Arbeitstätige Mütter
«Das Thema Kind und Beruf geht alle Eltern an»
Von Caren Battaglia
Mutter zu werden, macht selbstbewusst. Manchmal münzen Frauen das in Berufserfolg um. Oft nicht. Warum? Ein Gespräch mit Genderforscherin Andrea Zimmermann über Bilder, Mut und fragwürdigen Wettbewerb.
Andrea Zimmermann (41) ist Wissenschaftlerin und Dozentin an der Universität Basel für den Fachbereich Gender-Studies, arbeitet an ihrer Habilitation und hat zwei Töchter.
wir eltern: Ist die These gewagt «Kinder können die Karriere einer Frau pushen»?
Andrea Zimmermann: Ich selber habe sicherlich von meinen Kindern profitiert. Viele Genderthemen sieht man als Mutter aus einer zusätzlichen Perspektive. Meine Töchter haben mich enorm motiviert, weil ich ihnen ein Vorbild sein möchte, wie man auch als Mutter sein Leben gestalten kann. Derzeit arbeite ich an meiner Habilitation.
Normalerweise haben Kinder eher das Image, ein Klotz am Bein der mütterlichen Karriere zu sein.
Nicht die Kinder sind der Klotz am Bein, sondern die Strukturen der Arbeitswelt. Und als Klotz wirken auch die Bilder von einer «guten Mutter» in den Köpfen von Frauen. Sie sind unbewusst aber äusserst wirkmächtig.
Na ja, eine gute Mutter sein zu wollen, ist doch erst mal nicht verwerflich.
Selbstverständlich nicht. Aber das Bild, das in den Köpfen vieler junger Frauen sitzt – wie in vielen Köpfen unserer Gesellschaft – dieses Bild stammt aus dem 18./19.Jahrhundert. Die «gute Mutter», die alles zugunsten des Kindes zurückstellt, die ganz für die Familie da ist…Wie wir aus Studien wissen, identifizieren sich heutige Frauen zwischen 20 und 30 sehr stark über ihren Beruf. Werden sie Mutter, geraten sie in eine klassische Zwickmühle.
Eine Zwickmühle, die über das Organisatorische, wie kriege ich Kinder und Job unter einen Hut, hinausgeht?
Genau. Sie geraten in ihrer Selbstwahrnehmung in einen Konflikt. Es ist nicht so, dass sie weiterhin ihr Leben als Ganzes sehen, sondern sie sehen zwei entgegengesetzte Ansprüche, die nicht zusammengebracht werden können.
Mit genügend Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Teilzeitstellen allein ist den Frauen also nicht gedient.
Natürlich muss es erst einmal Bedingungen geben, die einem ermöglichen, das Leben nach eigenem Geschmack als Familie zu gestalten. Aber das allein reicht nicht. Man muss andere Bilder implementieren. Das Bild der «guten Mutter» vielfältiger und bunter gestalten.
Wie etwa?
Bislang gibt es nur wenige geeignete Vorbilder für junge Frauen. Es fehlt an erfolgreichen Müttern, die diese Rolle einnehmen können. Zum Beispiel freue ich mich, wenn ich von Studentinnen höre, dass ich ihnen Mut mache, weil ich an der Uni lehre, zwei Töchter von 5 und 9 Jahren habe, und ich mir mit meinem Partner die Kinderbetreuung gleichberechtigt teile.
Keine Mutter kommt mehr an dem Job-Kinder-Spagat vorbei. Karriere ist für sie ja inzwischen genauso Pflicht wie für den Mann?
In der Frage sind gleich mehrere gängige fundamentale Denkfehler. Das Thema «Kind und Beruf» ist doch nicht nur ein Frauenthema! Es ist eines von ALLEN, die Eltern sind. Und es ist auch keine Privatsache, sondern ein Thema für die ganze Gesellschaft. Auch sollten wir dieses Mütter-Väter-Ding auflösen. Eine Familie ist ein Ganzes. Frauen können die Männer in die Pflicht nehmen. Sie müssen den Mut haben, die notwendigen Konflikte auszutragen und den Mut haben, die privilegierte Rolle beim Kind aufzugeben, dem Vater Platz einzuräumen. Väter müssen heute oft nicht mehr die Ernährerrolle übernehmen und gewinnen so ihrerseits die Möglichkeit, ein präsenter Vater zu sein. Auch wenn das vielleicht bedeutet, die Karriere nicht so schnell vorantreiben zu können. Überhaupt ist es gut, manches neu zu denken, das Ganze im Blick zu haben: Die Hamsterräder, in denen wir stecken, und auch, wie wir uns künftig unser Leben in der Gesellschaft vorstellen, mit all den sozialen Aufgaben – Kinderbetreuung, Pflege älterer Angehöriger… Das Soziale sollte aufgewertet werden und die Aufteilung in Männeraufgaben und Frauenaufgaben gehört ad acta gelegt. Beide Geschlechter gewinnen dadurch.
Und die rosa Brille stört.
Welche rosa Brille?
Dieses romantische Denken junger Frauen von ewiger Liebe und dass ein Baby automatisch für immer glücklich macht. Junge Paare sollten im Vorfeld schon darüber sprechen, wie sie sich als Familie organisieren wollen. Auch empfehle ich, den Gedanken, dass Beziehungen scheitern können, nicht zu verdrängen. Die Hälfte der Ehen wird geschieden und das Scheidungsrecht geht inzwischen von einer durchgängig berufstätigen Mutter aus. Ein geringes Arbeitspensum sorgt daher für eine geringe Altersversorgung. Hoffnung ist schön. Realismus auch nicht verkehrt.
Was würden Sie denn jungen Müttern raten?
Sich auf keinen Fall den Schuh anzuziehen, dass sie als Frau den Spagat von Familie und Beruf alleine hinkriegen müssen. Und sie sollten Netzwerke bilden. Sich mit anderen Frauen austauschen. Fragen wie «Wie macht ihr das?» diskutieren. Selbstbewusstsein entwickeln und sich nicht durch andere Lebensweisen verunsichern lassen. Diese Verunsicherung führt ja oft dazu, dass Frauen vehement, fast aggressiv, die Lebensgestaltung anderer Frauen ablehnen, falls diese von der eigenen abweicht. Ein anderes Modell stellt scheinbar das eigene infrage. Diese Konkurrenz untereinander führt zu nichts. Und auch wenn es oft suggeriert wird: Nein, Kinder sind keine reine Privatangelegenheit.
Sondern? Das Private ist politisch?
Selbstverständlich. Wir sollten uns überlegen, wie unsere Gesellschaft momentan ist und wie wir sie uns in Zukunft wünschen. Dazu gehören auch Fragen, wie man dazu steht, dass andere Frauen, die aus vielerlei Gründen nicht die gleichen Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben wie wir, unsere Wohnung putzen und unsere Eltern im Heim pflegen…Warum erfährt Sorgearbeit nicht mehr Anerkennung? Um die Frage nach Werten und nach gesellschaftlich notwendigen Kompetenzen kommen wir nicht herum.
Bislang sehen nur wenige das so, dass ein Kind einem Kompetenzen vermittelt, die einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Ist das Leben ein einziger Wettbewerb? Ich hoffe nicht. Aber Kinder öffnen den Blick auf gesellschaftliche Prozesse und – sie geben einem eine enorme Bedeutung, die dem Selbstbewusstsein guttut. Das ist auch auf dem Arbeitsmarkt nützlich. Aber ich möchte die Beziehung zu meinen Kindern, die uns glücklich macht, nicht in Wettbewerbsvorteile fassen.
Kollidiert bei Ihnen denn Beruf und Familie nie?
Doch sicher. Manchmal organisatorisch, manchmal inhaltlich. Als wir vor ein paar Tagen zuhause die Nachricht vorfanden, dass unsere jüngste Tochter leider keinen Betreuungsplatz in ihrer Schule erhalten hat, da haben wir uns angesehen und gefragt, wie das nun gehen soll. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch dieses Problem wieder lösen werden.
Das Interview wurde im Sommer 2018 geführt.