Interview
«Es ist dieser innere Drang ...»
wir eltern: Herr Professor Hengstschläger, Sie haben mit 24 Jahren und Auszeichnung promoviert und waren der jüngste Professor der Uni, was haben Sie selbst für Erfahrungen als Talent gemacht?.
Markus Hengstschläger: Ich halte nicht so viel von dem Begriff «Talent». Ich spreche lieber von individuellen Leistungsvoraussetzungen. Danach kommt üben, üben, üben und die Bereitschaft, die «Extra-Meile» zu gehen.
Das klingt nach Tiefstapelei, die beim Thema Talent zum guten Ton zu gehören scheint.
Nein, ist es nicht. Diese «Extra-Meile» macht es aus. Die angeborenen Voraussetzungen, die Gene, machen nur einen Teil aus. Ich sage immer: Die Gene liefern Bleistift und Papier, die Geschichte schreiben wir selbst. Es ist die intrinsische Motivation, dieser innere Drang, der grosse Erfolge möglich macht. Rein extrinsisch, also durch Geld oder Pushen von aussen, bleibt der Mensch einfach nicht lange genug bei der Stange. Unser Gehirn funktioniert so: Tut eine Person etwas, das ihr Freude bereitet, wird das Belohnungssystem aktiviert. Die Person wird die Sache also häufiger tun und wieder … Dadurch wird sie immer besser und besser.
Es ist delikat: Einerseits finden Eltern schnell, ihr Kind sei besonders begabt, andererseits steht bei Förderung der Eislaufmutti-Verdacht im Raum.
Wenn man sicher sein könnte, dass es das Kind ist, das wirklich selber will, gibt es kein Problem. Man muss aber stets aufpassen, dass nicht etwas in ein Kind hineingedrillt wird. Da Erfolg harte Arbeit ist, muss man immer wieder fragen, ob das wirklich der richtige Weg ist. Andererseits bedarf es der elterlichen Aufmerksamkeit, um eine Begabung zu bemerken. Es gibt sogar den Spruch «Die grösste Intelligenz der Welt wird nicht entdeckt werden, weil deren Träger vielleicht nicht lesen und schreiben kann.» Vor allem finde ich, man sollte Talent nicht so einschränken und bewerten. Jeder hat Talent!
Jeder hat Talent? Ist das nicht ein bisschen beliebig?
Nein. Was wissen wir denn, was die Gesellschaft der Zukunft erfordert und vor welche Probleme sie uns stellt? Und warum sind wir eher bereit, jemanden als Talent zu bezeichnen, der wunderbar Fussball spielt als jemanden, der alte Menschen auf beeindruckende Art pflegt?
Apropos Fussball: Lionel Messi ist nur 1,69 gross und musste sich als Kind einer Wachstumstherapie unterziehen. Körperlich schien er ungeeignet für den Sport.
Das unterstreicht, was ich soeben gesagt habe: Gene, individuelle Leistungsvoraussetzungen, sind das eine. Bei Messi sind die vielleicht gar nicht so optimal. Aber dazu kommt, was wir daraus machen. Ein 1,60 grosser Basketballer kann mit viel Training und Willen vielleicht dennoch ein toller Spieler werden. Ein 2,20 Meter grosser, der nicht trainiert, wird das auf keinen Fall.
Talent ist eigentlich ein Glücksfall. Dennoch kommt es manchmal zu Schwierigkeiten, etwa in der Schule.
Ja, unsere Gesellschaft und vor allem das Schulsystem sind doch so: Wenn ein Kind fünf Noten hat, eine Spitzennote und vier nicht so gute, dann wird es angehalten, das Super-Fach erst mal ruhen zu lassen und sich ganz auf die schlechten zu werfen. Der Erfolg: In dem Spitzenfach wird es auf die Dauer auch mittelmässig. Aber wollen wir Leute, die von allem ein bisschen können und nichts wirklich gut?
Was ist die Konsequenz? Elitebildung?
Ich bin ein glühender Verfechter der Elitebildung, weil jeder Elite werden kann – nur jeder irgendwo anders. Jeder sollte sich da, wo er seine Stärken hat, möglichst weit entwickeln können. Jeder sollte sich fragen: Wo kann ich Elite sein? Ausserdem fordere ich: aktiven Verzicht. Was bringt das, ein Leben lang daran zu arbeiten eine Schwäche auszumerzen? Peak und Freak dienen der Gesellschaft mehr.
Im Internet bieten Labore an, mittels Speichelprobe Begabungsdispositionen dingfest machen zu können. Ist das sinnvoll?
Sparen Sie sich bloss Ihr Geld. So etwas ist Humbug. Und das sage ich als Genetiker.
Was wären Sie eigentlich geworden, wenn Sie Ihr Talent als Genetiker nicht entdeckt hätten?
Auf alle Fälle Naturwissenschaftler.