Erziehung / Sprache
Gestammel statt gepflegte Sätze - was ist los mit der Ausdrucksweise der Jugendlichen?
Von Caren Battaglia
Schwindsüchtige Sätze, Grammatik-Gehacktes oder gleich nur noch Bildchen – verarmen beim Nachwuchs Sprache und Denken durch Smartphone und Co? Nicht unbedingt. Höchstens durchs Smartphone der Eltern … Testen Sie beim Sprachquiz Ihre Kenntnisse.
Sprachquiz: Na, fit in der Sprache?
Ja, wir kennen die Klage, die Jugend von heute beherrsche kein korrektes Deutsch mehr, die Rechtschreibung der Kinder sei ein Trauerspiel, die Sprache der Werbung mit ihrem «Da werden Sie geholfen» auf dem Tiefpunkt. Aber wie gut sind eigentlich die Mütter und Väter? Mit diesem Test kann man es prüfen. Das Ergebnis muss man ja nicht unbedingt herumzeigen …
Doch, doch, wir sind leidlich gebildete Leute. Wir besitzen Bücher, sehen selten Fernsehsendungen, in denen Menschen im Urwald Ungeziefer essen und können sogar Schillers «Glocke»auswendig. Zumindest die ersten zwei Zeilen. Und: Uns liegt die Sprache am Herzen. Ehrlich. Schon von Berufs wegen. Das nur vorweg – falls Sie irgendwo meine Tochter sprechen hören und falsche Schlüsse ziehen aus Gestammel wie: «Ja, also gestern, der Lukas. Echt krass. Das macht der 24/7. Voll. Und ich so: endpeinlich…» Keine Ahnung, wies weiterging. Sätze sind das jedenfalls keine. Das ist sprachliches Gefuchtel, Grammatik- Gehacktes, das ist Syntax im Schleudergang. SMS unterschreibt sie fröhlich mit hdl, CU oder gleich nur mit einem Bildchen. Im schlimmsten Fall einem Bildchen von grinsenden Fäkalien. Wie konnte das nur passieren? Das Kind ist klug. Das heisst – es war klug.
Denn vielleicht führen ja Stummelsätze zu Stummelgedanken? Überlegt differenziert, wer undifferenziert spricht? Sind Sprache und Denken siamesische Zwillinge? Und was bloss können Eltern tun, um den kindlichen Wortschatz von Anfang an zu mästen, wenigstens aber vor der Magersucht zu bewahren? Oder ist das Schicksal der heutigen Kinder ohnehin besiegelt und Twitter verdrängt Tucholsky?
Toxisches Twittern?
Hans Zehetmair, ehemaliger Vorsitzender des deutschen Rechtschreibrats, sah schon vor Jahren die Zukunft in dunklem Grau. Einen rasanten Sprachverfall der Jugend witterte er in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa. SMS mangle es an Gefühl, die Sprache verkümmere zu einem dürren Gerippe, englische Wörter planierten den deutschen Wortschatz. Twitter solle überhaupt erst ab einem Alter von 14 erlaubt werden. Zu toxisch seien die neuen Medien für die Ausdrucksfähigkeit der nachwachsenden Generation. Auch Sprachguru Wolf Schneider unkte bereits 2006 im «Spiegel»: «Es geht bergab mit der deutschen Sprache.» Zudem erscheinen in schöner Regelmässigkeit Studien, die den vermeintlichen Leseverdruss der Kinder und den Untergang des Buchs zum Thema haben – mitsamt der Folge, dass Interpunktion und Wortschatz gleich mit in die Tiefe sausten. Da passt es gut ins triste Bild, dass Schweizer Schüler in der aktuellen Pisa-Studie beim Textverständnis nur im Mittelfeld dümpeln; und die «NZZ» beklagt, dass hiesige Maturanden Rechtschreibfähigkeiten mitbrächten, die an «keiner Hochschule akzeptabel seien». Tja.
Da hört man doch förmlich schon das Hufklappern der apokalyptischen Reiter, wie sie Richtung «gutes Deutsch» galoppieren. Martin Luginbühl, Professor für deutsche Sprachwissenschaft an der Uni Basel, lassen Getrappel und kulturpessimistisches Geplapper kalt. «Ach, wissen Sie, die Klage über die angebliche Sprachverarmung ist uralt. Ein Muster, das sich stets wiederholt, sobald ein neues Medium entsteht.» Als Ende des 18. Jahrhunderts Unterhaltungsromane populär wurden, befürchtete man für die jungen Menschen «Romansucht». Kurz nachdem das Radio erfunden wurde, wähnte man den Untergang der Schrift. Mit dem Fernseher kam die Angst vor flächendeckender Verdummung durch laufende Bilder.
Und jetzt, seit Smartphone und Mail, Tweets, Blogs und Internet in die Kinderzimmer eingezogen sind, branden halt neue Klagewellen auf.
«Ich sehe keinen Grund zu Pessimismus», sagt Martin Luginbühl. «Im Gegenteil finde ich, dass Kinder und Jugendliche heute grössere sprachliche Anforderungen meistern müssen als noch die Generation vor ihnen.» Bücher und Whatsapp, Gratiszeitungen und Newsticker, lange Texte sowohl am Bildschirm als auch auf Papier lesen zu können – das verlange den jungen Menschen einiges an Sprachkompetenz ab. «Allein schon sich zu merken, wo man etwas gelesen hat, ist viel schwieriger geworden. Bei Büchern funktioniert noch: ziemlich vorne, links unten. Aber etwa bei einem Bildschirmtext braucht man neue, andere Orientierungshilfen.»
Die Welt ändert sich, die Sprache ändert sich. Und – das Denken ändert sich. Die drei kleben aneinander wie das Pech an der Marie. Wandelt sich eine Variable, wandeln sich alle.
Westlich vom Messer
Das ist erforscht und bewiesen. So fand etwa der britische Linguist Steven Levinson heraus, dass Sprecher der australischen Aborigines-Sprache Guugu Yimithirr beinahe jederzeit auch ohne Kompass die Himmelsrichtung bestimmen können. Nicht Guugu Yimithirr-Sprechern gelingt das maximal bei strahlendem Sonnenschein und das oft auch nur mittags. Im Guugu Yimithirr, sagt man nämlich nicht rechts oder links, oben und unten, sondern südlich, nördlich, östlich oder westlich. Also: Eine Gabel liegt westlich vom Messer, die Hose trägt man südlich des T-Shirts.
Witzig, aber bedeutungslos? Nein, denn die Untersuchung ergab weiterhin, dass die Himmelsrichtungs-Sprecher generell Geografiefakten schneller aufnahmen und zudem eine bessere räumliche Vorstellungskraft aufwiesen als Links-Rechts Sager. Sprache und Art des Lebens sind offenbar wie Huhn und Ei.
Wie Sprechen und Weltsicht verzahnt sind, zeigen interkulturelle Sprachvergleiche. Im Englischen beispielsweise wird stets benannt, wer der Auslöser einer Situation ist (subject first!). Im Japanischen spielt das grammatikalisch eine geringere Rolle. Hier steht das Geschehen im Vordergrund. Zeigt man nun – wie etwa die amerikanische Psychologin Lera Boroditsky – Amerikanern einen Film, in dem ein Junge eine Vase zerbricht, wird der Zuschauer verlässlich den Tunichtgut benennen. Japaner hingegen erzählen den Handlungsverlauf häufig so nach, dass der Junge keine Rolle spielt: Eine Vase sei kaputt gegangen. Kein Verursacher. Kein Schuldiger.
«So muss Technik»
Sogar wie Tee schmeckt, bestimmt die Sprache. Wissenschaftler der Hochschule Harz servierten Probanden völlig identischen Tee. Einmal angeblich die Sorte «Tropical Feeling», einmal «Vor dem Kamin». Erstaunlicherweise beschrieben die meisten den «Tropical Feeling»-Geschmack als «fruchtig und exotisch». «Vor dem Kamin» dagegen schmeckte, als sei er «entspannend und beruhigend».
Bei dieser enormen Kraft der Sprache soll einem beim Chat des Nachwuchses «Was machsch?» «chille», «:-)» nicht mulmig werden? Da soll man gelassen bleiben, wenn Kinder Werbung hören wie «So muss Technik» oder «Da werden Sie geholfen»? Droht da nicht eine Sprache wie von Rudis Resterampe? Schlimmer noch – von Rudi’s Resterampe?
Weichen sind früh gestellt
«Unsere Sorge um die Sprache setzt zum falschen Zeitpunkt ein und an der falschen Stelle an», findet Sabine Stoll, Professorin für Psycholinguistik an der Universität Zürich. «Wir sollten uns statt des Mediengebrauchs der Schüler und Teenies besser den Mediengebrauch der Mütter kritisch ansehen.» Der Mütter? «Ja. Bis zum Schuleintritt sind nämlich die Weichen für Sprachfähigkeiten weitgehend gestellt», so Stoll. «Die Erfahrungen der ersten Lebensjahre sind für die Sprachentwicklung zentral. Nicht die der Jugendjahre.» Schon weit vor dem ersten Schultag sei ziemlich klar, wer später mit einem Buch unter die Leselampe sitzen wird und wer vor dem Wii. Wer spannende Aufsätze schreiben, Gedichte verstehen und sich präzise ausdrücken kann und wer damit lebenslänglich Mühe haben wird.
Die amerikanischen Forscher Betty Hart und Todd Risley beziffern das, was diese beiden Gruppen trennt, mit 10 Millionen. 10 Millionen Wörter pro Jahr. Ganze 30 Millionen Wörter haben Kinder aus umsorgenden und gebildeteren Elternhäusern bis zu ihrem dritten Geburtstag mehr in ihren Familien gehört als ihre weniger privilegierten Altersgenossen. 30 Millionen Wörter in drei Jahren – das macht über 60 Millionen bis zum Schuleintritt. Eine Kluft, die Kindergarten, Krippe, Frühförderung kaum noch schliessen können. «Early catastrophe» betitelten die Forscher deshalb ihre Untersuchung.
Und genau in diesem frühen Alter entfalten auch die Smartphones ihre unheilvolle Wirkung, erklärt Sabine Stoll: die Smartphones der Eltern. «Ich sehe Väter im Tram, die in ihr Handy gucken, während ihr Kind ihnen etwas erzählt. Mütter auf dem Spielplatz, die auf dem Telefon tippen, statt ab und an die Sandkuchen zu würdigen.» Verständlich möge das sein – «aber fatal für die Sprachentwicklung». Ohne die Rückkopplung mit – in der Regel – der Mutter, könne kein Kind aus dem Fluss ihm ja noch unbekannter Sprache das Bedeutsame herausfiltern. Ohne ihren Blick, ihre Wiederholung, ihre Stimmfärbung bleibt die Sprache ein Brei. Erst «Was hast du für einen schönen Teddy! So ein lieber Teddy. Wollen wir den Teddy schlafen legen?» macht aus diesem flauschigen Etwas einen Teddy, erst so entsteht ein Gespür für Stimmlagen, für Begriffe, den Wert von Kommunikation und persönlichem Kontakt. Nur Eltern, die ihre Kinder von Anfang an mit Sprache umspülen, düngen den Wortschatz, fördern Hörverständnis, Leseverständnis, Ausdrucksfähigkeit.
Also am besten permanent auf das Kind einplappern? «Nein», sagt Sabine Stoll, «das wäre zu künstlich.» Aber verschiedene Sprachsituationen schaffen, etwa durch gemeinsames Singen, Quatschreime machen, vorlesen, – notfalls auch zum hundertsten Mal dieselbe Lieblingsgeschichte – bei Tisch miteinander plaudern und konzentriert zuhören, was das Kind erzählt – das bildet Sprache. «Besonders wichtig ist, dass man mit einem Kind über Dinge spricht, die es selbst interessieren», so Stoll. Krampfhaftes Fördern mit pädagogisch Wertvollem, dem Kind aber Piepegalem perle dagegen meist ab wie Wasser an der Ente.
Mit Gleichaltrigen reden
«Kinder müssen kindlich erzählen dürfen», findet auch Martin Luginbühl. «Und sie müssen oft Gelegenheit haben, mit Gleichaltrigen zu reden.» Denn nur unter Gleichaltrigen müsse das Kind, um verstanden zu werden, selbstständig eine Struktur ins Erzählte bringen, den Plot herausarbeiten, Witze kenntlich machen. «Wenn Eltern sich ständig einmischen, lernen Kinder das alles nur mit Mühe. Und wenn sie es ständig korrigieren, dann verlernen Kinder zudem die Freude an der Sprache.»
Und das wäre doch – könnte man getrost mit meiner Tochter sagen – krass irgendwie. So voll schade und so.