Gesellschaft / Regenbogenfamilie
Mami verdient das Geld, Mama ist Hausfrau
Von Manuela von Ah
Auch Lesben und Schwule wünschen sich Familie – und haben sie auch. So wie Sara und Carmen Keller. Sie leben so, wie es sich eine bürgerliche Partei nur wünschen kann. Ausgerechnet die CVP aber möchte die Ehe als «Bündnis zwischen Mann und Frau» in der Verfassung verankert wissen.
Am 28. Februar 2016 wird über die von der CVP lancierte Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» abgestimmt. Unter anderem will die Initiative damit neu in der Bundesverfassung festhalten, dass eine Ehe «eine auf Dauer angelegte Verbindung zwischen Mann und Frau» ist.
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Sara runzelt die Stirn, als sie den noch warmen Birnenkuchen serviert. «Ich weiss nicht, ob er schmeckt – ich habe ihn nach einem uralten Rezept gebacken.» «Doch, gelungen!» findet Carmen, die strubbeligen und doch streng nach links gestylten Fransen wippen anerkennend mit. Über Mittag isst Carmen meist zu Hause, ihr Architekturbüro liegt nur einen Steinwurf entfernt von der Genossenschaftswohnung in Winterthur. Mama Sara (32) ist Hausfrau und Mutter, Mami Carmen (32) sorgt für das Einkommen. Joa (1½) ist ihr Wunschkind und wieselt nun nach dem Mittagsschlaf durch die Stube, holt Stofftiere aus der Spielecke und verteilt sie in der Runde. Während draussen die Kälte durch die Kleider kriecht, wärmt drinnen Lebenslust, Vertrauen und Liebe die Luft.
Some quote
Vertrauen und Liebe – das sind Werte, die Familien zusammenhalten. Eigentlich auch für Stefan Engler. Jetzt betritt der CVP-Politiker das mächtige Portal des Bundeshauses in Bern, verabschiedet sich von Christoph Blocher und führt durch die belebte Eingangshalle treppauf. In einem der opulenten und holzgetäferten Sitzungssäle erläutert Ständerat Engler, weshalb für ihn eine Ehe grundsätzlich nur aus einer Verbindung zwischen Mann und Frau bestehen kann. Denn genau dies will die CVP mit der Heiratsstrafe-Initiative in der Bundesverfassung festhalten: Die Ehe als «auf die Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau» (siehe Box). Stefan Engler, Rechtsanwalt und Vater zweier Kinder, ist weder weltverschlossen noch homophob. Und er stellt auch nicht in Abrede, dass «andere Lebensformen möglich sein sollen». Dennoch scheint die Vorstellung einer homosexuellen Ehe sein Weltbild zu irritieren. «Ich glaube schon, dass zwei Männer oder zwei Frauen füreinander und für ein Kind gleiche Liebe empfinden können wie ein heterosexuelles Paar», sagt Engler, «die Ehe aber soll Mann und Frau vorbehalten sein.» Warum? «Weil nach meinem Idealbild die Ehe als die auf Dauer und verbindliche Beziehung und Nähe zwischen Mann und Frau steht und als solche einen unverzichtbaren gesellschaftlichen Wert darstellt.» Ein wenig macht es den Anschein, als sei das «Warum» nicht erklärbar. Als sei die Passage gottgewollt und ohne Zutun der CVP-Initianten in den Abstimmungstext gerutscht.
Zwei Streifchen
Sara und Carmen kennen sich seit einer kleinen Ewigkeit, in der Primarschule drückten die beiden als beste Freundinnen die Schulbank. Als Sara 11 Jahre alt war, starb ihr Vater. Vor Trauer und Verwirrung gabs im Kopf keinen Platz mehr für Mathe und Geografie. Sie wechselte die Schule und die Mädchen verloren sich aus den Augen.
Bis sich ihre Lebenswege vor 10 Jahren erneut kreuzen. Als Sara nach einer zerbrochenen Beziehung auf Purplemoon, einer Partnerplattform für Lesben und Schwule, stöbert, bleibt sie verblüfft an Carmens Profil hängen. «Mein Herz setzte einen Moment aus, als ich realisierte, dass meine damalige Schulfreundin auch auf Frauen steht!» Auf einer als Kolleginnen geplanten Reise auf die Malediven flackern Gefühle auf, die sich nicht in der Schublade gemeinsamer Vergangenheit ablegen lassen. Es wachsen Zukunftsträume. Sara und Carmen ziehen zusammen, heiraten und Sara gibt ihren Namen zugunsten des Familiennamens «Keller» auf. Als in ihren Herkunftsfamilien Babys zur Welt kommen, «begann es mich richtig zu kribbeln im Bauch», erzählt Sara. Es ist klar: Sara und Carmen wollen auch ein Kind. Heute ist es für junge Lesben normal, sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Warum soll das archaische Selbstverständnis von Schwangerschaft und Geburt nicht auch für sie Gültigkeit haben?
Für Stefan Engler aber wird ein Kind in eine Familie hineingeboren, an deren Ursprung Mann und Frau stehen, die den Wunsch haben, Leben weiterzugeben. «Dafür braucht es nach meinem Familienbild Mann und Frau», betont er mit freundlicher und sonorer Stimme. Braucht es das? Die Reproduktionsmedizin spricht eine andere Sprache: In-Vitro-Fertilisation, Social Freezing, Samen- und Eizellenspende – mittlerweile nehmen auch Unverheiratete, Singles und gleichgeschlechtliche Paare in Anspruch, Kinder ausserhalb des Ehebettes zu zeugen. Dass die Gesellschaft moralische Fragen dazu auszudiskutieren hat, leuchtet ein – dass sich das Zeitrad nicht zurückdrehen lässt, auch.
Als der Fruchtbarkeitstest bei Sara zwei Streifchen anzeigt, muss sie innert 48 Stunden nach Kopenhagen reisen. Dort hinterlegten Sara und Carmen zuvor bei einer Fruchtbarkeitsklinik schriftlich, welche Merkmale der Samenspender aufweisen soll: Haar- und Augenfarbe, Grösse und Gewicht. Fotos der Spender stehen zu deren Schutz zwar keine zur Verfügung. Seine Beschreibung aber soll möglichst genau auf Carmen passen.
Bedauern und Bewunderung
Falls sich Sara und Carmen innerhalb der nächsten drei Jahre noch ein Kind wünschen, liegt ein Depot mit demselben Samen bereit. Joa kann, wenn sie 18 Jahre alt ist, die Klinik kontaktieren und nach den Koordinaten ihres biologischen Vaters fragen.
Anders als bei heterosexuellen Paaren stellt sich bei zwei Frauen die Frage, wer das Kind austrägt. Bei Carmen und Sara bleibt das Seilziehen aus. «Ich wäre zu nervös gewesen, das hätte bei mir nicht funktioniert!», sagt Carmen. Ein bisschen Bedauern ist zu spüren. Und eine grosse Portion Bewunderung für Sara. Wie diese mutig und zielbewusst alles aufgleiste, sich in Kopenhagen für die Insemination aufs Untersuchungsbett legte, danach in der Schweiz monatlich die Frauenärztin aufsuchte. Die Spiegelneuronen feuern, als sei es ihr eigener Körper, der bei Joas Geburt gebärt: «Als ich Sara während der Wehen und beim Notkaiserschnitt im Operationssaal auf dem Schragen liegen sah, heulte ich nur noch vor Mitgefühl und Mitleid.»
Berge von Gefühlen für ihre Familie sind erlaubt – Rechte aber hat Carmen keine. Obwohl sie Joa mitaufzieht und in eingetragener Partnerschaft lebt, darf sie ihr Kind nicht adoptieren. Sara gilt rechtlich als alleinerziehende Mutter, das Sorgerecht gehört ihr allein. Auch wenn Carmen volles Vertrauen in Sara hat: Dass der Staat und die Gesellschaft lesbische Co-Mütter rechtlich zurückstellt, schmerzt.
Heute Nachmittag nimmt Carmen frei für einen Spaziergang mit Sara und Joa über den nahegelegenen Wald- und Wiesenhügel. Eine Pause hilft, den Kopf durchzulüften, denn im Büro stapeln sich die Aufträge. Zumindest bedeutet viel Arbeit, die latenten Existenzängste etwas zu bannen. «Manchmal», sagt Carmen, «fühle ich mich als Ernährerin der Familie schon unter Druck.» Als selbstständige Architektin ist sie den Gezeiten der Nachfrage nach Wohnungen und Häusern ausgesetzt. Sara, einen Kopf kleiner als Carmen, schubst diese sanft in die Seite: «Aber gell, du hast vor Joas Geburt darauf bestanden, für uns alle zu sorgen! » Die beiden Frauen gucken sich an und lachen. Das tun sie oft. Selbst wenn sie sich vermutlich auch ohne Worte bestens verstehen – austauschen, diskutieren, gemeinsam abwägen stärkt die Bande. Und es hilft, den Alltag mit seinen Anforderungen immer wieder neu auszutarieren. Gibt es bessere Voraussetzungen für ein Kind, als in einem liebevollen und lebendigen Nest wie jenem der Kellers aufzuwachsen?
Zutiefst erwünschtes Kind
Während sich vor zwei Dekaden kaum ein homosexuelles Paar Kinder zu wünschen wagte, beanspruchen junge Lesben heute die Freiheit, nicht nur Kinder zu gebären. Sie wollen sich auch für das klassische Rollenmodell entscheiden dürfen. Sara zupft an ihrem grobgestrickten, ärmellosen Pulli, welcher der Mönchskutte von Katniss aus «Tribute von Panem» nachempfunden ist und schwingt Joa auf ihre Schultern. «Früher schaute man die Frauen dumm an, wenn sie arbeiten gingen, heute hagelt es Fragen, ob mir zu Hause nicht die Decke auf den Kopf falle», überlegt sie laut. Doch, klar, sie liebe ihren Beruf als Schreinerin. Den Geruch des Holzes einzuatmen, mit Säge, Hobel und Feile zu hantieren, das vermisse sie. Irgendwann wird sie auch in ihre Schreinerbude zurückkehren. «Im Moment aber bin ich einfach Mutter, geniesse die Zeit mit Joa und will für meine Familie sorgen!» Sara guckt unter dem zappelndem Bündel auf ihrer Schulter schräg nach oben zu Carmen: «Und das Privileg, Hausfrau sein zu dürfen, verdanke ich dir!»
Anders als bei heterosexuellen Paaren müssen sich Lesben und Schwule darum bemühen, wenn sie eine Familie gründen wollen. Kein zerrissenes Kondom, keine vergessene Pille, kein One-Night-Stand führen bei einem gleichgeschlechtlichen Paar zu einer ungeplanten Schwangerschaft. Jedes Kind, das einer homosexuellen Partnerschaft entspringt, ist ein zutiefst erwünschtes Kind.
In rechtlicher Hinsicht umfasst eine eingetragene Partnerschaft fast alles, was eine Ehe auch enthält – im Erb- und Sozialversicherungsrecht sind eingetragene Partnerschaften der Ehe gleichgestellt. «Das ist gut so», sagt Stefan Engler. Doch an der Idee, dass eine Ehe nicht aus zwei Männern oder zwei Frauen bestehen kann, möchte er festhalten.
Eigentlich machen sich Sara und Carmen nicht viel aus Politik. Dennoch fühlen sie sich von der CVP-Initiative vor den Kopf gestossen. «Abgesehen davon, dass wir zwei Frauen sind, entsprechen wir doch jeder traditionellen Vorstellung: Wir sind verheiratet, machen Kinder, sorgen gut für sie – wir tun das, was die Gesellschaft braucht.»
Der kleinen Joa sind Abstimmungen und politisches Gerangel herzlich egal. Glücklich klaubt das Mädchen farbige Holzkugeln aus der Spielkiste und guckt verblüfft, wie diese die Chügelibahn hinunterrollen. Nebenan kuscheln sich Sara und Carmen in die Kissen auf ihrem grauen Sofa, rühren in einer Latte Macchiato und erzählen Anekdoten aus ihrem Familienleben. Eine Frage bleibt ausgespart, bis zum Schluss: Soll Joa irgendwann noch ein Brüderchen oder ein Schwesterchen erhalten? Werden Sara und Carmen noch einmal nach Dänemark reisen?
Die beiden schmunzeln. Geht das jemanden etwas an? Oder umgekehrt gefragt: Ist es schlimm, wenn die ganze Welt weiss, dass bei Kellers Vertrauen, Liebe und Zukunftsträume hausen? «Nein», finden Sara und Carmen. «Und ja, die nächste Reise nach Kopenhagen steht bald an!»