Kunst
«Mami, was macht eigentlich ein Künstler?»
Sie gehörten einfach zum Standard-Sonntagsprogramm, die Besuche im Kunsthaus, in der Kunsthalle oder im Löwenbräu. Nicht, weil ich mich als besondere Kunstexpertin verstand. Es war vielmehr so ein Da-geht-maneinfach-hin-Ding und Redet-dann-mit-Ding. So erlebte ich Urs Fischer Ende der Neunzigerjahre und seine Rauminstallation «Leiter»; eine Malerleiter wirft vermeintlich einen Schatten an die Wand, der in Wirklichkeit nur aufgemalt war – was in letzter Konsequenz beinahe zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung über Sinn- und Unsinn von Kunst mit einer Freundin geführt hätte. Ich liess mich von Pipilotti Rist’s Videoinstallation «Ever is Over All» verwirren, in der eine junge Frau in Zeitlupe die Fenster geparkter Autos mit einer Riesenblume einschlägt. Und ich war fasziniert von Ugo Rondinones traurigen Clowns. Kunst gehörte irgendwie dazu. Bis die Kinder kamen. Nun könnte ich natürlich Ausrede Nummer eins anführen: Mit Kindern ist es einfach zu anstrengend, eine Ausstellung zu besuchen. Was auch stimmt. Denn nur zu gut erinnere ich mich an Picasso mit meinem Sohn, er von Bild zu Bild rennend, ich Schildchen lesend hinterhechelnd. Oder an unser Fischli-Weiss-Erlebnis – mein Sohn unglaublich fasziniert von der Ausstellung, ich ständig darauf bedacht, dass er nicht hinter die Absperrungen klettert, um die Kettenreaktion zu unterbrechen – das Ganze natürlich von der Museumsaufsicht beobachtet und scharf kommentiert. So liessen wir es eben bleiben mit der Kunst. Bis zu jenem Tag, als mein Sohn mich fragte: «Mami, was macht eigentlich ein Künstler?»
Olaf Breuning, Künstler
Okay, kurz durchschnaufen und überlegen. Ich erzählte dann etwas von «mit ihren Kreationen unterhalten sie uns und regen uns zum Denken an». Auf der Stirn meines Sohnes bildeten sich Falten, bis er kommentarlos davonrannte. Wie würde das enden? Ich sah ihn schon als jungen Erwachsenen in einer Quizshow sitzen, wo er die Frage gestellt bekommen würde: Welcher Künstler hat 2007 mit einem diamantbesetzten Totenkopf die Gemüter erhitzt: a) Damien Hirst, b) Paris Hilton? Und er sich selbstbewusst für Antwort b) entscheiden würde. Nein, das durfte nicht sein, ich konnte die Kunst nicht weiterhin aus unserem Alltag verbannen. Also machten wir uns eines Nachmittags auf nach Basel zu Tinguely. Mister Maschinen-Guru – wer sonst könnte es schaffen, bei meinem Sohn einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen?
«Press the red button» – lautet Tinguely`s Motto. Ungläubig schaute mich mein Sohn an, als ich ihn aufforderte, auf den roten Knopf der Rieseninstallation «Utopia» zu drücken. «Bist du sicher, dass man das darf, Mami?» Wie schrecklich dachte ich, so überangepasst ist er bereits. «Ja, ja, du darfst» Ein überdimensionales Schaukelpferd drehte sich, ein Vorhang ging auf und zu, ein Gartenzwerg stand Kopf und riesige Räder drehten sich ineinander – mein Sohn wusste nicht, wohin mit seinen Blicken. Aus seiner überangepassten Lethargie langsam erwachend, wagte er sich sogar auf die Leiter der Installation vor. Gut, dachte ich, Kunst scheint ihm Spass zu machen, das ist schon mal eine gute Ausgangslage. «Schau mal, der Täängeli hat auch Flaschendeckel gesammelt», stellte mein Sohn bewundernd fest, als wir vor einer anderen Installation standen. In diesem Moment sah ich mich, wie ich alle paar Wochen seine Strassenschätze – Bierdeckel, Steinchen und Federn – aus seiner Kiste heimlich verschwinden liess und schämte mich. «Und schau, er hat sogar für ein kaputtes Autöli noch einen Platz gefunden», sagte er und zeigte mit dem Finger auf die Spitze einer Skulptur. Mein Sohn, der Schrottsammler, hatte einen Seelenverwandten gefunden. Im letzten Raum angelangt, wurde er beinahe schon beängstigend besinnlich. Die altarähnlichen Kompositionen aus verfallenen Auto- und Motorradkarosserien, kombiniert mit Tierskeletten und Glühbirnen, taten ihre Wirkung. Es waren Werke, die sich mit dem Tod auseinandersetzten, wie ich auf einem Schild gelesen hatte. Mein Sohn sass versunken vor einer Skulptur, die ratterte und Furcht einflössende Schatten an die Wand warf. «Woher hatte der Täängeli das kaputte Auto?» – «Es gehörte einem Freund, der damit bei einem Autorennen verunfallt ist.» – «Ist er tot?» – «Ja.» – «Ich glaube, der Freund würde es bestimmt schön finden, wenn er wüsste, dass sein Auto jetzt Kunst ist.» Jean hatte seine Sache gut gemacht. Er hatte es geschafft, meinem Kleinen innerhalb von zwei Stunden Spass zu bereiten, sich verstanden zu fühlen und zum Nachdenken anzuregen. Mehr muss Kunst nicht können.
Franziska Dürr, Kunstpädagogin, Kunsthaus Aarau
Schweizer Kunstmuseen können also nicht falsch liegen. Denn bereits seit Anfang der Neunzigerjahre haben sie erkannt, dass die Kinder von heute die Museumsbesucher, Kunstkenner- und auch Sammler von morgen sein werden. Grund genug um in die Kunstvermittlung von Kindern zu investieren. Was die hiesigen Museen so alles im Angebot haben und unternehmen, um unsere Kleinsten für Kunst zu begeistern, lesen sie im Anschluss.
Jonathan Meese, Künstler
Museum Tinguely, Basel
Im Museum Tinguely in Basel ist was los. Hier quietscht, kracht und rattert es, hier wird Kunst in Bewegung gesetzt. Ein Museum, das sich bestens für einen sonntäglichen Familienausflug eignet. Im Kinderclub, der jeden Mittwochnachmittag stattfindet, treffen sich die Kids, um Werke zu schaffen, die von Tinguelys kinetischer Kunst oder von einer Sonderausstellung inspiriert sind. Im Museum werden gemeinsam Werke betrachtet und im Atelier wird gebaut, gestaltet und mit unterschiedlichen Materialien experimentiert. Die Themen ändern von Mal zu Mal. Manchmal werden die Kinder sogar zu Reportern, Dokumentarfilmern und Schauspielern vor den Museumskulissen beim Kinderclub TV. Die aussergewöhnlichsten Arbeiten – wie etwa der Hund Lulu mit seinem Fell aus alten Videobändern – werden regelmässig im Museum Tinguely ausgestellt. Seit Februar dieses Jahres hat der Kinderclub einen eigenen Raum im Museum beziehen können.
Museum Tinguely, Dienstag bis Sonntag, 11–18 Uhr; www.tinguely.ch
Zentrum Paul Klee, Bern
Kinder seien nicht weniger begabt als Künstler, hat Paul Klee einmal sinngemäss gesagt. Im «Creaviva», dem Kindermuseum des Klee-Zentrums, lässt sich das leicht überprüfen. Im «Offenen Atelier» gestalten Kinder und Jugendliche Kunstwerke unter professioneller Anleitung – die dabei angewandten Techniken beziehen sich natürlich auf Klees Werke. In der sogenannten «Fünflieberwerkstatt» können Familien jeden Sonntag kreativ tätig werden, und jeweils samstags treffen sich im «Kinderforum» die jungen Künstler, um sich gestalterisch so richtig auszutoben. Selbst Kindergeburtstage können im Museum «Creaviva» bei Kunst und Kuchen gefeiert werden. In Zusammenarbeit mit der Musikschule Konservatorium Bern werden jüngst auch Kurse in Verbindung zwischen Kunst und Musik angeboten.
Zentrum Paul Klee «Creaviva», Dienstag bis Sonntag, Offenes Atelier: jeweils um 12, 14 und 16 Uhr (Dauer: 1 Stunde); Interaktive Ausstellung: 10–17 Uhr, www.zpk.org oder www.creaviva-zpk.org.
Aargauer Kunsthaus, Aarau
Selbst Eltern von Kleinkindern sind im Aargauer Kunsthaus willkommene Gäste. Das zeigt sich am Angebot «Kunst-Eltern». Bei dieser regelmässig durchgeführten Veranstaltung können sich Mütter und Väter bei einem geführten Ausstellungsgang entspannt Kunst zu Gemüte führen und entscheiden, ob die Kleinsten sie auf ihrem Rundgang begleiten sollen oder nicht – Betreuung ist auf Wunsch vorhanden. Auf der Veranstaltung «Kunst-Pirsch» kommen Kinder zwischen 5 und 13 Jahren zum Zug: Sie werden auf ihrer «Forschungsreise» durchs Museum von Kunstvermittlerinnen begleitet und lernen dabei, über Kunst zu sprechen und Fragen zu den Werken zu stellen. «Welches Tier begleitete den Naturforscher und Künstler Caspar Wolf jeweils in die Berge?» Dieser Frage gehen Familien auf der Veranstaltung «Kunst-Ausflug» nach. Neben dem Lösen von Rätseln werden Geschichten zu den Werken erfunden oder Begriffe gesammelt.
Öffnungszeiten: Di–So, 10–17 Uhr; Donnerstag, 10–20 Uhr, www.aargauerkunsthaus.ch
Hans Ruedi Weber, Museumspädagoge, Kunsthaus Zürich
Rosengart-Museum, Luzern
«Was ist denn das Komisches?» – Diese und viele andere Fragen werden im Museum Rosengart in Luzern von Kindern gestellt. Von Kindern wohlgemerkt, die als junge Kunstvermittler andere Kinder durch die Sammlung führen und ihnen Werke von Picasso und Klee näher bringen. Bei diesen Museumsführungen sind Erwachsene unerwünscht. Erwünscht sind allerdings viele Fragen. Denn auf dem sechzigminütigen Rundgang steht die Kommunikation im Zentrum. Und kommuniziert wird in einer Sprache, welche die Sieben- bis Elfjährigen verstehen. Gemeinsam werden die Bilder betrachtet und in Details zerlegt. Dabei profitieren beide Seiten, das kompetent vermittelnde Kinderteam wie auch die Kinder, die am Rundgang teilnehmen. Seit 2005 werden auch hör- und sehbehinderte Kinder von ihren Altersgenossen durch die Ausstellung geführt. Zur regelmässig durchgeführten Veranstaltung «Sehen & Verstehen» werden Eltern mit ihren Kindern sowie Grosseltern mit ihren Enkeln zu kindgerechten Führungen eingeladen.
April bis Oktober: täglich 10–18 Uhr (inklusive Feiertage); November bis März: täglich 11–17 Uhr (inklusive Feiertage), www.rosengart.ch
Kunsthaus Zürich, Zürich
Alberto Giacometti, Joseph Beuys, Roman Ondàk – wer sich total auf Kunst konzentrieren möchte, kann dies auf einem geführten Rundgang durchs Zürcher Kunsthaus auch ohne Kinder tun. Die öffentlichen Führungen für Erwachsene finden – wenn immer möglich – parallel zur Veranstaltung «Kunsthaus-Werkstatt» für Kinder und Jugendliche statt. Im offenen Malatelier können sich die Kleinen in der Zwischenzeit so richtig austoben. Bei spontanen Museumsbesuchen mit Kindern sollte man an der Kasse unbedingt nach dem Familienführer «Kunstspürnase» fragen. Die aus der Sammlung entwickelte Reihe besteht aus fünf kindgerecht gestalteten thematischen Heften, die dazu anregen, über «Dinge und Pflanzen», «Himmel und Erde», «Menschen», «Tiere» oder das künstlerische Mittel «Farbe» nachzudenken. Von Illustrationen, Hinweisen oder Fragen animiert, begeben sich Eltern gemeinsam mit ihren Sprösslingen auf Spurensuche vor dem Original. Im «Kinderclub » ist man bereits ab drei Jahren willkommen: Die Drei- bis Sechsjährigen machen sich auf zur Drachenjagd, die Sechs- bis Zehnjährigen erfinden Geschichten zu den Werken, und ab den Zehnjährigen ist detektivischer Spürsinn gefragt.
Kunsthaus Zürich, Sa/So/Di, 10–18 Uhr; Mi–Fr, 10–20 Uhr, www.kunsthaus.ch
Olaf Breuning, Künstler
Weitere Museen mit Kunstvermittlung für Kinder
Kunsthalle Ziegelhütte, Appenzell IR
Bevor die Ziegelhütte 2003 zum Museum umfunktioniert wurde, war es bereits in Kinderhand. Kinder aus Appenzell richteten damals eine Geisterbahn ein, in der man für 20 Rappen das Fürchten lernen konnte. Heute finden Kinder in Spezialführungen Namen für die unterschiedlichen Werke des Museums.
www.museumsliner.ch
Villa Langmatt, Baden
Die Villa Langmatt ist das 1900 bis 1906 erbaute Wohnhaus der Familie von Sidney Braun, einem Mitbegründer der Maschinenfabrik BBC. Der Lieblingsplatz der drei Braun-Kinder war der Garten. Und noch heute gibt es für die kleinen Museumsbesucher im Park viel zu entdecken. Etwa die lustigen grünen Vögel, die nicht pfeifen können, die man im Park findet.
www.langmatt.ch
Kunsthaus Centre Pasquart, Biel
Jeweils im Herbst findet der Workshop «Abenteuer Kunst» statt. Dabei werden Kinder zu Experten der Ausstellung und führen ihre Familie und Freunde durchs Museum.
www.pasquart.ch
Haus Konstruktiv, Zürich
Es lohnt sich bei der «Kunst-Expedition» des Zürcher Haus Konstruktiv dabei zu sein. Ob das Grosi mit ihrem Enkel, der Vater mit der Tochter, die Gotte mit dem Göttibub – bei diesem Workshop sind alle zu einer spielerischen Entdeckungsreise durchs Museum eingeladen. Gemeinsam wird geschaut, erzählt, gezeichnet und gebastelt.
www.hauskonstruktiv.ch
Literaturhinweise
Das Kunstbuch für Kinder
Amanda Renshaw, Verlag Phaidon: Eine Auswahl von 30 der bedeutendsten Künstler aller Epochen ermuntert die Kinder dazu, Kunst zu geniessen, und die leicht verständlichen Texte leiten dazu an, sich intensiver mit den Werken zu beschäftigen.
Kunst, ein Mitmachbuch für Kinder
Verlag Arena: Neben zahlreichen überraschenden Fakten über berühmte Künstler und ihre Werke werden auch Techniken vorgestellt, mit denen Kinder selber die schönsten Kunstwerke entstehen lassen können: Mit Acrylfarben Landschaften malen wie van Gogh, einen Seerosen-Teich von Monet aus Seidenpapier kleben oder eine afrikanische Maske basteln.
365 Tage Kunst entdecken
Verlag Prestel: Ein Kunstbuch, das für jeden Tag eine neue Überraschung parat hält. 365 Kunstwerke inspirieren mit Suchspielen, Rätseln und kleinen Geschichten.
Klee für Kinder
Sylvia Rüttimann, Verlagsgruppe Ueberreuter, Fr. 30.50
Ein Schweizer Museumsführer für Kinder.
www.museumslupe.ch
Ein Kunstspiel für Kinder im Netz, das Spannung, Spass und Wissen bietet.
www.kizzart.com
Angelehnt an die Sammlung des Aargauer Kunsthauses wird man auf der interaktiven Seite www.kunst-klick.ch selbst zum Kurator einer Ausstellung oder zum Kunsthistoriker.