Gleichstellung
Feminismus und Mann: Ist das so kompliziert?
Die Me-Too-Debatte und der Frauenstreik haben unseren Autor ins Grübeln gebracht: Wie hält er es mit dem Feminismus? Ein Gedankenprotokoll.
Als die Schweizerinnen am 14. Juni 2019 streikten, war ich nicht dabei. Dafür meine Frau. Und ich habe auf unsere Tochter aufgepasst. Als die sozialen Medien im Vorfeld voll mit feministischen Parolen waren, schrieb ich nichts. Bis mich meine Frau dazu anhielt, «könntest auch was posten, bist ja auch dafür».
Und ich dachte: Stimmt, könnte ja auch was posten, bin ja auch dafür. Anderen Männern zeigen, dass man nicht weniger Mann ist, nur weil man sich für die Rechte der Frauen einsetzt. Oder anderen Frauen zeigen, dass ich auch auf ihrer Seite bin.
Andererseits dachte ich, das ist ein Frauenstreik, an dem die Wut und die Mobilisation der Frauen sichtbar werden sollen und ich möchte ihnen nicht das Gefühl geben, es brauche mich dazu. Sie können das selbst. Und doch wäre es wichtig, mich solidarisch zu zeigen, zusammen sind wir schliesslich stärker, kommen wir schneller zur Gleichberechtigung. Das geht ja gar nicht ohne uns Männer, oder?
Diese Ambivalenz widerspiegelt mein Verhältnis zum Feminismus: ein bisschen Nonchalance, ein bisschen Unsicherheit, leichte Irritation, aber im Grunde bin ich voll dafür. Wobei ich es vorziehe, zu sagen, ich sei für Gleichberechtigung, als ich sei Feminist. Zumal das ja ein weites Feld ist. Es gibt Feministinnen, die ein Matriarchat einrichten wollen, oder solche, die die Männer für die Epoche der Unterdrückung bestrafen wollen.
Ich hingegen sehe mich als Feministen, der sich für Frauen einsetzen und kämpfen will, bis Männer und Frauen gleich behandelt werden. Und ab dann nur noch für die Erhaltung des Status quo. Nicht für die Herrschaft der Amazonen, nicht für Kollektiv-Kastration.
Keine Entmachtung der Männer
Gleichberechtigung muss ja nicht mit der Entmachtung der Männer einhergehen, sondern mit der Ermächtigung der Frauen. Das ist auch nichts Bedrohliches. Wir Männer verlieren nichts, wenn Frauen die gleichen Rechte und Privilegien haben wie wir.
Im Gegenteil: Wir haben zufriedene Frauen, sind mit ihnen auf Augenhöhe im Beruf, in der Kinderbetreuung und im Haushalt. Mir gefällt der Spruch «men of quality don’t fear equality»: Warum sollten Männer Angst davor haben, dass Frauen gleich gut sind wie sie oder gleich gut verdienen? Das haben doch nur Männer, die sich über jemanden stellen müssen, um sich selbst besser zu fühlen. Also Männer mit Minderwertigkeitsgefühlen.
Alle Menschen sind gleich wichtig und sollten darum gleiche Rechte haben, solange sie mündige Entscheidungen treffen können. Unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Bildungsniveau oder sexueller Orientierung. Solange das nicht so ist, gibt es noch zu tun. Darum finde ich gut, wenn Frauen aufmucken. Genauso, wie ich gut finde, dass Homosexuelle für die Ehe für alle demonstrieren.
#NotAllMenArePigs
Zwei Aspekte lähmen meines Erachtens jedoch die Bemühungen um Gleichberechtigung: die Projektion und die Pauschalisierung. Männer, die sich angegriffen fühlen, weil Frauen sich über andere Männer beschweren, die sich daneben benehmen. Auch ich bin da schon in die Defensive geraten und hatte den Reflex, meine Geschlechtsgenossen zu verteidigen, weil #NotAllMenArePigs.
Doch genau das Gegenteil wäre richtig: den Frauen recht geben, wenn sie sich über sexistisches Verhalten von Männern beschweren. Sich empören, die Täter enttarnen und verurteilen, damit dieser Schlag von Männern endlich verschwindet.
Oder, der andere Fall: Frauen, die finden «ich bin nie diskriminiert worden und habe es trotzdem geschafft, Karriere zu machen, also kann das Problem ja nicht so gross sein». Auch sie müssten einsehen, dass sie nicht von sich auf andere schliessen können. Andererseits soll jede(r) Feminismus so verstehen können, wie sie/er will. Ach, es ist kompliziert.
Feministisch leben
Dass ich eigentlich schon recht feministisch lebe, war mir gar nicht bewusst. Für mich stand von Anfang an fest: Wenn ich Vater werde, dann ein richtiger. Der wickelt, kocht, Haare wäscht und Fingernägel schneidet. Das hat sich gelohnt: Meine Tochter sagt fast genauso oft Papi, wie sie Mami sagt.
Mir macht es nichts aus, dass meine Frau mehr arbeitet und darum auch mehr nach Hause bringt als ich. Und mir fällt kein Zacken aus der Krone, für die Hälfte des Haushalts verantwortlich zu sein.
Nachhilfe von der Frau
Etwas Nachhilfe hatte ich aber trotzdem nötig: Meine Frau musste mir erst mal erklären, worauf sie beruflich verzichtet, wenn sie schwanger wird. Und erst seit ich versuche, meinen Teil des sogenannten Mental Load zu übernehmen, sehe ich, an wie viel man mit einem Kind überhaupt denken muss. Aber ist es nicht auch sehr im Sinne der Gleichberechtigung, dass wir uns gegenseitig bereichern und weiterbringen? Ich finde schon.
Sowieso, die Bereitschaft dazuzulernen ist zentral. Mansplaining, Manspreading, Body Shaming, Victim Blaming – diese Begriffe haben mein Bewusstsein geschärft und mich dafür sensibilisiert, genauer hinzuschauen. Dabei habe ich gemerkt, wie oft die Phänomene hinter den Begriffen tatsächlich vorkommen. Ja sogar, dass ich selbst anfällig bin und vieles nie hinterfragt habe. Jetzt weiss ich, diese schwelenden Relikte des Patriarchats gehören ausgetreten.
Und noch etwas habe ich gelernt: dass es wichtig ist, Emotionen ernst zu nehmen und gewisse Reflexe zu unterdrücken. Etwa den Reflex, zu verharmlosen oder den Reflex, andere Männer zu verteidigen. Also nicht zu sagen: «Mir hat auch schon mal jemand an den Po gefasst und so schlimm fand ich das nicht.» Nicht: «Es gibt ja auch Frauen, die sich aufreizend anziehen, dass sie es schon fast herausfordern.» Sondern kurz innehalten, überlegen und im Zweifelsfall besser gar nichts sagen.
Viele Frauen und Männer fürchten sich im Zuge der dritten Welle des Feminismus vor einer «Gleichschaltung»: Mit der Gleichberechtigung würden Männer den Frauen angeglichen und umgekehrt, sodass am Ende keine Unterschiede mehr vorhanden sind. Frauen müssten trotz physischer Unterlegenheit Militärdienst absolvieren, Väter ihren Töchtern Zöpfchen binden. Was, wenn sich nun plötzlich auch die Männer die Nägel lackieren würden? Nimmt das Frauen etwas weg? Oder wäre es schlimm, Frauenfussball würde genauso populär wie der Männerprofisport?
Dahinter steckt die Angst, die eigene Weiblichkeit/Männlichkeit und damit vielleicht einige Privilegien zu verlieren. Und wer dies befürchtet, hat am Ende doch vor allem ein Problem mit dem eigenen Selbstbild oder Selbstvertrauen. Keine Sorge, eine Frau darf immer noch weiblich sein und ein Mann ein harter Kerl. Aber sie soll als CEO genauso ernst genommen werden wie er als Pflegefachmann.
Doch auch mein Mitgefühl und meine Solidarität stossen an Grenzen. Wenn überall «Diskriminierung!» gewittert wird, zum Beispiel. Von mir aus kann eine Expertenrunde im «Club» nur aus Männern bestehen, solange das sinnvolle Gäste sind. Ich würde keine Quotenfrau einladen, nur fürs Verhältnis.
Wer überall Diskriminierung wittert, sucht das Haar in der Suppe. Ich fände es darum gut, die Gleichberechtigungsbewegung würde ihre Anliegen priorisieren. Zuoberst: gleicher Lohn für gleiche Leistung. Dann weiter nach unten auf der Prioritätenliste. Nicht, dass ich das Gefühl hätte, meine Priorisierung ist massgeblich. Oder dass mein Ratschlag vonnöten wäre, #Mansplaining.
Dass auf eine gendergerechte Schreibweise so viel Wert gelegt wird, irritiert mich. Von mir aus könnten wir gerne konsequent die weibliche Form nehmen und stets alle Männer mitmeinen, also das generische Femininum einführen. Aber bitte erst nachdem die Löhne angeglichen sind, ein Vaterschaftsurlaub oder Elternzeit etabliert sowie Gewalt an Frauen reduziert ist. Kein Wunder, verkriechen sich die Männer, wenn an allen Fronten gleichzeitig gekämpft wird.
Aber kämpfen, das müssen wir. Das hat auch ein Vorfall Anfang Jahr gezeigt. Ein Werbespot von Gillette sorgte für Furore, weil er die Mechanismen toxischer Maskulinität infrage stellte: Frauen nachpfeifen, angrabschen, bevormunden, die Darstellung von Frauen in Musik-Videos, die Entschuldigungsphrase «boys will be boys».
Viele Männer empfanden das als Angriff, fragten sich «wie soll ich einer Frau zeigen, dass sie mir gefällt, wenn ich sie nicht mal ansprechen darf?», sagten sich «Jungs müssen sich doch raufen dürfen». Auch ich habe mir überlegt, ob ich in Zukunft andere Männer massregeln muss, wenn sie Frauen nachpfeifen. Oder ob man eine Frau überhaupt in irgendeiner Situation noch «Süsse» nennen darf.
Und schon dafür hat sich diese Werbung gelohnt, das Hinterfragen ist doch bereits der erste Schritt. Dazu noch die Botschaft, dass die Jungs von heute die Männer von morgen sind und wir ihnen darum gute Vorbilder sein sollten. Nicht «für das Beste im Mann», sondern «so gut wie ein Mann nur sein kann». Na klar, lasst uns doch versuchen, die bestmöglichen Männer zu sein! Ich bin total dafür.