Freiwilligenarbeit
«Eigene Sorgen werden relativiert»
Von Caren Battaglia / Bilder: Elisabeth Real
Laura Argentini (38) aus Zollikon unterstützt Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Schreiben haben, bei Briefen aller Art. Sie ist Mutter von zwei Kindern (4, 1) – und hat mit dem Helfersyndrom nichts am Hut. Trotzdem.
Ich empfinde mich eigentlich nicht als typisch sozialen Menschen. Aber mich interessieren andere Personen. Ich möchte mir ein eigenes Bild von ihnen machen, über meinen Tellerrand hinaussehen, Lebenswelten ausserhalb meines kleinen Kosmos‘ kennenlernen.
Als meine Tochter noch ganz klein war, habe ich meinen Job als Office-Managerin nach einer Zeit aufgegeben, sie war oft krank und zudem hatte die Reduktion meines Arbeitspensums vor allem den Effekt, dass mir sämtliche spannenden Aufgaben weggenommen wurden. Ich habe gekündigt und war plötzlich ‹Nur-Mama›. Aber das fühlte sich auch irgendwie verkehrt an. Ich lebe mit meiner Familie an Zürichs Goldküste, das ist ein sauber abgegrenztes Biotop ziemlich Wohlhabender. Deshalb wollte ich etwas tun, das mich mal da raus bringt. Ich habe über ein Inserat der Stadt Zürich die Stelle beim ‹Schreibdienst› gesehen. Wir helfen Leuten, die nicht gut lesen und schreiben können oder schlecht Deutsch sprechen beim Verfassen ihrer Schriftstücke. Bei amtlicher Post ist es wichtig, dass man auch die Feinheiten richtig versteht und entsprechend reagiert. Wir schreiben Kündigungen, Lebensläufe, Anträge…
Die vielen Formalitäten machen Menschen, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben, das Leben enorm schwer. Ich helfe ihnen, aber sie helfen mir auch. Seit ich etwas Sinnvolles auch ausserhalb meiner Familie tue, bin ich viel zufriedener und motivierter. Ich höre im Schreibdienst Dinge, die meine eigenen Sorgen relativieren.
Es hört sich vielleicht komisch an, aber ich kann, wenn ich in dieses andere Milieu komme, freier durchatmen. Die Menschen, die dorthin kommen, die haben echte Sorgen. Keine Luxus-Sorgen. Vielleicht verrückt, aber: Ich gehe jetzt manchmal mit meinen Kindern extra auf Spielplätze in sozial bunt gemischteren Gegenden, irgendwohin, wo sie auch mit Kindern anderer Sprachen, anderer Einkommensschichten, anderer Hautfarben spielen können. Dass sie echtes Leben jenseits der Goldküste mitbekommen, ist mir seit meiner Arbeit im Schreibdienst wichtig geworden. Und dass sie gar nicht erst anfangen, Vorurteile zu entwickeln. Ich selber hatte da nämlich einige. Ich musste beispielsweise mal für einen älteren Mann aus dem Irak ein IV-Formular ausfüllen. Erst habe ich spontan gedacht: ‹Huch, so ein bärtiger Araber›. Aber ich glaube, noch niemals in meinem Leben hat sich jemand bei mir für etwas, das ich getan habe, mit einer solchen Herzlichkeit und Wärme bedankt wie dieser bärtige Araber. Ich habe durch die Arbeit viel erfahren– auch über mich. Nicht alles hat mir gefallen. Aber es lohnt sich, sich selbst kennenzulernen.
Zurück zum Hauptartikel Arbeiten ohne Lohn. Verrückt? Nein, Freiwillige!