Elternkolumne
So früh schon in die Kita?
Von Johannes Kornacher
Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Eintritt in die Kindertagesstätte? Die Enkelin unseres Autors Johannes Kornacher soll mit elf Monaten in die Kita. Geht gar nicht! findet der Journalist, Autor und Grossvater.
zvg
Das Buch «Holundersaft und Honigbrote» von Johannes Kornacher ist eine amüsante Briefsammlung an seine noch ungeborene Enkelin und bringt Grosseltern und Eltern gleichermassen zum Schmunzeln. Illustriert von Matthias Kahl. Verlag Tredition, 2020.
Wenn mich eines erstaunt, ist es die «Gelassenheit» junger Eltern. Jedenfalls, wenn es um die Kinderbetreuung geht. So sagte mir meine Tochter, damals noch hochschwanger: «Wenn ich nach der Babypause wieder arbeiten gehe, bringen wir sie in die Kita.»
«Wie, Kita? Dann ist sie doch erst elf Monate alt! Geht überhaupt nicht!», sage ich.
«Warum denn nicht?», fragt die Tochter.
«Weil sie dafür noch zu klein ist. Die ersten 18 Monate sind entscheidend für die Beziehungsfähigkeit, das weiss doch jeder. Da gehört ein Kind in die Familie und sonst gar nirgends hin.»
«Na, Paps, du lebst wohl noch im letzten Jahrhundert?»
«Das ist keine Frage des Jahrhunderts, sondern der Entwicklungspsychologie, und die gilt immer», entgegne ich. «Frag mal den Herbert Renz-Polster, der ist Kinderarzt und Buchautor und hat selbst einige Kinder. Er sagt: ‹Die ersten 18 Monate sind die Grundlage dafür, wie wir Beziehungen gestalten und als Erwachsene grausame Kriege führen.› Da könnt ihr sie doch nicht einfach in der Kita abgeben!»
«Was heisst abgeben, das sind geschulte Fachleute, die kümmern sich gut um die Kinder.»
«Woher weisst du das? Morgen kündigt eine und übermorgen ist die andere krank und meine Enkelin wird jede Woche von einer anderen Person betreut, von der ihr nicht mal den Namen wisst.» Jetzt bin ich richtig in Fahrt. «Kitas sind eine gute Sache. Aber nicht so! Und keine Elternzeit – unmöglich!»
«Dafür kann ich doch nichts», sagt meine Tochter.
«Doch! Schliesslich leben wir in einer Demokratie, und dann setzt man sich solange für bessere Bedingungen ein, bis man sie hat. Wir sind damals für Primarschul-Blockzeiten auf die Strasse gegangen. Hat auch was genützt. Aber ihr habt gar keine Zeit zu demonstrieren, ihr müsst ja dauernd doppelverdienen.»
«Nun mach mal einen Punkt. Jessica bringt ihren Sohn seit dem achten Monat in die Kita, der fühlt sich dort sehr wohl.»
«Ach, Jessica! Die hätte ihr Kind schon im achten Schwangerschaftsmonat in die Kita gebracht, wenn man ihn genommen hätte! Warum, glaubst du, fühlt sich ihr Sohn wohl in der Kita? Weil dort endlich mal jemand Zeit für ihn hat und nicht permanent E-Mails checken und telefonieren muss. Oder dauernd irgendwo hinfahren. Der arme Bub ist doch jeden Morgen heilfroh, wenn er wieder in die Kita darf.»
Ist ja sowieso unglaublich, welche familienpolitischen Verhältnisse in der superreichen Schweiz herrschen. In der Slowakei haben Mütter 34 Wochen bei 75 Prozent Gehalt, in Bulgarien sogar 58,5 Wochen bei 90 Prozent. Kann sich die Schweiz nicht leisten. Und Elternzeit, was ist das? Dabei hat die bundesrätliche Kommission für Familienfragen der Regierung bereits 2018 empfohlen: «Elternzeit würde sich positiv auf die kindliche Entwicklung auswirken.» Seitdem ist nichts passiert! Wenn man von den läppischen zwei Wochen Vaterschaftsurlaub absieht.
Irgendwie läuft da etwas aus dem Ruder. Früher gingen Kinder mit fünf in den Kindergarten, heute mit vier. Wobei man weiss: Kinder brauchen eine sichere Bindung an die Eltern, bevor sie extern betreut werden. Dazu ist eine Eingewöhnungszeit nötig. Obwohl sie für Kitas sind, bezeichnen selbst Fachleute wie der verstorbene Pädagoge Jesper Juul Kitas als «Kinderparkplätze».
Natürlich gibt es Familiensituationen, die erlauben diese Diskussion gar nicht. Alleinstehende Mütter in Not, oder Familien, die nur knapp mit zwei Löhnen überleben können. Die haben keine Wahl. Hier aber geht es um privilegierte, gut verdienende Paare, die Alternativen hätten. Etwa eine Auszeit von Mutter und/oder Vater für mindestens ein Jahr. Oder eine private Tagesmutter. Tauschmodelle mit anderen Familien. Oder die eigene Familie, wenn sie in der Nähe ist. Hier kam die Diskussion mit der Tochter frühzeitig zum Ende.
«Das wäre mir auch am liebsten», sagt sie, «Betreuung in der Familie. Wann hast du denn Zeit?»
«Wieso ich? Äh, hmm, ja.»
«Na also», sagt die Tochter, «geht doch».
Da ist sie wieder, diese «Gelassenheit».