
Vaterzeit
Mit dem Kind zieht das Chaos ins Haus ein
Unser Autor hätte es vor Luules Geburt nie für möglich gehalten, dass er eine derartige Unordnung in der Wohnung je ertragen würde.
Vaterzeit
Unser Autor hätte es vor Luules Geburt nie für möglich gehalten, dass er eine derartige Unordnung in der Wohnung je ertragen würde.
Komme ich jeweils um 8.20 Uhr von der Krippe nach Hause, ist die Stille in der Wohnung kaum auszuhalten und ich wünsche mir Luule zurück. Jedenfalls für etwa 12 Sekunden. Spätestens dann merke ich, den kalt gewordenen Kaffee austrinkend, dass ich vor der Online-Redaktionssitzung um 8.50 Uhr noch den Boden unter Luules Stuhl putzen, die Spülmaschine einräumen, das Altpapier auf die Strasse stellen, Luules Windeleimerchen leeren, die Wohnung lüften, Luules Wäsche aufhängen und Luules Spielzeug im Wohnzimmer aufräumen sollte. Bis Kita-Schluss gäbe es noch 19 andere Sachen und Sächeli zu erledigen, vier erledige ich jeweils am Mittag. Der ganze Rest muss warten.
Schritt für Schritt, so viel habe ich bereits gelernt, bringt nichts mehr. Am nächsten Morgen um 8.20 Uhr sind es nämlich wieder 19 unerledigte Sachen. Doch siehe da: Das Leben geht weiter, ob das Altpapier auf der Strasse steht oder nicht. Die Sorgen sind nicht grösser als früher. Jede Lebenssituation schafft sich die ihrigen. Ich hätte es allerdings nie für möglich gehalten, dass ich diese Unordnung in der Wohnung, und vor allem das Aufschieben der Beseitigung dieser, so gut ertragen würde. Sogar gelassen ertrage. Nur gerade vor Weihnachten, bevor der grosse Besuch aus Estland kam, bestellte ich in der Panik für vier Stunden eine Putzfrau, die dort putzte, wo ich schon gar nicht mehr hinsehe.
Früher brauchte ich das nie, denn selbst wenn mein Leben turbulent wurde, grössere und kleinere Tragödien und Wunder passierten, hielt ich Ordnung und die Wohnung war bestens geputzt. Und immer war da noch etwas Zeit. Deswegen hätte ich zuallerletzt damit gerechnet, dass ich jemals im Leben so beschäftigt wie jetzt sein und mein Terminkalender – mittlerweile ein Familienkalender – so unglaublich voll sein würde. Halb fasziniert mich dieses Chaos, das dieser kleine Mensch in mein Leben bringt, halb bin ich beeindruckt, dass ich es so wlocker, ja mit Freude ertrage.
Grossartige Tage
Gut, haben wir oft Besuch. Oder vielleicht sollte ich eher schreiben: Gut, beschaffen wir uns dauernd Besuch. Besuch schafft es, dass die Wohnung kurz so aussieht, wie sie vor Luules Geburt aussah. Fast. Immerhin sind dann alle Farbstifte, Bauklötze und Spieltiere weggeräumt, die Essensreste vom Boden weggeputzt, Küche und Bad sauber, der Küchentisch gar benutzbar. Dumm nur, ist das für Luules unüberschaubares Equipment gekaufte grosse Gestell in der Küche wegen solcher Hauruck-Übungen bereits an zwei Stellen durchgebrochen.
Dass ich für diese Gäste Pasta kochen muss oder eine Platte mit geräuchertem Fisch und anderen kalten Köstlichkeiten auftische und es am Morgen danach noch mehr zu entsorgen, auf- und einzuräumen, sowie Gläser abzutrocknen gilt, versuche ich zu negieren. Genauso wie das Kopfweh.
Luule sind meine Sorgen und Sörgeli egal. Sie blödelt eine Verstimmung zwischen ihren Eltern charmant weg und wir machen es ihr dann jeweils nach. Lächelt sie mich am Morgen um 5.40 Uhr nach halb durchwachter Nacht an, hat der Tag im Vergleich zu vielen tausenden vorher bereits sehr viel grossartiger begonnen.
Dann trage ich sie in die Küche, bereite das Frühstück vor, immer hoffend, sie findet es nach wie vor so unglaublich spannend, mir von ihrem Stehstuhl aus zuzuschauen. Bisweilen geht das mithilfe eines Stücks Tessinerbrot so gut, dass ich um 6.30 Uhr nicht nur das Rührei, das Joghurt mit Apfel und die Bialetti-Kaffeemaschine vorbereitet habe, sondern auch gleich die Ablage geputzt und unter Luules wachen Augen mit Inbrunst poliert habe. Wenn ich im alten Leben um 7 Uhr in die Küche trat, hat sie nie so geglänzt.
Christian Berzins (1970) ist Autor bei den Zeitungen von CH Media und Kolumnist bei «wir eltern». Seit er im Oktober 2022 Vater von Luule geworden ist, hielt er uns über seine Erlebnisse als Papa auf dem Laufenden. Dies ist seine letzte Kolumne für uns. Wir danken Christian von Herzen für seine wundervollen, erheiternden und feinfühligen Texte über sein Papasein mit Luule und wünschen ihm und seiner Familie das Allerbeste.