Christina Künzle
Businessregeln gelten auch für Mütter
wir eltern: Frau Künzle, ständig ist von Frauenförderung die Rede, dabei schnappt die Karrierefalle doch erst zu, wenn aus Frauen Mütter werden. Mütterförderung wäre angebrachter, oder?
Christina Künzle: In der Tat darf es nicht sein, dass Frauen gezwungen werden, sich zwischen Beruf und Familie zu entscheiden. Männer müssen das schliesslich auch nicht. Aber ist besagte Falle überhaupt eine?
Frauen, die länger wegen der Kinder pausieren und ihr Pensum unter 60 Prozent reduzieren, sind jobmässig weg vom Fenster …
Das ist zumindest richtig für Frauen, die Karriere machen wollen. Richtig ist hier aber auch, dass eine wirkliche Karriere Hochleistung bedeutet: 150 Prozent Einsatz, permanenter Leistungsdruck, kaum Privatleben. Viele Frauen wollen das gar nicht. Und sie leben gesünder damit.
Ein Plädoyer für die Frau, die dem Mann den Rücken frei hält?
Nicht im Mindesten. Ich selber habe auch ein Kind und dennoch Karriere gemacht. Aber Realismus tut im Businessbereich gut. Man muss sehen: Damit Partnerschaft und Familie funktionieren, muss auch für eine gute Infrastruktur gesorgt sein. Irgendjemand – egal wer – sollte den Kühlschrank füllen, mit den Kindern in den Zoo gehen und dafür sorgen, dass Weihnachtskarten an Freunde geschrieben werden. Haben die Eltern dazu keine Zeit, braucht man ein enorm solides soziales Netz oder sehr viel Geld. Meine Berufstätigkeit hat mich bis zu 4000 Franken pro Monat nach Steuern gekostet – für Krippe, private Tagesschule, Haushaltshilfe usw.
Geld hin oder her, viele Frauen wollen auch nach dem Baby beruflich am Ball bleiben…
Das sollen sie auch. Dazu braucht es aber sowohl strategische Planung als auch gute Organisation. Und zwar von Anfang an.
Was heisst von Anfang an? Ab Geburt? Ab Schwangerschaft?
Viel früher. Männer planen ihr ganzes berufliches Leben. Frauen planen bis zu den Kindern. Falls eine Frau Familie möchte, sollte sie sich schon bei der Berufswahl – nicht bei der Ausbildung – fragen, welche Position mit einer Familie zusammengeht. Hohe Präsenzpflicht, starkes Machoumfeld, in dem kein Platz für Bedürfnisse und Schwächen ist, familienunfreundliche Firma: schlecht. Selbstständigkeit, Berufe, bei denen es um strategisches Planen geht und freie Zeiteinteilung mit viel Selbstverantwortung: gut. Eine Medizinerin wird es als Oberärztin mit Schichtdienst schwer haben, in einer eigenen Praxis vergleichsweise leicht. Eine gelernte Informatikerin sollte sich vielleicht nicht die Stelle als Chefin des Rechenzentrums schnappen. Aber Projektentwicklerin klappt prima. Und bei der Partnerwahl schadet genaues Hinsehen auch nicht …
Liebe auf Jobvereinbarkeit hin prüfen?
Es ist für eine Frau, der ihr Beruf etwas bedeutet, wichtig zu wissen, ob und wie sie unterstützt wird. Mit einem Mann, der selbst voll eingebunden ist und bleiben möchte, wird das kompliziert. Zumal viele Männer das Gefühl haben, sie leisteten 50 Prozent der Erziehungsarbeit, wenn sie das Kind zweimal in der Woche von der Krippe abholen. Ohne gegenseitige Unterstützung läuft nichts bei den sogenannten «Dual Careers».
Und wenn diese gut planende Frau jetzt schwanger wird?
Nach drei Monaten Chef und Personalabteilung informieren. Vorschläge parat haben, wie die Arbeit nach der Babypause organisiert werden könnte. Gedanken machen, auf wie viele Schultern sich die Aufgaben verteilen liessen. Je mehr die Arbeit aufgesplittet wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutterschafts-Vertretung den Job gleich ganz übernimmt. Stühle wackeln schnell.
Apropos schnell: Wie lange darf ein Babyausstieg dauern?
Vier Monate. Maximal sechs. Es ist erstaunlich, wie rasch sich Netzwerke auflösen. High Performerinnen können sich kaum länger ausklinken. Unter anderem weil «Familienphase» im Lebenslauf nicht hoch bewertet wird. Familienphase-Frauen werden von Chefs leider nicht als Fach- und Führungskraft auf Augenhöhe wahrgenommen, sondern als «wiedereingestiegenes Mami».
Wäre das so schlimm?
Menschlich nicht. Geschäftlich schon. Eine Hochleistungssportlerin setzt ja auch nicht ein Jahr lang mit dem Training aus und denkt, sie könne problemlos an ihre Erfolge anknüpfen.
Was können Frauen also tun, um sich nicht ins Abseits zu katapultieren?
Während der Babypause den Kontakt zur Firma halten, nur kurz pausieren, mit reduziertem Pensum dabei bleiben, daheim Geschäftsliteratur und -mails lesen, informiert sein, auf Anlässe gehen. Und Bereitschaft zeigen, dem Baby nicht alles unterzuordnen. Wenn im Job etwas besonders Wichtiges ansteht, muss es auch mal möglich sein, die Kinderbetreuung kurzfristig so zu organisieren, dass dieses erledigt werden kann. Die unternehmerische Sichtweise geht in der Babypause als erstes verloren.
Was noch?
Motivation, Spass an Hochleistung und Gespür für richtige Kleidung.
Bitte?
Frauen haben durch die Familiengründung ein zweites Standbein, das relativiert die Wichtigkeit der Berufstätigkeit. Mal zum Vorteil, mal zum Nachteil. Der Feuereifer wird oft abgekühlt. Mütter werden weniger erpressbar. Und Mütter schmeissen schneller den Bettel hin, wenn ihnen etwas im Job nicht passt, sie etwa zeitweilig auf in ihren Augen blöde Projekte abgeschoben werden. Männer verstehen sich eher als Familienernährer. Deshalb halten sie durch.
Sigrid Reinichs
Christina Künzle
Businesscoach, Dozentin und ehemaliges Mitglied der Konzernleitung der Sulzer AG.
Und was machen Mütter mit ihrer Kleidung falsch?
Frauen, die länger nicht erwerbstätig waren, finden zuweilen das formlose Blümchenkleid, das sie beim Einkaufen tragen, auch fürs Büro passend. Ist es aber nicht. Businessregeln gelten auch für Mütter. Das müssen sie akzeptieren. Genauso wie den kälteren Wind, der in der Arbeitswelt weht.
Sind Frauen also feige und leben gern in der Komfortzone, wie die deutsche Publizistin Bascha Mika behauptet?
Das klingt mir zu negativ. Frauen müssen sich vor allem ganz ehrlich fragen: Will ich wirklich eine Karriere? Wenn ja, geht kein Aussteigen und kein kleines Teilzeitpensum. Will ich nur einfach weiterarbeiten und ein wenig dazu verdienen, geht vieles.
Dann werden Frauen Wellnesscoach, Feng-Shui-Beraterin oder malen …
Ist doch schön. Das klingt nach einem angenehmen, erfüllten Leben. Das tut man für sich selbst. Mit einer Top-Karriere hat das aber natürlich gar nichts zu tun.
Und wie lautet die Empfehlung?
Ganz wichtig ist, sich zu fragen: Wie bin ich eigentlich gestrickt? Wie stelle ich mir mein Leben vor? Und dann seine Vorstellungen konzilliant, aber konsequent um- und durchsetzen.