Erziehung
Neidisch aufs Geschwisterchen
«Entthronungs-Schock» nennen Psychologen die frustrierende Erfahrung von Erstgeborenen, die durch ein Geschwisterkind plötzlich ihre Prinzenrolle verlieren. Da war man Mamas ein und alles; und plötzlich ist man ihr nur noch zu viel, liebt die doch noch einen anderen, schmust mit ihm, tröstet ihn, wickelt ihn, stillt ihn, trägt ihn herum. Wenn das nicht kränkend ist! Da gilt es den Thron zu verteidigen. Schliesslich geht es um viel. Beobachtungsstudien zeigen, dass Babys bereits mit sechs Monaten eifersüchtig reagieren, wenn die Mutter eine lebensechte Puppe hätschelt. Sie bleiben dagegen völlig gelassen, wenn Mama sich einem Bilderbuch widmet.
Bei der Ankunft eines «Kleinen» wollen die, die nun plötzlich «die Grossen» genannt werden, erst mal überhaupt nicht die Grossen sein. Wo das neue Baby ja gerade durch seine Kleinheit unübersehbare Vorteile hat. Also versuchen die Entthronten es mit einem Zurückfallen in vermeintlich überwundene Babyallüren. Sie wollen wieder aus dem Schoppen trinken und Windeln tragen; sie können plötzlich nur noch in Babysprache reden und brauchen zum Einschlafen unbedingt einen Nuggi; und vor allem wollen sie immer dann auf Mamas Schoss, wenn der Nebenbuhler sich da gerade zum Trinken breit gemacht hat. Die meisten schicken sich jedoch irgendwann in ihre Rolle der «Älteren», die schon so viel können, und akzeptieren notgedrungen, künftig nur noch «einer von mehreren» zu sein.
Ständiges Vergleichen
Die Eifersucht hört damit natürlich nicht auf. Denn das Ringen um Zuwendung und Liebe der Eltern ist nur eine Ursache der geschwisterlichen Rivalität. «Schaut man genauer hin, woran sich Geschwisterstreit entzündet und warum es immer wieder zu aggressiven Auseinandersetzungen kommt, so wird deutlich, dass es in erster Linie die ständigen Vergleiche sind, welche die Geschwister bezogen aufeinander anstellen und die sie bewegen, miteinander in Konkurrenz zu treten», schreibt der Geschwisterforscher Professor Hartmut Kasten im Online-Familienhandbuch. Geschwister können gar nicht anders, als sich zu vergleichen. Sie sind sich ähnlich – immerhin ist im Durchschnitt die Hälfte ihrer Gene identisch – und sie leben zusammen. Also kriegt man automatisch mit, was der Bruder schon kann und man selbst nicht, was die Schwester darf und man selbst nicht, was der Kleinere erreicht und man selbst nicht.
Unbewusst streuen Eltern zusätzlich Salz in die Wunden der Eifersucht, indem sie ihren Nachwuchs und deren unterschiedliche Fähigkeiten bewerten. «Die Grosse ist total unsportlich», «den Kleinen muss ich nie ermahnen, dass er seine Hausaufgaben macht.» Solche Etiketten spiegeln den Kindern die unterschiedlichen Präferenzen der Eltern. Auch wenn die noch so oft beteuern, sie würden alle Kinder gleich erziehen und natürlich alle gleich lieben: Es stimmt nicht. Wäre ja auch merkwürdig, wenn Eltern ihre Kinder nicht ihrem Alter und ihren je eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechend behandeln würden. Und keines der Kinder erlebt die Familie gleich. Weil sich die Familie mit jedem Zuwachs – und ganz einfach durch das Älterwerden ihrer Mitglieder – stetig verändert.
Dennoch können Eltern eine Menge dazu beitragen, dass die Eifersucht unter den Geschwistern gemildert wird:
- Versuchen Sie nicht, vor der Geburt das neue Geschwisterkind als Spielkameraden anzupreisen. Das Erstgeborene wird schnell merken, dass das gar nicht stimmt, weil man mit dem Baby weder Sandburgen bauen noch Fussball spielen kann.
- Lassen Sie die «Grossen» bei der Babypflege helfen; holen Sie dabei ihren Rat ein: «Was meinst du, welchen Strampler sollen wir heute dem Baby anziehen? Das Baby weint – meinst du, es hat Hunger?»
- Haben Sie keine Angst davor, ihre Freude am Baby zu zeigen – das fördert nicht die Eifersucht, sondern wirkt längerfristig auf die Älteren ansteckend.
- Vergleichen Sie Ihre Kinder nicht miteinander und vor allem: Spielen Sie sie nicht gegeneinander aus («Deine Schwester hilft mir aber immer beim Tischdecken …»)
- Bleiben Sie bei Streitigkeiten so weit es geht neutral. Hinterfragen Sie kritisch, ob das kleine Unschuldslamm wirklich immer so unschuldig ist.
- Verlangen Sie nicht, dass ein Kind sich dem anderen unterordnet, selbst dann nicht, wenn eines ein paar Jahre älter ist. («Du machst, was Clarissa dir sagt.»)