Babypause
Knackpunkt Babypause
Sie sind klug, werden als Alpha-Mädchen gefeiert, haben die besseren Schulabschlüsse als Männer, sind bis zum Alter von 29 Jahren ebenso häufig in Führungspositionen wie ihre männlichen Kollegen – und reiben sich mit Mitte 30 die Augen: Wo ist sie bloss hin, die Karriere? Weg. Offenbar zeitgleich gekappt mit der Nabelschnur des ersten Kindes.
Da macht die Ökonomin nach einem Jahr Familienzeit und mit abgespecktem Arbeitspensum im Büro nicht mehr Millionendeals, sondern Kopien für den Chef. Da startet die einst aussichtsreiche Juristin/Journalistin/Architektin im Job nicht mehr durch, sondern hilft jetzt, als Mutter, in der Schul-Bibliothek aus und erwägt eine Zweitausbildung als Shiatsu-Therapeutin. Kurz: Viele Frauen basteln als Mütter nicht nur Strohsterne mit den Kindern, sondern sich selbst auch eine Berufsbiografie, die von ihrem Potenzial so weit entfernt ist wie ein Wasserbüffel vom Polarmeer.
Wie kann das sein in Zeiten von Frauenförderung, Quotendiskussion und Tochter-Tag?
Was ursprünglich als Phase gedacht war, wird bei Müttern häufig chronisch: Der berufliche Unterbruch gerät zum Abbruch der Laufbahn. Klebt doch am einst hoffnungsprallen «Wiedereinstieg» zäh der Abstieg.
Selbst makellose weibliche Erwerbsverläufe werden nach einer Geburt lückenhaft wie das Gebiss eines Erstklässlers.
Und nirgendwo in Europa sind die Lücken grösser als in der Schweiz.
Hierzulande verabschieden sich Frauen wegen der Kinder insgesamt 9,8 Jahre aus dem Job. In Grossbritannien sind es 7,3, in Frankreich 3,7 und in Finnland 3,5 Jahre. Allerdings sind diesbezüglich die individuellen Unterschiede auch nirgendwo grösser als in der Schweiz.
Die Frauenerwerbsquote ist hier mit 80 Prozent hoch, der Mutterschaftsurlaub kurz; das führt dazu, dass Mütter, die aus finanziellen Gründen arbeiten müssen, sehr schnell an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und Frauen, die das nicht müssen, sehr häufig einen Bogen um die Doppel- und Dreifachbelastung durch Kind, Job, Haushalt machen. Stattdessen konzentrieren sie sich zeitweilig ganz auf die Familie oder nutzen die Gelegenheit, sich mit geringerem Arbeitspensum beruflich neu zu orientieren.
Im besten Fall sorgt das für ein glückliches Leben, oft aber auch dafür, dass Mütter beruflich nie mehr richtig Fuss fassen, finanziell abhängig vom Mann werden und für ihre Altersvorsorge rein gar nichts tun.
Im Falle einer Trennung droht vielen finanziell der freie Fall. Die Serviceangestellte Cornelia Aegerter hat das am eigenen Leib gespürt. Schichtdienste, spontane Arbeitseinsätze gehörten für sie noch vor drei Jahren, vor Giulias Geburt, zum Berufsalltag. «Mit Kind liess sich das aber nicht organisieren, zumal meine Eltern noch berufstätig sind», erzählt sie. «Und da die Stimmung am Arbeitsplatz zu der Zeit auch mies war, war die Schwangerschaft ein prima Vorwand zum Kündigen.» Baby, Haushalt, Partnerschaft, dazu ein paar Tupperware-Partys, die zusätzlich ein Taschengeld einbrachten – alles schien perfekt. Bis es in der Partnerschaft knirschte, ihr Mann auszog, Geld für die Miete fehlte, Kleidergeld fehlte, es an allem fehlte. Mit fast 30 Jahren war Cornelia Aegerter plötzlich wieder auf die finanzielle Unterstützung des eigenen Vaters angewiesen. «Das war demütigend», sagt sie. «Nie hätte ich gedacht, dass so etwas passieren könnte. Ich hatte doch immer fleissig gearbeitet. Ist es denn schlimm, mal eine Zeit nur fürs Baby da zu sein?»
Wieder im Service anstellen wollte sie keiner. Eine Mama? Eine alleinerziehende dazu? Ob die wohl zuverlässig ist? Spontan abkömmlich? Pünktlich? Aus der Kellnerin war am Arbeitsmarkt ein Risikofaktor geworden. Wie aus Müttern generell am Arbeitsmarkt ein Risikofaktor wird. Befürchten doch, laut einer internationalen Studie, 37 Prozent der leitenden Angestellten, dass berufstätige Mütter weniger engagiert seien, weitere 25 Prozent vermuten, dass sie nach der Elternzeit den beruflichen Anforderungen nicht mehr entsprächen.
Cornelia Aegerter geht es inzwischen wieder besser. Mit ihrem Partner hat sie sich versöhnt, ein zweites Kind ist angedacht, Arbeit als Aushilfe ist organisiert. Berufliche Sicherheit nicht.
Auch für Andrea Gasser (41) führte der Wiedereinstieg nicht wirklich nach drinnen. Drei Monate war die Personalentwicklerin aus dem Luzernischen nach der Geburt von Quirin daheim, strich ihr Pensum von 100 auf 40 Prozent zusammen und damit auch gleich ihren ganzen Job. Das von ihr aufgebaute Rechnungswesen betreute nach der Babypause jemand anderes, statt mit Kunden hatte sie es nur noch mit Papier zu tun und die Teamleitung war sie ohnehin los. «Erst mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich beruflich ausgebootet worden bin», erzählt sie: «Auch intellektuell war ich nicht mehr gefordert. Dazu kam die Wut, dass mir niemand zugetraut hat, mich so zu organisieren, dass ich weiterhin Führungsverantwortung übernehmen kann.» Wie Andrea Gasser geht es jeder dritten berufstätigen Mutter. 32 Prozent der Rückkehrerinnen haben das Gefühl, von ihrem Chef auf ein Abstellgleis geschoben worden zu sein. Andrea Gasser kündigte, bekam ein zweites Kind, suchte sich einen neuen Job und wurde bei jedem Vorstellungsgespräch gefragt: «Wie können Sie das denn mit ihren Kindern vereinbaren?» Ein Satz, den ihr Mann, obwohl er auch einen Tag reduziert hat, nie hören musste.
Im Gegenteil, Väter sind begehrt. Männer machen in der Zeit zwischen 30 und 40 die entscheidenden Karriereschritte, erhöhen nach der Familiengründung ihren Arbeitseinsatz, netzwerken im Job, während ihnen die Babypausen-Frau daheim den Rücken frei hält. Gehaltsunterschiede von bis zu 27 Prozent zwischen Männern und Frauen entstehen meist in dieser Phase: Frauen unterbrechen, Männer arbeiten durch. Mütter leisten den Bügeln-koch-wasch-Uffzgi-Support, Väter klettern ein Treppchen nach oben. Mütter sammeln für ihre Kinder Migros-Nanos, Väter Berufserfahrung. Die so entstandenen Einkommensunterschiede sorgen ihrerseits nun wieder dafür, dass Mütter statt Väter ihre Berufstätigkeit reduzieren.
Raus aus der Komfortzone
«Da liegt der Fehler», so die deutsche Publizistin Bascha Mika, die derzeit mit ihrem Buch «Die Feigheit der Frauen» für Diskussionen sorgt. «Mütter müssen darauf bestehen, dass Männer auch reduzieren, dass alle Aufgaben genau gleich verteilt werden, auch wenn das erst mal finanzielle Einbussen bringt.» Die Harmoniebedürftigkeit der Frauen, die Bereitschaft an allen neuralgischen Punkten der Biografie zurückzustecken und in die Weibchenfalle zu tappen, sorge dafür, dass Emanzipation eben nicht erreicht sei. «Allein auf strukturelle Schwierigkeiten zu starren, genügt nicht, man muss auch sehen, wie die Frauen sich verhalten und damit Ungleichheit im System stützen.» Klar sei es so, dass Betreuungsplätze fehlten, selbstverständlich gebe es immer noch besagte gläserne Decke, die dafür sorgt, dass in der Schweiz unter 100 Verwaltungsräten börsenkotierter Unternehmen gerade mal vier Frauen sind, und natürlich gibt es Männer wie Joseph Ackermann, der Frauen in Führungsetagen deshalb befürwortet, weil sie «Schönheit und Farbe in die Chefetagen» brächten, ja, das gebe es alles. Aber es gebe eben auch das: Frauen, die ihr eigenes Berufsleben nicht so planen, dass sie damit eine Familie ernähren könnten, die schon zu Studienzeiten hinter ihrem Freund herzögen und, kaum böte sich der Ausweg «schwanger», sich im Berufsleben wegducken und einem Alltag zwischen Muki-Turnen, Rosenrabatten und Latte Macchiato den Vorzug gäben. «Komfortzone» nennt Bascha Mika diese geschützte Mama-Werkstatt. Das Dumme daran: frau kommt nicht mehr heraus. Nur 16 Prozent aller Mütter sind Vollzeit angestellt, in der Schweiz arbeitet die Hälfte aller Frauen unter 30 Stunden pro Woche. An Führungspositionen ist derzeit so nicht zu denken. Die traditionelle Rollenverteilung «Mann verdient, Frau fegt» wird solide zementiert. Zumal sich das Modell zumindest kurzfristig auszahlt. So hat die St.Galler Ökonomin Monika Bütler ausgerechnet, dass private Vollzeitbetreuung von Kindern in der Schweiz 18 000 bis 25 000 Franken pro Jahr kostet. Wird in die Rechnung einbezogen, dass ein Aufstocken des Berufspensums um 20 Prozent oft einhergeht mit wegfallenden Krippensubventionen und einsetzender Steuerprogression, arbeitet eine mittelgut verdienende verheiratete Frau mit zwei Kindern schnell in die Miesen. Mit drei Tagen Erwerbsarbeit pro Woche ist Karriere allerdings unmöglich, vier sollten es schon sein.
Doch nicht alle Mütter wollen Karriere machen, nicht alle stören sich daran, dass in der Schweiz 90 Prozent der Männer mehr als 39 Stunden in der Woche arbeiten und somit für Aufgaben innerhalb der Familie ausfallen. Viele Frauen finden es schön, nur ein bisschen wieder einzusteigen, eine gesündere Work-Life-Balance zu haben. Doch selbst ihnen empfiehlt Regula Brunner von der Zürcher Berufsschule für Weiterbildung, nicht lange völlig auszusteigen: «Frauen verlieren sehr schnell ihr Selbstwertgefühl. Sie trauen sich schon nach kurzer Familienphase Berufstätigkeit gar nicht mehr zu.» Typischerweise belegten diese Mütter dann mehr oder minder sinnvolle Computerkurse, Sprachkurse und alle möglichen anderen Kurse, um sich vermeintlich Business-fit zu machen. Doch gerade Computerwissen veralte enorm schnell. «Viel effektiver ist es, später im Job das Nötige zu lernen», so die Erwachsenenbildnerin, «und sich im Vorfeld nie ganz aus dem gesellschaftlichen Leben auszuklinken. Also in der Gemeinde aktiv werden, irgendetwas tun, das Anerkennung bringt.» Denn wie Jutta Allemendinger, Professorin für die Soziologie des Arbeitsmarktes an der Berliner Humboldt-Universität und Autorin des Buches «Verschenkte Potenziale», schreibt: «Egal, ob Frauen fünf Jahre unterbrochen haben oder fünfzehn, egal, aus welchen Elternhäusern sie kommen, ob sie eine gute Bildung mitbringen oder eine schlechte, alleinerziehend sind oder nicht – was sie eint, ist, dass sie sich nichts mehr zutrauen.» Die Bankangestellte Rachel Langmeier (39) kann davon ein Lied singen. Vom Kopf her weiss sie, dass es eine tolle Leistung war, fünf Kinder in der 10-Jährigen Jobpause grossgezogen zu haben. Nach der Rückkehr in den Beruf schwankte ihr Selbstbewusstsein dennoch bei jedem kleinen Fehler bedenklich, häufig plagte das Gefühl, alles nicht zu schaffen: «Mit 40 Prozent ist man ohnehin ein wenig aussen vor. Wenn man dabei bleiben möchte, sind 60 das Minimum.»
Oder in den Worten von Bascha Mika: «Das Minimum ist, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Denn wenn die Kinder gross sind, bleiben immer noch 30 Jahre Leben übrig.»