtrainiert. Sie kümmerten sich bald gar nicht mehr um den Hitzereiz, sassen herum und krabbelten deutlich langsamer und augenscheinlich ohne Ziel.
Fatalistische Fliegen mit der Einstellung: «Ich kann an meinem Schicksal ohnehin nichts ändern?»
Ja. Wenn man so will, zeigten die «Yoked»- Tiere Symptome einer Depression und «learned helplessness», erlernte Hilflosigkeit. Das Experiment wies sogar Auswirkungen auf zwei Ebenen nach. Auf der emotionalen und der kognitiven.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Die Fliegen ohne Einfluss waren nicht nur antriebsärmer und depressiver, sie waren auch in einem Folgeexperiment schlechter in der Lage, Neues zu lernen. Die Fliegen dagegen, die ihr Schicksal hatten mitgestalten können, schnitten im zweiten Lernversuch deutlich besser ab.
Die «Yokeds»-Fliegen hatten also erfahren, dass Lernen sinnlos ist; die anderen Fliegen wurden zu Strebern, weil sie wussten, dass Lernen nützlich ist? Frei nach dem Motto: Was nicht tötet, härtet ab?
Das lässt sich so nicht sagen. Die Fliegen mit Einfluss lernten zwar deutlich besser als die «Yokeds»-Gruppe und waren auch aktiver, munterer, wenn Sie so wollen. Vergnügter – wenn man emsiges Herumkrabbeln als Indiz dafür werten will. Aber sie schnitten nicht besser ab als Fliegen, die gar überhaupt nicht drangsaliert worden waren.
Extreme Belastungen machen also nicht stärker?
Taufliegen wohl nicht. Aber das müssen wir noch untersuchen.