Griechenland
Tanz der Delphine
Vielleicht muss man einem Delphin in die Augen geschaut haben, um zu verstehen, warum Giovanni Bearzi seit Jahrzehnten das Sommerhalbjahr bei glühender Hitze auf der See verbringt; warum Silvia Bonizzoni stumm und in sich gekehrt das Meer absucht, stundenlang in die Weite starrt, im endlosen Blau nach einem Zeichen der Meeressäuger sucht. Gewiss muss man die Delphine so gut kennen, dass man sie an den Zacken ihrer Finne unterscheiden, wiedererkennen und benennen kann, um die Leidenschaft und Ergebenheit der beiden Biologen von Ocean- Care nachvollziehen zu können. Aber um die Meeressäuger ins Herz zu schliessen, reicht es, dass man nach einer langen Fahrt durch den Golf von Korinth die Hoffnung, eines dieser wundervollen Tiere in freier Wildbahn zu sichten, bereits aufgegeben hat und sie dann unvermittelt auftauchen, wortwörtlich – ein Geschenk Poseidons, Gott des Ozeans.
Jetzt allerdings sind die Delphine uns noch fremd wie die Sprache des Peloponnes und wir sitzen im Schulungsraum des Ocean- Care Study Centers in Galaxidi, meine beiden Töchter und ich, hören gespannt, was wir auf der Expedition auf der Novamarine RH 580 der Forscher morgen erleben werden. Der Wetterbericht verspricht stille Gewässer– allein das ist schon ein Glück – denn wenn der Wellengang zu hoch ist, stechen Giovanni und seine Truppe nicht in See. Sie wissen aus Erfahrung, dass selbst geübte Augen dann bloss Wellen sehen. Zu oft haben sie erlebt, wie schnell das Wetter umschlagen kann und aus dem Nichts ein Sturm aufzieht. Die Gäste ihres Hideaway-Programms wollen sie keinem Risiko aussetzen.
Die Teilnahme an der Expedition zu den Delphinen ist der Höhepunkt des Programms, das der Aufenthalt in den grosszügigen und liebevoll eingerichteten Gästewohnungen des Centers verspricht. Aber nicht garantiert. «Delphine», mahnt Giovanni seine Gäste mehrmals, «sind nicht da, um den Menschen zu gefallen.» Eine Lektion, die er auch den Studenten immer wieder ein- bläut, die leider nicht mehr so häufig an den angebotenen Forschungswochen teilnehmen. Die Universitäten müssen sparen. Deshalb hat sich OceanCare das Ferienprogramm ausgedacht. Die Gäste leisten mit ihrem Aufenthalt einen wichtigen finanziellen Zustupf an die Erforschung und den Schutz der Meeressäuger. Aber nicht nur. Giovanni und Silvia geht es vorab darum, das Bewusstsein für den gefährdeten Lebensraum des Golfs von Korinth zu fördern und ihre Liebe zu den Tieren zu teilen.
Brunchen im Hotel Ganimede, sich Joghurt aus lokaler Produktion mit Honig servieren lassen und die selbergemachten Köstlichkeiten der Chefin Chrisoula Papalexis geniessen: Konfitüren, Chutneys, Olivenpaste, Spinatfeta-Wähe etc. – Hotel Ganimede, Nick Gourgouri str., Galaxidi, www.ganimede.gr
Aussicht geniessen über Hügelketten und Olivenhaine auf den Golf von Itaka an einem Tisch auf der Terrasse von Patriko Mas, der traditionellen Taverne am Eingang von Delphi und einen griechischen Salat essen oder köstliches Moussaka – To Patriko mas, 69 Friderikis str., Delphi, www.topatrikomas.gr
Auf griechisch fastfooden und eine Pita oder Souvlaki essen. Am besten dort, wo keiner ein Wort Englisch spricht.
Ein dreifaches Ja des Orakels
Das Abenteuer beginnt am nächsten Morgen um sechs Uhr früh. Wir tragen literweise Wasser an Bord des Bootes. Und leichtes Essen. Es wird ein langer Tag werden, die Sonne erbarmungslos auf uns niederbrennen und wir werden dankbar sein für die Langarmshirts, die wir auf Geheiss der Forscher tragen und die leichten Windjacken, die uns in der Frühe wärmen und unsere Beine später von den Strahlen schützen. Noch aber versteckt sich die Sonne hinter den Gebirgszügen der Küste und die kargen braunen Hügelketten mit ihren fleckenweise bewirtschafteten Olivenhainen sehen in der Morgendämmerung aus wie die unebene Haut gigantischer Reptilien, die sich aus dem Wasser recken. Als wir die Fischerboote hinter uns lassen, die gleichzeitig aus dem Hafen von Galaxidi ausgelaufen sind, geht die Sonne auf und lässt das Festland leuchten, als hätte Apollo das Licht angeknipst.
Fisch bestellen in einem Hafenrestaurant. Wenn der Chef einem nicht einen Blick in die Küche gewährt und man den Fang vom Tag nicht selber bewundern darf, bekommt man das Filet aus der Kühltruhe, womöglich importiert aus Taiwan.
Benzin tanken in der Nähe des Flughafens. Die Tankstellendichte auf dem Festland kann es beinahe mit derjenigen der Olivenhaine aufnehmen. Und die kleinen Stationen sind bedient, billiger und viel freundlicher.
Kein Wort griechisch sprechen. Selbst wer nur Hallo, Bitte und Danke sagen kann, wird freundlicher aufgenommen. Oder anders ausgedrückt: Mit jedem Satz sinken die Preise.
Am Tag zuvor haben wir das Orakel in Apollos Tempel im rund 30 Kilometer entfernten Delphi gebeten, uns kundzutun, ob Poseidon uns günstig gesinnt ist und uns mit Delphinen segnen wird und alle drei ein klares Ja gehört. Aber vielleicht lag das auch nur an der Hitze, die noch um sechs Uhr abends wie eine schwere Glocke über der 500 Meter über Meer gelegenen historischen Grabungsstätte hing und die kulturelle Leistung hinter den Tempelbauten des antiken Zentrums der Welt ins Wundersame steigerte. Unbe schreiblich vor den gigantischen Säulen des Tempels von Apollo zu stehen, auf der Flanke einer rauen Felsenkette mit Fernsicht über liebliche Pinien- und Olivenhaine bis aufs Meer. Unvergesslich im Zentrum des in den Stein gehauenen Amphitheaters zu sitzen, auf die Knie zu gehen vor der Grösse und Schönheit dieses Vermächtnisses.
Zu viel Wind und kalter Kaffee
Seit Stunden pflügen wir durch das Wasser und starren ins Blaue. Nichts. Wellen bloss. Weisse Gischt. Einmal ein paar Thunfische, die sich an der Oberfläche Futter holen. Der Wind ist zu stark, die See zu rau, um Delphine auszumachen. Der Kapitän nimmt Kurs auf die Bucht von Antykira, in der eine Fischfarm angesiedelt ist, in der Hoffnung, dort fündig zu werden. Die Chancen stehen gut, das Wasser ist dort vom Wind geschützt und so glatt wie eine zurechtgestrichene Decke. Wir sichten eine Meeresschildkröte. Silvia hält Zeit und Koordinaten fest. Giovanni schätzt ihre Grösse. Delphine allerdings lassen sich keine blicken. Das Orakel hat uns angelogen, witzeln wir und lachen, aber die Kindergesichter können die Enttäuschung nicht verstecken. Die Crew kennt das Gefühl und steuert nun Festland an. Eisgekühlter Kaffee und Limonade im Hafen von Xylokastro soll uns über den erfolglosen Morgen hinwegtrösten, während hoffentlich der Wind sich legt, die See sich glättet.
Silvia und Giovanni erzählen uns von erfolgreicheren Tagen, an denen sie bis zu 1000 Fotos schiessen. Die Expeditionsbilder werden in eine Databank geladen, miteinander abgeglichen. So lernen die Biologen Wanderstrecken und Ortsvorlieben der Säuger kennen und Schwankungen in der Populationsgrösse erkennen. Heute scheinen die Tiere ausgestorben zu sein.
Der Wind hat sich gelegt. Kurz vor Mittag nehmen wir Kurs ins Tiefwasser. Die Sonne brennt trotz des Fahrtwindes. Die Kinder möchten sich am liebsten bei einem Schwumm abkühlen; ich träume von der kleinen Bucht ausserhalb Galaxidis, die wir am dritten Tag entdeckt haben, von gekühltem Eistee, frischgepflückten Feigen und einem guten Buch. Von einem Glas Retsina, Oliven und Schafskäse, die wir am Abend zuvor an einem der kleinen Tische mit blauweiss kariertem Tischtuch am Hafen gegessen haben. Aufgeregt und in Vorfreude auf die Delphine, die sich nun partout nicht zeigen wollen.
Silvia versichert den Kindern, dass sie ganz bestimmt da sind, dass wir nur nicht scharfsichtig genug sind, sie wahrzunehmen, solange sich das Wasser noch kräuselt. Noch nicht. Dann blickt sie erneut durch das Fernrohr und schweigt. Gischt, eine Schwanzflosse, zwei. Und dann die ganze Gruppe, sieben Tiere, die im gleichen Rhythmus auf- und abtauchen, wie perfekt aufeinander abgestimmte Synchronschwimmer, die aber, so erklärt Giovanni, im Ruhemodus sind. Delphine nämlich haben keinen Atemreflex, sie müssen bewusst auftauchen und Luft holen. Die Crew fotografiert konzentriert, bestimmt Gattung und Verhalten der Säuger, notiert Ort und Uhrzeit. Plötzlich ist auch Silvia aufgeregt. Ihr Sperberauge hat Delphinbabys gesichtet. Mitten in einem grossen Schwarm rund 200 Meter nördlich.
Nicole Althaus
OceanCare
Nicole Althaus
Ergriffen von der Schönheit
Und dann schwimmen wir inmitten von Delphinen, sie springen um das Boot herum, kommen uns so nahe, dass uns ihr Blas, die Fontäne beim Ausatmen, nassspritzt. Sie spielen miteinander, kreuzen sich in der Luft, begleiten das Boot inklusive Jungschar. Wir spüren die Sonne nicht mehr und nicht die Zeit. Der Tanz der Delphine hat uns verzaubert. Und dann taucht einer auf, direkt vor uns, und schaut uns in die Augen.
Auf der Rückfahrt sprechen wir kein Wort. Wir fliegen durch das Wasser. Glücklich. Nein, ergriffen von der Schönheit dieser Tiere, von der Eleganz ihres Tanzes, der blauen Weite ihrer Welt. Nichts, was wir nach diesem langen Tag auf dem Meer, nach 127 Kilometern Navigation gesehen haben, konnte diesem Erlebnis den Rang ablaufen. Nicht die einsame Insel mit dem kleinen verwunschenen Kloster darauf. Nicht die atemberaubende Aussicht auf den Golf von den Bergen, die klaren ruhigen Nächte, in denen wir draussen unter freiem Himmel lagen und vierzehn Sternschnuppen zählten. Nicht einmal die auf die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommene kulturelle Hochleistung von Menschen vergangener Epochen: Der Tempel der Athene in Delphi, der seit Jahrhunderten mit geradezu tänzerischer Leichtigkeit dem Wetter trotzt, oder die ergreifenden Ikonen und Deckenmosaike im Kloster Osios Loukas, rund 60 Kilometer landeinwärts. Um das zu verstehen, muss man wohl einem Delphin ins Auge geschaut haben.
Infos:
info@oceancare.org