Humor in der Erziehung
«Kinder lachen 500-mal pro Tag»
wir eltern: Frau Schinzilarz, meine Tochter probt beim Einkaufen am Süssigkeitenregal zum x-ten Mal den Aufstand. Ich bin unter Zeitdruck, gestresst und kurz davor, die Nerven zu verlieren. Sie raten, dem Ganzen etwas Lustiges abzugewinnen. Das klingt nicht wirklich umsetzbar.
Cornelia Schinzilarz: Wenn Sie davon ausgehen, dass Stress und Hektik nichts mit Humor zu tun haben, ist das tatsächlich nicht machbar. Betrachten Sie das Ganze aber aus einer anderen Perspektive, sagen sich etwa, «Hektik macht Spass», sind das völlig andere Voraussetzungen. Kennen Sie jene Migros-Werbung, in der sich ein Mädchen vor Wut auf den Boden wirft und die Mutter es ihr gleich tut? Das wäre der richtige Ansatz!
Ich soll mich zu meiner Tochter auf den Boden legen und mit den Beinen strampeln?
Warum nicht. Ähnlich wie in besagtem Werbespot wird Ihre Tochter vermutlich überrascht sein über Ihre Reaktion, weil diese so ganz anders ist als erwartet, und ihren Wutanfall vergessen. Ausserdem geht es auch darum, Kindern den richtigen Umgang mit Stress zu vermitteln, ihnen zu zeigen, dass es auch anders geht als verbissen.
Nun sind nicht nur Kinder gefangen in Verhaltensmustern – sei es der Streik am Süssigkeitenregal oder beim morgendlichen Anziehen –, auch Erwachsene sind es in ihren Reaktionen («Ich zähl jetzt bis drei ...», «Wenn du nicht aufhörst, darfst du nachher nicht fernsehen»). Wie durchbricht man diese?
Wichtig ist, dass wir uns einen anderen Umgang mit Gefühlen trauen. Wenn Kinder ihre Grenzen ausprobieren, laut schreien und ihr Recht auf Aufmerksamkeit einfordern, stellt sich für Eltern die Frage, mit welchen Gefühlen sie die Situation bewältigen. Eine Humorhaltung kann etwa einhergehen mit den Gefühlen heiter, sicher, locker, fröhlich, kompetent und ernst. Bei Wutanfällen könnten Sie das Kind überraschen und sagen: «Komm, wir nehmen die Wut und jagen sie zusammen durchs Zimmer!» Und es funktioniert: Wählen Sie Gefühle, mit denen Sie in den verschiedenen Situationen mit ihren Kindern umgehen wollen, und Sie werden den Umgang in noch so schwierigen Lagen verändern. Humor entsteht durch die Veränderung von Gewohntem.
Was viel Disziplin und Energie verlangt. Woher nimmt man diese in der Alltagsroutine, unter Zeitdruck und Hetze?
Ich glaube eher, es bedarf einer anderen Haltung. Bei Erwachsenen ist das Leben oft ernst; wir haben vergessen, dass es auch heitere Aspekte hat und reagieren dementsprechend. Es geht also zunächst darum, sich eine andere Perspektive zuzulegen. Das Heitere bewusst in den Alltag zu integrieren. Das Gelungene und das Können, die Schönheiten und das Begeisternde rücken dann ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Erzählen Sie sich beim Essen lustige Geschichten, berichten Sie über Erfolge und Spass, die alle Beteiligten am Tag einmal hatten. So richten Sie Ihre Wahrnehmung auf die gelungenen Anteile des Lebens. Mit kleinen Kindern scherzen wir noch viel; spätestens in der Pubertät aber fragen wir eher, ob der Nachwuchs Ärger hatte.
Weshalb ist Humor in der Erziehung so wichtig?
Über die Spassseite auf das Kind zuzugehen, es zu spiegeln, am selben Strang zu ziehen, ist einfach wirkungsvoll – und gut für die Eltern-Kind-Beziehung. Ausserdem hält Lachen gesund, baut Stress ab und macht glücklich. Bei jedem Lächeln und Lachen werden Glückshormone hergestellt. Es lässt uns schöner aussehen, glättet die Haut und ist Sport: 30 Sekunden lachen ist wie drei Minuten Training auf dem Crosstrainer. Für den Anfang lässt es sich zu Hause gut üben, mal selbst mit dem Fuss aufzustampfen, so wie der trotzende Nachwuchs es gerade tut, oder dessen quengelnde Stimme zu imitieren. In der Öffentlichkeit hingegen ist dies komplizierter – wir wollen schliesslich nicht, dass es aussieht, als kämen wir mit unserem Kind nicht zurecht. Aber von solchen Gedanken lohnt es sich frei zu machen.
Inwiefern profitieren Eltern und Kinder von Humor?
Humor kann eine anstrengende Situation auflösen. Der soziale Kontakt leidet nicht wie nach einem handfesten Streit. Und das schlechte Gewissen ersparen wir Kindern und Jugendlichen durch eine humorvolle Reaktion unsererseits ebenfalls.
Braucht es heute eigentlich für alles einen Coach?
Bezogen auf Humor in der Erziehung würde ich sagen: Wenn klar ist, dass einem ein paar Anregungen weiter helfen, wohl nicht. Ist die Situation jedoch komplexer, geht es vielleicht um Mobbing in der Schule, lohnt es sich, Unterstützung zu holen. Die eigene Perspektive und den Blick zu verändern, ist nämlich gar nicht so einfach.
Wie verhält es sich mit Ironie? Das würde Eltern oft leichter fallen als Humor.
Ironie verstehen Kinder nicht. Zudem: Ein leichter Stachel ist da immer dabei. Jugendliche zum Beispiel nehmen diesen Stachel viel ernster als das vermeintlich Lustige drum herum. Ich halte deshalb von Ironie gar nichts.
Wo beginnt für Sie humorvolles Verhalten?
Zunächst kommt es auf die Haltung an: Laufe ich mit einer gewissen Leichtigkeit durch die Welt oder erkenne ich vor allem immer Schwierigkeiten und Probleme? Zur minimalistischen humorvollen Grundhaltung gehört ein Lächeln. Sagen Sie «Nein» mit einem strahlenden Gesicht, erklären dann die Hintergründe – Sie werden besser verstanden als beim dramatischen und ernsten «Nein». So bleibt ein «Nein» ein «Nein» – Sie sagen, was Sie meinen und lassen sich beim Wort nehmen. Hier beginnt für mich Humor.
Nun gibt es aber Situationen, in denen als Eltern schlicht eine konsequente Haltung gefragt ist. Wie funktioniert Strafen mit Humor?
Die Frechheiten, Aufsässigkeit, Eigenheiten Ihrer Kinder sind dafür da, dass diese das Erwachsenwerden nach und nach lernen. Sie wollen sich damit an Ihnen messen – und dieses Messen macht so richtig Spass. Wenn Sie sich dadurch infrage gestellt oder provoziert fühlen, wird es anstrengend. Erkennen Sie dies hingegen staunend und neugierig und untersuchen die Frechheiten etwa auf ihren Humorgehalt, erschaffen Sie eine völlig andere Situation. Erster Ansatz ist hier also die elterliche Haltung: Sagen Sie strahlend und nachdrücklich «Nein», reicht das schon oft. Denn dies vermittelt, dass Konsequenzen folgen werden.
Sie sagen, in den 50ern wurde im Schnitt 20 Minuten pro Tag gelacht, heute sind es nur noch 5 Minuten. Woran liegt es, dass wir offensichtlich so viel verbissener geworden sind?
Die 80er-Jahre waren sehr problemorientiert; man bemühte sich, vor allem zu erkennen, wo Fehler sind. Dann fand langsam ein Umdenken statt. Heute wissen wir von der Lachforschung, wie gesund Lachen ist und nutzen diese Erkenntnis, in dem wir etwa Spitalclowns einsetzen. Ich allerdings sage: Das hat schon viel früher einzusetzen, nicht erst, wenn Menschen krank sind. Leider gilt Spass immer noch als oberflächlich – dabei kann er sehr hintergründig sein.
Kann man tatsächlich lernen, humorvoller zu sein? Ist das nicht ein Charakterzug?
Schauen Sie sich Kinder an, die lachen alle – manche etwas mehr, manche etwas weniger, aber sie lachen; im Schnitt 500-mal am Tag. Jugendliche machen dann gern das Spiel «Wer zuerst lacht, hat verloren» und trainieren vor dem Spiegel ernsthaft zu schauen – so, wie Erwachsene eben. Diese lachen übrigens nur noch 15-mal am Tag. Aber man kann es tatsächlich lernen, humorvoller zu sein! Denn Lachen und Lächeln erleichtern jede zwischenmenschliche Begegnung. Ausserdem werden lächelnde Menschen als freundlich und kompetent wahrgenommen. Auch als Familie zusammen lachen ist enorm wichtig. Begegnet man nämlich grenzenaustestenden Kindern und Jugendlichen mit Humor, lernen diese einen ganz anderen Umgang mit Erwachsenen. Die ihnen gesetzten Grenzen werden dadurch zwar kein bisschen anders, aber sie fühlen sich anders an.
Cornelia Schinzilarz (51) ist in Deutschland und der Schweiz als Coach, Trainerin und Dozentin tätig und bietet im Institut für Coaching und Kommunikation «Kick» in Zürich Weiterbildungen an: Humorcoaching, Ressourcenberatung und Potenzialcoaching.
➺ Infos unter www.kick.dich.ch
Buchtipp
Cornelia Schinzilarz, Charlotte Friedli: Humor in Coaching, Beratung und Training.
Beltz Verlag 2013, Fr. 50.– auf www.kickshop.ch