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Vaterzeit
«Ich bin ein alter Vater, aber kein Opa»
Ist unser Autor mit Luule unterwegs, kommt er im Unterschied zu früher oft ins Gespräch mit Leuten, aber eine Sache nervt ihn sehr.
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Vaterzeit
Ist unser Autor mit Luule unterwegs, kommt er im Unterschied zu früher oft ins Gespräch mit Leuten, aber eine Sache nervt ihn sehr.
Der Rekord war fünf an einem Tag. Normal sind drei. Fünf Mal hörten Luule und ich an diesem Tag im Tram zum Bahnhof, beim Einkaufen und im Zug von Zürich nach Luzern «Opa». «Mit Opa unterwegs, chlini Bohne?» «Opa schaut zu Dir, Müsli?», «Hat Dich Opa schön warm angezogen?» und «Schön, hat Opa Zeit für Dich». Dann aber auch: «Opa hat die Mütze nicht richtig übers Ohr gezogen?» Solcherart Ratschläge erteilen ausschliesslich Frauen.
Vor Kurzem war es nur einer, der mich Opa nannte, mich dann aber auch gleich fragte, wie alt ich sei und als Antwort 65 erwartete. Kaum nannte ich mein Alter, begann er etwas zu überlegen und sagte: «Ich bin mit 59 nochmals Vater geworden.» Schön, dachte ich, «aber warum mich dann Opa nennen? ! ». Zugegeben, ich habe weissgraue Haare, sehe vielleicht tatsächlich drei Monate älter als 54 aus, aber doch nicht wie drei Monate vor der Pension! Na ja, vielleicht dann, wenn ich spät ins Bett komme, Luule in der Nacht um 2.30 Uhr nicht mehr schlafen will – oder nur, wenn sie das mehr oder weniger auf meinem Kopf machen darf – um 5.45 Uhr endgültig wach ist und dann mit mir das Morgenprogramm starten will.
Nach so einer Nacht jubelte die Zugchefin vor Kurzem: «Bist du mit dem Opa unterwegs – schön !» Und als ich mein stereotypes «mit Papa» murmle, entgegnet sie: «Ja, wieso nicht ? ! » Das denke ich auch im Stillen, aber da beginnt das Gegenüber bereits irgendetwas auszurechnen und sagt, dass ihr Vater schliesslich auch 46 gewesen sei, als sie geboren wurde. Und wieder rechnet sie, beginnt sprudelnd von ihm zu erzählen, so viel, dass ich keine Minuten später ihren Vornamen kenne. Bei der zweiten Kontrollrunde durch den Zug zeigt sie mir Fotos von diesem Papa und sich als Zweijährige, später mit ihm und ihr als Sechsjährige.
Wohl angespornt durch so viel Persönliches und von Luules ansteckender Fröhlichkeit heiter gestimmt, erzählt die junge Frau quer gegenüber alsbald, dass sie mit ihrer Katze auch mal sehr weit Zug gefahren sei: von Romanshorn bis Sursee. Ich bin beeindruckt, denke, dass es mit einer Katze sicher auch nicht so einfach ist, zehnmal durchs Oberdeck zu spazieren, fünfzehn Mal die Treppe rauf- und runterzusteigen und zwölf Mal die Rutschbahn runterzusausen. Im Ernst: Ich bin immer wieder fasziniert von der Energie dieser kleinen fröhlichen Luule, die mir fast auf jeder Zugfahrt unbekannte Menschen näher bringt.
Kurze Freude
Ich könnte jetzt sagen, dass mich diese «Opa»-Nennungen nicht stören. Aber so ist es nicht. Mich nervt es. Punkt. Es gibt da nichts auszuschmücken oder Grossphilosophisches dazu zu sagen. Schaut doch mal rundherum: Grosseltern tauchen zu 60 Prozent zu zweit mit dem Enkel auf. Zu 30 Prozent sind sie alleine mit der Grossmutter und höchstes zu 10 Prozent mit dem Grossvater, dem Opa, unterwegs.
Im Zug mit Luule eine weitere Runde durch das Oberdeck balanciert, sagt ein junger Vater: «Ist das Luule, das Baby, das mit dem Papa ins Theater geht ?» Bingo, so geht das ! Mein Stolz, einen Leser meiner Kolumne getroffen zu haben, hält allerdings nicht lange.
Im Tram fragt ein älterer Mann kurz darauf: «Ist das ihre Tochter ?» Dem Tonfall ist zu entnehmen, dass er eigentlich fragen will: «Ist das ihr Enkelkind?» «Ja !», sage ich stolz, als Luule postwendend und sehr laut «Opa» ruft. Ihm zu erklären, dass das «Oba» heisst und sie es öfters sagt, ist sinnlos, denn das Gegenüber grinst bereits breit wie eine Wassermelone. Ich bin als Vaterschwindler überführt, bin der spazierende Beweis einer neuen Variante des Enkeltrickbetrügers.
Christian Berzins (1970) ist Autor bei den Zeitungen von CH Media und Kolumnist bei «wir eltern». Seit er im Oktober 2022 Vater von Luule geworden ist, hielt er uns über seine Erlebnisse als Papa auf dem Laufenden. Dies ist seine letzte Kolumne für uns. Wir danken Christian von Herzen für seine wundervollen, erheiternden und feinfühligen Texte über sein Papasein mit Luule und wünschen ihm und seiner Familie das Allerbeste.