Zirkusferien
Einmal Clown sein
Teo mag keine Clowns. Sie machen ihm Angst. Seit er in einem Schuhgeschäft eine Clownpuppe gesehen hatte, die sich wie von Zauberhand an einem Seil immer wieder hochzog, um auf der anderen Seite runterzuplumpsen, hat er eine Art Clown-Trauma.
Verständlich also, dass mein dreijähriger Sohn skeptisch reagiert, als mein Mann und ich ihm von unseren bevorstehenden Ferien im Circus Monti erzählen. «Gibt’s da etwa Clowns?», will er promt wissen und runzelt die kleine Stirn. Erst die Internet-Bilder vom rot-gelben Zirkuszelt des Familienunternehmens, das seit 27 Jahren mit seinen weissen Holzwagen und den roten Lettern durch die Schweiz tingelt, lassen eine Runzel nach der anderen wieder verschwinden.
Vollends begeistert ihn dann die Vorstellung, dass wir im Circus Monti in einem echten Zirkuswagen schlafen und jede Vorstellung besuchen dürfen, sogar die Proben. Je mehr wir erzählen, umso mehr brennt Teo auf unsern Aufenthalt im Zirkus. Solange wir den Clown nicht erwähnen. Insgeheim erhoffe ich mir natürlich, dass er sich in unseren Zirkusferien mit ihm anfreunden wird.
Auf dem Weg zum Luzerner Alpenquai, wo der Circus Monti gerade seine Zelte für zwei Wochen am Seeufer aufgeschlagen hat, können wir den Zirkus schon riechen, bevor wir ihn überhaupt sehen. Es ist der Duft von Popcorn, der Kindheitserinnerungen weckt: Die Nachmittage im warmen Zelt, das Bangen um die Seiltänzer, das Mitfiebern mit dem Löwenbändiger, das Lachen über die Clowns. Der Geruch nach schwitzenden Pferden, Elefanten und Geissen. Und das wehmütige Gefühl, das blieb, wenn der Zirkus jeweils über Nacht wieder verschwand und nichts als einen braunen Kreis in der Wiese hinterlassen hat. Plötzlich ist alles wieder da. Ausser den Tieren, die reisen im Circus Monti seit dieser Saison nicht mehr mit.
Auch Clowns müssen mal
Zirkusdirektor Johannes Muntwyler persönlich nimmt uns in Empfang. «Wo ist deine Uniform?», will Teo von ihm wissen. «Die zeige ich dir dann am Abend vor der Vorstellung», meint der Direktor und schmunzelt. Johannes Muntwyler führt uns zum Ferienwagen, den er selbst zusammen mit seiner Frau und den drei Söhnen bis 1995 noch bewohnt hat. Als er sich dann nach einem grösseren Wohnwagen umschauen musste, kam er auf die Idee, in seinem alten Wagen Feriengäste aufzunehmen.
Den Clown treffen wir bereits auf unserm ersten Spaziergang übers Zirkusgelände. Nur erkennt ihn Teo nicht, weil er ungeschminkt und in schlabbrigen Trainerhosen die Treppe des Toilettenwagens hinunter kommt. Ja, auch Clowns müssen mal. Teo ist derweilen damit beschäftigt, den Zirkuskindern mit offenem Mund beim Einradfahren zuzuschauen und damit, in jeden Wagen hineinzuspähen. Vor allem in denjenigen, aus dem jemand eine Tonleiter rauf und runter dudelt. Es ist Rafal, der polnische Saxofonist aus der Zirkuskapelle, der gerade seinen Part verfeinert. Zum Schluss seiner Tour entdeckt Teo schliesslich den kleinen Glacéstand auf zwei Rädern und erklärt ihn sofort zu seinem ganz persönlichen Lieblingswagen.
Unser Holzwagen steht im innern Kreis des rund sechzig Wagen umfassenden Zirkusdorfes, mit direktem Blick aufs Hauptzelt mit seinen vier Masten. Nur unser Vorgarten und der Luzerner Promenadenweg trennen uns von der rot-gelben Zeltwand. Daran, dass uns fortan Spaziergänger, Besucher, alle Artisten und Zirkusarbeiter direkt auf den gedeckten Campingtisch schauen können, gewöhnen wir uns überraschend schnell. Immer wieder bleiben Passanten vor unserem Wagen stehen, um einen Blick ins Innere zu erhaschen. Wir machen uns einen Spass daraus, uns vorzustellen, was die Leute beim Anblick unseres Trüppchens wohl denken. «Der da ist bestimmt ein Schlangenmensch.» Oder «Könnte die da nicht als Seiltänzerin durchgehen? » Teo aber wird von den vorbeischlendernden Kindern unverholen um sein Bett im Zirkuswagen beneidet.
Im Handstand Salat essen
Da ist sie wieder, diese Grimasse. Der Clown steht in der Manege, reisst sein Maul auf und aus seinem Hals steigt ein komisches Glucksen. «Nöd gärn!», meint Teo auf meinem Schoss und drückt sich an mich, bis die Popcorntüte knistert. Als sich der Clown schliesslich absichtlich von einem Gerüst fallen lässt, fängt mein Sohn vor Schreck laut zu heulen an – während die anderen Kinder im Zelt lachen, bis sich die Bänke biegen. Erst der Jongleur schafft es, Teo mit seinen wirbelnden Reifen und Keulen wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.
Ein Lächeln, das der Zirkus auch uns Grossen schon nach kurzer Zeit sanft ins Gesicht zu schminken scheint. Obwohl wir nur Besucher sind, fühlen wir uns schnell als Teil der sechzigköpfigen Grossfamilie. Die Zirkusleute winken uns im Vorbeigehen zu. Manchmal kommen sie auf einen Schwatz vorbei wie zum Beispiel Dominic, der Lehrer der fünf Zirkuskinder, der in den Pausen jeweils Glacé verkauft. Und noch vor der ersten Nacht spielt Teo vor unserm Wagen mit den Zirkuskindern Fussball. Und am nächsten Tag flötet er allen sein «Hallloooo» entgegen und begibt sich auf immer längere Entdeckungstouren zwischen die Wohnwagen.
Mario, der 15-jährige Sohn des Zirkusdirektors, hat es Teo besonders angetan. Mit jeder Vorstellung wächst die Bewunderung für dessen Jonglier-Künste. Wie er seine Keulen und Reifen bis unters zehn Meter hohe Zeltdach wirbelt! Das Grösste für Teo ist es, als Mario ihn eines Abends hinter dem Zelt in die Geheimnisse des Diabolo-Spiels einweiht. Der mittlere Muntwyler-Sohn hat mit drei Jahren zum ersten Mal Jonglierbälle in den Händen gehalten, mit vier konnte er mit dreien jonglieren. «Mein Vater hat mir alles beigebracht», erzählt der Teenager und zeigt Teo, dem Dreijährigen, wie er mit den Handstecken gleich zwei Diabolos in die Luft werfen kann und wie er sie auch wieder fängt. Teos Augen leuchten in diesem Moment noch grüner als sonst.
Wir sind auf der Suche nach dem Clown. Teo konnte ihn bereits ein paar Vorstellungen lang kritisch beobachten und ist nun bereit für eine persönliche Begegnung. Nachdem wir einige Mal vergebens um die Artisten-Wohnwagen geschlichen sind – vor Mittag sind da alle noch am Schlafen – treffen wir Mick Holsbeke, wie der 28-jährige Amerikaner aus Florida mit richtigem Namen heisst, wie er in der Wiese vor seinem Wagen fläzt. Er isst gerade Salat aus einer Schüssel und unterhält sich mit seiner Kollegin, der kanadischen Akrobatin Marie-Eve Dicaire, die es sich neben ihm im Handstand bequem gemacht hat. Wir setzen uns dazu, Teo versteckt sich hinter meinem Rücken. Je länger ich mit dem Clown preche, ohne dass er die gefürchtete Grimasse zieht, desto mehr wagt sich Teo in seine Nähe. Gerade als ich Mick erkläre, dass mein Sohn etwas Angst vor ihm habe, nimmt dieser einen kleinen Ast und kitzelt damit verstohlen den Fuss des Clowns.
Vier Tipps:
1. Wenn möglich die Ferienwoche im Circus Monti so buchen, dass man einen Zeltaufbau oder -abbau miterleben kann. Auskunft gibt der Tourneeplan. Es ist eindrucksvoll, wie das Zirkusdorf stückweise mit vereinten Kräften entsteht - und nach der letzten Vorstellung innerhalb von nur zwei Stunden gänzlich von der Bildfläche verschwindet.
2. Auch wenn man das Wetter bekanntlich nicht beeinflussen kann: Bei strömendem Regen ist das Zirkusleben leider nicht ganz so romantisch wie bei Sonnenschein. Ähnlich wie auf dem Campingplatz sind dann Gummistiefel und Pelerine unabdingbar. Zum Glück ist es im Holzwohnwagen immer heimelig.
3. Reist man mit einer befreundeten Familie, ist es von Vorteil, wenn man als Team schon ferienerprobt ist. Gerade bei schlechtem Wetter kann es im Wohnwagen eng werden.
4. Der Preis von 2500 Franken mag auf den ersten Blick teuer erscheinen. Das Erlebnis, eine Woche das Zirkusleben live miterleben zu dürfen, ist jedoch – nicht nur für Kinder – unbezahlbar.
Am schönsten sind die Abende vor unserm Zirkuswagen, an denen wir bei einem Glas Wein den Vorstellungen im nahen Zelt lauschen. Schon nach kurzer Zeit kennen wir das Programm auswendig und wissen anhand der Musik genau, was als nächstes passiert. Dieser Tusch! Jetzt ist die Akrobatin mit ihrer atemberaubenden Roue Cyr-Reifennummer dran. Die weinende Violine! Nun fängt das Trapezkunst-Paar an, sich zu umgarnen. Das Raunen und Klatschen des Publikums wogt zu uns rüber und lullt unsere Gespräche ein. Von Teo, der längst im Wagen schläft, hören wir keinen Mucks mehr. Wenn er nur zu Hause auch immer so selig einschlafen würde! Und während wir uns an unserem schlummernden Kind erfreuen, kommt er wieder. Der schöne Moment, wenn die Besucher nach der letzten Verbeugung der Artisten aus dem Zelt strömen und mit glühenden Gesichtern in die Nacht entschwinden.
«Passt bloss auf, hier herrscht grosse Ansteckungsgefahr!», warnt uns Kaspar Widmer aus Frauenfeld, den wir am nächsten Morgen beim Putzen einer Wagenfassade antreffen. Der 48-jährige Ostschweizer war 2003 genau wie wir zu Gast im Ferienwagen. Der Zusammenhalt und die Stimmung im Zirkus haben im so gefallen, dass er nur eine Saison später zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern neun Monate mit dem Monti auf Tournee ging. Der Zirkus hat ihn seither nicht mehr losgelassen. Wenn immer möglich kommt er in seinen Ferien mit seinem Wohnmobil her, um zu helfen. «Für mich Erholung pur!» Und wenn es ihm mal zu eng werde im Mikrokosmos, dann fahre er mit seinem Velo einfach raus aus dem Zirkusdorf und schaue sich die Stadt an, in der es gerade gastiert.
Da ist er wieder, Mick, der Clown. Wir treffen ihn wie abgemacht beim Artisteneingang, kurz vor der Nachmittagsvorstellung. Diesmal trägt er seine Clownhose, den dazu passenden Kittel, ein weisses Hemd und eine überlange Krawatte. Auf dem wilden Haarkranz trägt er einen Hut so schwarz wie sein schlichter Unterlidstrich. Teo hat für sein Treffen mit dem Clown extra das ganze Gesicht mit seinen Wachskreiden angemalt. Schon bald vermag ihn Mick mit seinen Spässen zum Lachen zu bringen. Und als er dem Kleinen seinen Hut überstülpt und stattdessen Teos Käppi aufsetzt, ist das Eis gebrochen. Vor uns stehen jetzt ein grosser und ein kleiner Clown, die miteinander schäkern, einander hemmungslos nachäffen. Bis es Zeit wird für den Auftritt des Grossen. Er geht aber nicht, ohne Teo vorher zu versichern, dass er sich bei seinem vermeintlichen Sturz vom Gerüst wirklich nicht wehtue. Teos Lieblingsszene wird sie dennoch nicht.
Rollendes Ferienhaus
11,5 Meter lang und 2,5 Meter breit ist der nostalgische Holzwohnwagen, in dem bis zu 6 Personen Ferien machen können. Der Wagen verfügt über eine Küche, zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und ein Bad mit Dusche und WC, und kann während der Tournée (März bis Oktober) wochenweise (Sa bis Sa) für 2500 Fr. gemietet werden, Wasser, Gas, Strom und Transport des Wagens inklusive. Lebensmittel müssen selber besorgt werden. Bitte frühzeitig reservieren! www.circus-monti.ch, Tel. 056 622 11 40
Als ich ihn an unserm letzten Abend im Zirkuswagen zudecke, sagt er zu mir: «Mama, der Clown ist nett. Aber wenn ich später mal im Zirkus arbeite, möchte ich lieber Diabolo-Spieler werden, gäll.» Und beim Gutenachtkuss flüstert er mir noch ins Ohr, dass er sich auf den Geburtstag ein Diabolo wünsche. Dann fallen ihm die Augen zu und die Melodie, die vom Zirkuszelt zu uns hinüberweht, begleitet ihn ins Traumland, wo er sich wahrscheinlich in der Manege vor einem tosenden Publikum tief verbeugt.