Kinderfilm
Kinder wollen es nicht kompliziert
Ein hübsches kleines Häuschen im Prager Villenviertel Hodkovicky. Zdeněk Miler sitzt im ersten Stock in seinem Arbeitszimmer. Hornbrille, Seidentuch unterm Hemd, Stock in der Hand. Er wirkt wackelig, aber sein wacher Geists ist stets spürbar. Dies hier ist sein letztes Interview. Der Zeichner und dreifache Vater wäre am 21. Februar 90 Jahre alt geworden. Anfang Dezember 2011 ist er gestorben. Gezeichnet hat er bis zum Schluss. Am Tisch liegen immer noch Reinzeichnungen und Skizzen herum. An der Wand hängt eine Kuckucksuhr. Mehr als 50 Zeichentrickfilme schuf Miler, in denen der kleine Maulwurf die Hauptrolle spielt, zudem dutzende Bücher. Millionen von Kindern lieben die Figur – auch im Jahr 2012.
wir eltern: Herr Miler, vor fast 60 Jahren haben Sie die Figur des Maulwurfs erfunden, die man in mehr als 80 Ländern der Welt kennt. Es muss ein schönes Gefühl sein, so viele Kinder glücklich gemacht zu haben.
Zdenek Miler: Ich wollte immer Bücher und Filme für Kinder machen, dabei wusste ich erst gar nicht, wie das geht. Man muss ja jede Geschichte auf die denkbar einfachste Art erzählen. Wie der Maulwurf ankam, habe ich anfangs gar nicht wahrgenommen. Erst als ich dann im Kino miterlebt habe, wie die Kinder lachen, wie sie mitgehen, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Wie gewinnt man die Herzen von Kindern?
Man muss immer wieder Gags, Lacher einbauen. Dazwischen braucht es dramaturgische Pausen – wegen der Spannungskurve.
Nur das?
Ich glaube, Kinder lieben den Maulwurf, weil er eine Frohnatur ist, die nichts umwerfen kann. Er steht für die Freundschaft und die Liebe zur Natur. Er steht dem Leben positiv gegenüber, schaut immer nach vorne. Zuversicht und Vertrauen sind ein guter Leitfaden fürs Leben.
Wie viel Miler steckt im Maulwurf?
Hundert Prozent.
Warum spricht er nicht?
Das war eher Zufall. In meinem ersten Film «Wie der Maulwurf zu seiner Hose kam» von 1956 spricht er ja noch. Der Film war ein grosser Erfolg (er gewann den Silbernen Löwen in Venedig, Anm. d. Red.), und es zeichnete sich ab, dass solche Filme im Ausland ein grosses Potenzial haben würden. Text und Synchronisation hätten das nur erschwert. Der WDR war einer der ersten ausländischen Fernsehsender, die weitere Maulwurf-Filme bestellten. Und sie wollten sie explizit ohne Text.
Lachen kann der Maulwurf. Stimmt es, dass sein Lachen das von Ihrer Tochter damals ist?
Das stimmt, alle Laute vom Maulwurf sind von meinen Töchtern. Was aber vor allem daran lag, dass mir meine Kinder natürlich besser gehorchten als fremde. Wenn ich ihnen im Aufnahmestudio sagte: «Lacht jetzt!», dann haben sie gelacht. Und wie! Das kam immer von Herzen. In meinem ersten Film setzt sich der Maulwurf aber auch auf einen Stein und weint. Das war natürlich schwieriger. Kinder können nicht auf Bestellung weinen. Also habe ich einen Trick angewandt.
Welchen Trick?
Ich hab sie geschimpft.
Warum hat der Maulwurf eigentlich keine Freundin an seiner Seite?
Das haben mich meine Drehbuchschreiber auch immer gefragt. Das hätte die Geschichten nur verkompliziert. Kinder wollen es nicht kompliziert.
In Ihren Regalen hier gibt es viele Bücher über Magritte. Hat der Maler Sie beeinflusst?
Oh ja, Magritte war der Meister der Phantasie. Aber es gab auch verschiedene tschechische Zeichner, die wichtig für mich waren. Und natürlich Walt Disney. Niemand konnte Gefühle besser in Gesten und Bilder übersetzen. Und dabei noch lustige Geschichten erzählen. Von ihm habe ich viel gelernt. Aber natürlich sind die tschechischen Zeichentrickfilme ganz anders.
Zdenek Miler
Wie denn?
Langsamer, stiller. Die amerikanischen sind immer sehr aufgedreht, es gibt viel Action. Amerikaner sind selbstbewusster, sie haben den Westen erobert.
Warum überhaupt ein Maulwurf?
Ich sollte einen Film über die Leinenherstellung machen. Um die Kinder dafür zu begeistern, brauchte ich eine Figur. Wochenlang habe ich nach einem geeigneten Tier gesucht. Bis ich eines Tages beim Spaziergang tatsächlich über einen Maulwurfshügel stolperte. Natürlich musste ich der Natur noch ein wenig nachhelfen, damit aus einem blinden, grauen Maulwurf eine Figur wird, die Kinder mögen.
Wie sind Sie zum Zeichnen gekommen?
Viel verdanke ich meiner Grossmutter, die in unserem Haus unter dem Dach wohnte, mit Pendeluhr und Bollerofen. Bei ihr kam ich mir vor wie im Märchen. Sie hat mich immer auf den Schoss genommen und Geschichten erzählt. Eines Tages sagte sie: Heute schauen wir uns mal die Wolken an. Eine sah aus wie ein Haus. Die nächste wie ein Tier. Meine Grossmutter hat mir das Fenster zur Phantasie geöffnet. Eine andere wichtige Person war mein Lehrer in der dritten Klasse.
Gute Lehrer sind ein grosses Glück.
Genau das war er für mich. Einmal kam er ins Klassenzimmer und sagte: «Nehmt die Hefte raus!» Wir mussten den mythischen Berg Rip zeichnen, wo der Sage nach ein gewisser Cech, der Stammvater aller Tschechen, wohnte. Als er meine Zeichnung sah, sagte er lange nichts. Dann ging er aus dem Zimmer hinaus und kam mit fünf, sechs Lehrern zurück. Ich dachte: «Oh Gott, was habe ich Schlimmes getan?» Aber mein Lehrer sagte nur: «Schauen sie sich bitte mal an, was dieser Miler gezeichnet hat, ist das nicht unglaublich? » Danach gab es nichts anderes für mich mehr ausser Zeichnen, Zeichnen, Zeichnen. Lob ist ein grosser Motivator. Aber mein Weg zum Zeichentrickfilm war weit.
Kaum zu glauben bei Ihrem Talent.
Es war ein Lehrer in der Oberschule, der mir riet, mich auf der Kunstakademie in Prag zu bewerben. Aber ich besass nicht mal einen Bleistift! Also gab er mir eine Krone, damit ich mir im Schreibwarengeschäft einen kaufen konnte. Dann bat ich meine Grossmutter, mir Modell zu sitzen. Da sass sie dann drei Stunden und hat sich nicht gerührt.
Sie sind genommen worden.
Es war knapp. Doch als die Nazis die Tschechei überfielen und besetzten, wurden alle Hochschulen geschlossen. Wir haben natürlich protestiert. Einige Studenten sind hingerichtet oder nach Auschwitz deportiert worden. Ich hatte Glück, dass sie mich nicht verhafteten. Als die Nazis in unser Studentenheim kamen, war ich gerade nicht da.
Reuters
Zdenek Miler: 1921 in Kladno geboren. Der Tscheche studierte Graphik und Fotografie in Prag. 1942 begann er seine Zeichnerkarriere im Zeichentrickstudio Baťa in Zlín. Dort lernte er das Handwerk und spezialisierte sich auf Animationsfilme. Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte er zur Zeichentrickfirma «Bratři v triku», deren Direktor er später wurde. Miler entwickelte etwa 70 Filme. In ungefähr 50 von ihnen spielt seine bekannteste Figur, der kleine Maulwurf, mit. Von Anfang an ein Welterfolg.
Wie haben Sie den Krieg erlebt? Wie haben Sie ihn überlebt?
Die Schulen waren geschlossen. Eines Tages lernte ich einen Mann kennen, der mir eine Stelle als Zeichner in einem Zeichentrickstudio im mährischen Zlín anbot. Das Studio wurde dann von den Deutschen übernommen. Wir mussten fortan Märchenfilme für Deutschland produzieren: «Fritz und Fratz» zum Beispiel. Der deutsche Direktor war ein guter Mensch.
Waren Sie in Gefahr?
Damals wurden alle jungen Männer meines Jahrgangs abkommandiert nach Deutschland zur Zwangsarbeit. Er aber befand, ich wäre unabkömmlich im Studio. Er und «Fritz und Fratz» haben mir vielleicht das Leben gerettet. Nach dem Krieg bin ich sofort nach Prag zurück. Dort fing ich in einem Zeichentrickstudio an und zeichnete tschechische Märchen.
Wie standen Sie zu den neuen Machthabern in Prag, den Sozialisten?
Ich bin natürlich in die kommunistische Partei eingetreten. Damals herrschte noch ein grosser Idealismus unter uns jungen Leuten. Aber das ging nicht lange gut. Irgendwann haben sie mich aus der Partei geworfen, und ich war froh, dass ich draussen war. Gott sei Dank war ich mittlerweile fast unantastbar geworden, weil der Maulwurf international immer erfolgreicher wurde. Meine Filme brachten gutes Geld ins Land.
Hat der Maulwurf Ihnen ein gutes Leben ermöglicht?
Ich konnte mir ein hübsches Haus hier in Prag bauen. Mehr brauche ich nicht. Eine grosse Rolle kam hierbei dem WDR zu. Die haben immer Filme für die «Sendung mit der Maus» bestellt. Aus diesem Grund durfte ich auch hin und wieder nach Köln reisen. Es fuhr natürlich immer ein Genosse mit, um mich zu bewachen. Er hiess Prokesch. Er war froh, dass er auch mal raus durfte.
Zeichnen Sie heute noch?
Gelegentlich. Aber es wird keine neue Geschichte mehr geben. Ich zeichne jetzt seit 74 Jahren hauptberuflich. Es ist genug. Meine älteste Tochter macht vielleicht weiter. Sie hat schon ein Maulwurf-Buch veröffentlicht, nach meinen Vorlagen. Letztens waren Japaner hier und haben mir viel Geld geboten, wenn sie eine Geschichte mit meinem Maulwurf machen dürften, womöglich computeranimiert. Ich habe abgelehnt.
Quelle: Süddeutsche Zeitung