Mobilität
Rutschen, rollen, radeln: vom Bobbycar zum Velo
Fahren ist toll, finden Kinder. Und völlig recht haben sie. Damit der gesunde Spass auch gleichzeitig sicher ist, gilt es, ein paar wichtige Dinge zu beachten.
Hurra, endlich mobil. Kaum kann das Kind allein laufen, will es auch schon allein fahren. Alles was rollt, zieht magisch an. Für Eltern öffnet sich damit ein neues Tummelfeld für Ängste. Schliesslich sterben jedes Jahr sieben Kinder auf Schweizer Strassen, 80 Prozent der schweren Unfälle passieren per Velo oder zu Fuss. Können Kinder doch erst zwischen acht und neun Jahren die Richtung, aus der Geräusche kommen – etwa Motorbrummen oder Hupen – zuverlässig orten. Unter 10 Jahren ist mit einem realistischen Bewusstsein für Gefahren nicht allzu fest zu rechnen, und Geschwindigkeiten korrekt einschätzen klappt bei manchen Kindern sogar erst verlässlich ab dem Alter von zwölf.
Heisst das also, dass man sein Kind in Watte packen soll? Nein. Denn wenn ein paar Regeln beachtet werden, gilt: Bewegung ist immer gut, Bewegung draussen noch besser. Und: Sportliche Kinder verletzen sich deutlich seltener; Radeln und Rollern unterstützt den Knochenstoffwechsel, entwicklungsbedingte Fehlstellungen, wie etwa X-Beine, wachsen sich schneller aus; Übergewicht hat schlechte Karten, wacklige Fahrzeuge schulen Gleichgewichtssinn, Konzentration und gute Haltung. Und das Allerwichtigste: Fahren macht Spass!
Bobbycar
Der Schuh-Schredderer unter den Fahrzeugen. Am Schuhspitzenschoner zu sparen, hiesse an der falschen Stelle geizen. Ab einem Jahr entdecken Kinder die Liebe zu den Rutsche-Autos und damit eine lebenslange Liebe zu Fahrzeugen aller Art. Das Bobbycar schult die Hand-Augen-Koordination, Distanzen werden buchstäblich erfahren und erstmals machen kleine Lenker* innen die Erfahrung, dass sich durch Körpereinsatz die Richtung eines Fortbewegungsmittels beeinflussen lässt. Sehr nützlich für künftige Ausflüge per Velo, Ski oder Trottinett.
Warnung 1: Nie barfuss fahren.
Warnung 2: Achtung, Treppen!
Laufrad
Das beste Training fürs Velofahren und viel besser als das gute alte Dreirad. In dem hockten die Neulenker* innen nämlich einfach drin, ohne das Gleichgewicht halten zu müssen. Bester Zeitpunkt, um mit dem Laufradeln anzufangen: etwa zwei Jahre. Das klappt aber nur, wenn das Rädchen perfekt auf die Grösse eingestellt ist. Beim Sitzen sollten die Füsse flach auf dem Boden stehen können. Praktisch: ein Trittbrett zum Abstellen der Füsse beim Rollen. Der Lenker sollte an den Enden abgerundet und gepolstert sein, damit er sich nicht schmerzhaft in den Bauchraum bohren kann und er sollte sich nicht um 360 Grad drehen lassen. Sturzgefahr!
Ansonsten ist das Laufrad das perfekte Trainingsgerät für Balance, Hand-, Fuss-, Augenkoordination, Gleichgewichtssinn, Muskelspannung und die sogenannte Propriozeption, das Empfinden für den eigenen Körper im Raum. Wichtige Grundlage für späteres räumliches Vorstellungsvermögen.
Sicherheitstipp: Helm auf! Auf Strassen und nah an Strassen ist das Fahren tabu. Gelaufradelt wird in Griffweite eines Erwachsenen. Gefälle beachten. So ein Rädchen rollt oft schneller als Mama oder Papa rennen können.
Velositz/-anhänger
Veloanhänger, so die BFU, sind sicherer als Velositze. Kommt es zu einem Unfall, stürzt das Kind nicht von so weit oben herunter. Anhänger, besagen Tests, werden bei Kollisionen meist nur zur Seite geschoben und kippen nicht um.
Wichtig: Kind Helm aufsetzen, korrekt angurten und stets bedenken: Das Velo ist plötzlich ungewohnt lang und – beladen mit kostbarster Fracht.
Trottinett
Sieht so harmlos aus, ist es aber nicht. Das Trottinett gehört zu den «Fahrzeugähnlichen Geräten» (FÄG). Jungs und Mädchen flitzen schon ab dem Kindergartenalter auf dem Trottoir durch die Gegend, weshalb die Gefahren des Strassenverkehrs schon mal vom Schirm der Eltern verschwinden. Dabei verletzen sich auf den flotten FÄGs 45 Personen pro Jahr schwer, die meisten davon sind jünger als 15 Jahre. In zwei von drei Fällen sind die Fahrer* innen selbst Schuld an dem Unfall.
Wichtig: Kinder zunächst nur in geschütztem Raum üben lassen! Ausserdem sollten die Lenkgriffe des Trottis festsitzen, sich nicht um sich selbst drehen lassen und mit einem Prallschutz aus Gummi überzogen sein, damit sich bei einem Sturz nicht die Metallstange in den Bauch bohren kann. Absolutes Must: Hinterradbremse und Helm!
Velo
Ab sechs Jahren dürfen Kinder auf dem Velo auch auf Hauptstrassen und ohne Begleitung am Strassenverkehr teilnehmen. Ob sie das sollten, steht auf einem anderen Blatt. Bis sie 12 sind, können sie auf dem Bürgersteig radeln, sollte kein Radweg oder Velostreifen vorhanden sein. Insgesamt verletzen sich in der Schweiz pro Jahr 50 Kinder unter 14 Jahren beim Radfahren schwer. Der Grund: motorisch klappt zwar das meiste, doch Radfahrkompetenz ist viel mehr: Verkehrsgeschehen im Blick haben, einhändig lenken können, Strassenschilder kennen, Baustellen umkurven…alles zusammen. Das überfordert leicht.
Studien legen nahe, dass eben jene «Radfahrkompetenz» vor allem vom Einstiegsalter abhängt, mehr noch als vom regelmässigen Radeln. Also: Früh übt sich, was ein souveräner Radler werden will. Für die ersten Jahre gilt für Radausflüge: am besten nur mit zwei Erwachsenen. Einer vorne weg zum Nachahmen, einer hintendran zum Sichern. Kontrollcheck: Kann das Kind beim Rädchen die Fussbremse gut erreichen? Sind die Handbremsen nicht zu stramm eingestellt? Ist der Lenkergriff aus nachgiebigem Werkstoff mit weicheren, vergrösserten Enden, dass er bei einem Sturz keinen Schaden an Bauch und Genitalien anrichtet? Ist der Helm in einer hellen, auffallenden Farbe? Sitzt er richtig? Sprich: Passen höchstens ein bis zwei Finger zwischen Band und Kinn? Liegt der Helmrand zwei Fingerbreit über der Nasenwurzel?
Und sonst? Ist Velofahren einfach klasse. Es gibt kaum Besseres für Kondition und Oberschenkelmuskulatur, ausserdem werden die Atemwege und das Herz gestärkt, das Gehirn besser mit Sauerstoff versorgt und durchblutet sowie Gelenke, Sehnen und Bänder schön sanft trainiert. Ausserdem haben Hirnforscher herausgefunden, dass aktive Kinder, die etwa früh und viel Radfahren, meist bessere Schulleistungen bringen. Klarer Fall von Win-win-Situation.
Rollerblades/Skateboard
Vielleicht schon ab fünf Jahren lernt das Kind: Rollerblades und Rollschuhe sind eine wacklige Angelegenheit. Gut so. Ein Bootcamp also für Gleichgewichtssinn, Rücken-, Oberschenkelinnenseiten-, Po- und Fussmuskulatur. Gut ausgebildete Fussmuskeln sind der Feind von Knick-Senkfüssen und unterstützen die Körperstabilität. Übrigens eine prima Sportart, die man als Familie zusammen machen kann. Bei der Anschaffung beachten: Blades nicht «zum Reinwachsen» kaufen, sonst lassen sie sich schlecht steuern.
Und: kritischer Blick auf die Rollen. Sind die Dinger mit zu weichem Plastik überzogen, löst sich die äussere Hülle manchmal ohne Vorwarnung vom Rollenkern. Ein Sturz ist unvermeidlich. Unnötig zu erwähnen, dass Helm, Knie-, Handgelenk- und Ellenbogenschoner zwingend zum Outfit gehören. Ab einem Alter zwischen zehn und zwölf: höchster Coolness-Faktor für Skateboarder* innen!
Auto
Hier sind Kinder ja nur Mitfahrer* innen. Oder Auto-Opfer. 6–7-jährige Jungs und Mädchen etwa sind im Schnitt rund 1 Meter 20 gross, ein Auto ist 1,50 hoch. Kein Wunder, dass sie schlecht über Autos hinweg sehen können und selbst schlecht gesehen werden. Zweidrittel der schweren Autounfälle mit zu Fuss gehenden Kindern passieren beim Überqueren der Strasse, 40 Prozent davon auf dem Fussgängerstreifen.
Folge: Richtiges Verhalten immer und immer wieder trainieren. Und: kontrollieren. Laut einer amerikanischen Studie kann es sinnvoll sein, dem Kind ab und zu unbemerkt nachzuschleichen. Denn siehe, in 40 Prozent der Fälle hielten sich die Kinder, wenn sie allein im Verkehr unterwegs waren, ganz munter an keine einzige der elterlichen Sicherheitsregeln.
Töff
Rechtlich gesehen dürfen Kinder ab 7 Jahren auf einem Töff mitfahren. Allerdings nur in einem durch die Zulassungsbehörde bewilligten Kindersitz. Die BFU allerdings empfiehlt, Kinder besser grundsätzlich nicht auf einem Motorrad mitfahren zu lassen. Sportlich bringt das ohnehin nichts. Wiegt der Spass das Risiko auf? Eher nicht.
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.