Spielzeug
Unterschiedliches Spielzeug für Jungs und Mädchen?
Brauchen Mädchen und Buben geschlechtsspezifisches Spielzeug? Ein Gespräch mit Spielzeugforscher Volker Mehringer über Puppen, Autos und Geschlechterrollen.
wir eltern: Herr Mehringer, störe ich Sie gerade beim Spielen?
Volker Mehringer: Ach, das wäre schön. Nein, ich sitze im Büro an der Uni und arbeite. Leider komme ich viel zu selten zum Spielen.
Aber als Spielforscher machen Sie das doch beruflich!
Naja, nicht ganz. Ich erforsche, wie Menschen spielen und wie sie Spielzeug nutzen. Dazu verbringe ich viel Zeit mit Kindern, spreche mit Eltern und Erziehern, Spiele-Erfindern, -Herstellern und -Sammlern. Natürlich spiele ich auch mal eine Runde, aber das ist die Ausnahme. Privat spiele ich allerdings sehr gerne mit meinen Kindern. Gerade versuche ich, Ihnen die Masters-Figuren aus meiner Kindheit schmackhaft zu machen.
Typisch Eltern! Viele wünschen sich, dass ihre Kinder genau das spielen, was sie früher selbst toll fanden.
Ja, das stimmt (lacht). Aber das gelingt nicht immer. Denn Spielzeug verändert sich ja auch. Heute machen die Spielsachen zum Beispiel viel mehr Geräusche als früher oder sie haben einen Chip im Bauch.
Seit wann gibt es überhaupt Spielzeug für Kinder?
Vermutlich schon seit der Steinzeit! Und schon in der Antike spielten Kinder mit Puppen, die sie mit Gegenständen und Kleidern ausstaffierten. Auch Nachziehspielzeuge gab es damals schon, die waren den heutigen Modellen gar nicht so unähnlich.
Dann hat sich ja doch gar nicht so viel verändert.
Manche Spielzeuge sind in der Tat fast zeitlos, wie zum Beispiel Jojos und Bauklötze. Auf der anderen Seite hat die Zahl lizenzierter Produkte in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Nehmen Sie zum Beispiel Lego: Da gab es zu Beginn nur eine Handvoll unterschiedliche Farben. Das grosse Glück in meiner Kindheit war, wenn man die Lego Raumstation besass: grau-blaue Gebäude und Raumschiffe mit neongelben Fenstern. Heute gibt es Steine in mehr als 70 Farben und dazu unzählige Sets von Star Wars, Ninjago und den Lego Friends.
Volker Mehringer
Volker Mehringer, 40, forscht im Fachbereich Pädagogik der Kindheit und Jugend an der Uni Augsburg (DE) über die Wirkung von Spielzeug bei Kindern. Er selbst spielt am liebsten «Mancala», ein afrikanisches Holzspiel, bei dem es darum geht, möglichst geschickt Perlen in Mulden zu verteilen.
Den Lego Friends?
Das sind fünf Mädchen, die in einer regenbogenbunten Stadt leben. Es gibt dort ein Cupcake-Café, ein Gymnastik-Studio und einen Vergnügungspark mit pinkfarbenem Oktopus-Karussell. Egal, welches Set sie von den Friends kaufen, die Farben Lila und Pink sind meistens dabei.
Damit auch jedem klar ist: Das ist ein Mädchenspielzeug?
Ja, so ist das wohl. Dahinter steckt eine sehr marktwirtschaftliche Überlegung der Hersteller: Wenn man für die Tochter das Set mit den rosa Figuren kauft, muss man für den Sohn das blaue kaufen. Macht zwei verkaufte Sets statt einem.
Aber brauchen Mädchen und Buben denn überhaupt unterschiedliches Spielzeug?
Auf diese Frage haben selbst Experten keine eindeutige Antwort. Ab dem Alter von etwa drei Jahren entwickeln Kinder ein Bewusstsein für ihr Geschlecht. Mit etwa fünf oder sechs Jahren entsteht ein Verständnis dafür, welche Rolle mit ihrem Geschlecht verbunden ist – also was ein typisches Verhalten für ein Mädchen ist oder für einen Buben. Spätestens dann spielen viele Kinder auch gerne typische Mädchen- und Bubenspiele.
Also sind die Präferenzen für rosa Puppen und blaue Autos angeboren?
Dazu gibt es verschiedene Theorien. Eine davon besagt tatsächlich: Es sind hormonelle Unterschiede, die dafür sorgen, dass Buben gerne mit Autos spielen und Mädchen lieber mit Puppen.
Sie sind da offenbar skeptisch. Welche Erklärungsansätze gibt es denn noch?
In anderen Theorien spielt das Umfeld eine wichtige Rolle. Die meisten Eltern und Erzieher loben – bewusst oder unbewusst – die Kinder, wenn sie ein geschlechtskonformes Verhalten an den Tag legen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Das Mädchen zieht der Puppe hübsche Sachen an und wird dafür gelobt. Der Junge baut ein Auto auseinander und wieder zusammen – und wird dafür gelobt. Auf diese Weise lernen Kinder geschlechtskonformes Verhalten.
Für Erwachsene:
♦ Rosemarie Portmann: «Die 50 besten Spiele für mehr Genderkompetenz», Don Bosco Verlag, Fr. 6.80
♦ Almut Schnerring, Sascha Verlan: «Die Rosa-Hellblau-Falle», Kunstmann Verlag, Fr. 19.90
Für Kinder:
♦ Collien Ulmen-Fernandes, Carola Sieverding: «Lotti und Otto», Edel Verlag (2018), Fr. 17.20, ab 4 Jahren
♦ Blanca Fernandez, Nils Pickert, Jenny Harbauer: «David und sein rosa Pony», Pinkstinks Verlag (2015), Fr. 6.50, 3–8 Jahre, über pinkstinks.de
♦ Anne Ameling, Günther Jakobs: «Hektor spielt (nicht) mit Mädchen!», Coppenrath (2019), Fr. 20.90 ab 4 Jahren
Trifft das auf alle Eltern zu?
Ich schätze, niemand ist ganz davor gefeit. Nicht mal jene Eltern, die von sich behaupten, ihre Kinder genderneutral zu erziehen. Allerdings beobachten wir in Studien, dass Mädchen seit einigen Jahren vermehrt zu Bubenspielen aufgefordert werden: Sie werden bestärkt, wenn sie draussen herumtoben oder mit Schwertern kämpfen. Umgekehrt ist das leider nicht der Fall: Ein Junge erfährt nur selten Lob, wenn er eine Puppe kämmt.
Aber es gibt doch sicher auch Eltern, die ihre Söhne bestärken, wenn sie in der Puppenküche herumwerkeln.
Das sind aber eher die Ausnahmen. Und unterschätzen Sie nicht andere Einflüsse wie etwa den der Peer-Group, also den Freunden der Kinder! Wenn andere Jungs in der Kita mit Autos spielen, will auch der Junge mit der Puppenküche gerne zu «seiner» Gruppe dazugehören – selbst wenn er zu Hause vielleicht die tollsten Puppenkuchen backt.
Was passiert denn mit den Kindern, wenn sie permanent mit gegenderten Spielen, Trinkflaschen und Buchreihen konditioniert werden?
Diese Trennung in Rosa und Blau ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Vereinfacht gesagt: Je häufiger Kinder mit einem gegenderten Spielzeug spielen, desto besser werden ihre damit verbundenen Fähigkeiten. Die Mädchen können ihren Einhörnern irgendwann Zöpfe flechten, die Jungs mit den ferngesteuerten Autos Rennen veranstalten. So prägen sich die geschlechtsspezifischen Interessen aus. Und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich weiterhin gegendertes Spielzeug wünschen.
Die Rollen im späteren Leben werden also schon im Grundschulalter festgelegt – Bemühungen, Stereotypen in der Schule und bei der Berufswahl loszuwerden, bringen also gar nichts?
Nein, ganz so linear funktioniert Entwicklung nicht. Selbst wenn die Rollen in Kita und Grundschule klar verteilt sind, heisst das nicht, dass Mädchen später nicht trotzdem Astronautin werden können und Jungs Balletttänzer.
Seit wann gibt es denn überhaupt diese Zuordnung von Blau und Rosa zu einem Geschlecht?
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist Rosa die Farbe der Mädchen und Blau die für Buben. Davor waren die Farben genau umgekehrt verteilt: Rosa galt als das «kleine Rot», und Rot war als Farbe der Könige den Buben vorbehalten. Blau war die Farbe der Maria, Hellblau somit eine Mädchenfarbe. Erst als die Arbeiterkleidung der Männer blau gefärbt wurde, begann sich auch die Zuordnung der Farben zu verändern. Dass man auch Spielzeug in Rosa und Blau verkauft, ist ein recht neues Phänomen.
Wäre es nicht trotzdem klüger, Kinder mit geschlechtsneutralem Spielzeug spielen zu lassen?
Wir haben mal für ein Experiment ein geschlechtsneutrales Spielzeug-Krankenhaus in einer Kita aufgebaut, ganz ohne Rosa und Hellblau. Die Kinder haben gemeinsam damit gespielt, aber die Jungs sind die Rettungs-Hubschrauber geflogen und die Krankenwagen gefahren, die Mädchen haben die pflegenden Tätigkeiten bei den Kranken übernommen. Die Rollenverteilung ist also fest verankert und nicht allein durch Spielzeug aufzubrechen. Wenn Sie etwas ändern wollen, müssen Sie das auch jeden Tag vorleben und auch das Umfeld muss mitmachen – also zum Beispiel auch die Erzieher in der Kita.
Wenn sich die Vorstellung von Rollen so früh bei den Kindern festsetzt, sollte man dann nicht auch bei der Auswahl der Bücher und Spielsachen auf Diversität achten, etwa eine dunkelhäutige Puppe oder ein Bilderbuch mit gleichgeschlechtlichen Eltern schenken?
Ja, das ist sinnvoll. Unsere Gesellschaft ist so bunt, aber beim Spielzeug ist davon leider wenig zu merken. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr farbige Figuren und unterschiedliche Lebenswelten im Spielzeug wiederfinden. Das hilft vielleicht auch jenen Kindern, die eine andere Hautfarbe haben. Aber dieser Prozess kommt nur langsam in Gang.
Kinder besitzen in der heutigen Zeit mehr Spielzeug als je zuvor. Nun naht Weihnachten und eine neue Geschenkeflut. Was macht ein gutes Spielzeug aus?
Gutes Spielzeug ist eines, in dem eine Herausforderung steckt. Ein Siebenjähriger wird ein Bobbycar nach zwei Minuten langweilig finden. Und umgekehrt wird ein Zweijähriger an einem Puzzle mit 100 Teilen verzweifeln. Am besten schenkt man etwas, das die Interessen des Kindes aufgreift, aber leicht über der aktuellen Entwicklungsstufe liegt.
Inwieweit sollten Eltern sich dabei am Wunschzettel orientieren?
Er ist ein ziemlich guter Gradmesser für das, was die Kinder gerade interessiert. Natürlich muss man nicht jeden Wunsch darauf erfüllen. Wenn da zum Beispiel eine Puppe drauf steht und das Kind hat schon vier Puppen...
...dann schenkt man ihm stattdessen besser einen Bagger?
Nein, aber vielleicht ein paar neue Kleider für die vier anderen Puppen. Oder steckt hinter dem Wunsch nach einer fünften Puppe etwas anderes? Reden Sie mit Ihren Kindern! «Warum wünschst du dir denn noch eine Puppe?» Das kann man sogar schon Dreijährige fragen. Manchmal sind die Argumente der Kinder so stark, dass sie einen als Erwachsenen umhauen. Aber manchmal finden sich in so einem Wunschzettelgespräch auch Alternativen.
Was ist denn nun das ultimative Weihnachtsgeschenk?
Zeit. Nehmen Sie sich Zeit und spielen Sie mit Ihren Kindern! Denn Spielen ist mehr als nur ein netter Zeitvertreib. Es ist ein wichtiger Teil ihrer Entwicklung. Im Spiel lernen die Kinder Regeln und Empathie: Sie müssen sich in andere hineinversetzen, eine Taktik entwickeln und mit Sieg und Niederlage fertig werden. Eltern lernen ihre Kinder beim Spielen sehr gut kennen. Das gilt für Mädchen wie für Buben.
Das Schreiben hat Stéphanie Souron an der Hamburger Henri-Nannen-Journalistenschule gelernt. Bei der Erziehung ihrer kleinen Tochter benötigt sie allerdings täglich Improvisationstalent: Das Mädchen hat Energie für Drei und liebt es, überallhin «schnell» laufen. Am liebsten ist unsere Autorin mit ihr und ihrem Mann draussen in der Natur unterwegs.