Pro und Kontra Ämtli
Alli mini Ämtli …
Von Veronica Bonilla Gurzeler und Caren Battaglia
Pro
Papier bündeln. Tisch decken. Abräumen. Abwaschen. Abtrocknen. Katzen füttern. Katzenklo putzen. Karton bündeln. Lavabo putzen. Badewanne schrubben. Einkaufen. Kochen. Bett abziehen, neu anziehen. Wäsche zusammenlegen. Zimmer aufräumen. Das alles sind Ämtli, die meine Kinder im Haushalt erledigen. Nicht schlecht, finden Sie auch? Oder raunzt da jemand etwas von «die armen Kleinen» oder «Kinderarbeit»? Müssen Sie nicht! Erstens habe ich drei Kinder, so verteilen sich die Aufgaben auf mehrere Köpfe. Zweitens sind die Kinder schon recht gross: 8, bald 11 und 13 Jahre alt. Drittens erledigen die drei ihre Arbeiten ohne murren.
Na gut, beinahe ohne murren. Mittlerweile jedenfalls. Aber ich gebs zu, am Anfang musste ich argumentativ sämtliche Register ziehen, um sie vom Sinn ihrer Mitarbeit zu überzeugen. Ich finde, es hat sich gelohnt.
Eines meiner Argumente lautete, dass sie sich einen Teil ihrer Ämtli selber eingebrockt haben. Zum Beispiel das Abtrocknen. Als ich vor zwei Jahren endlich eine Abwaschmaschine anschaffen wollte, meinte der mittlere Sohn, damals 8-jährig: «Sicher nicht, Mami, das braucht zu viel Strom!», und sein älterer Bruder pflichtete ihm bei. Ich fands irgendwie rührend, verzichtete auf die Abwaschmaschine. Naheliegend, dass sich die Kinder verpflichten mussten, regelmässig mitzuhelfen. Das zweite Ämtli, das sich die Kinder freiwillig aufgebürdet haben, ist die Katzenbetreuung. So lange haben sie um ein Haustier gebittet und gebettelt, dass ich mich erweichen liess. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die vierbeinigen Mitbewohner mir keine zusätzliche Arbeit bescherten, sprich: Die Kinder hatten von Anfang an dafür zu sorgen, dass die Katzen nicht verhungern und ihr Kistchen zweimal täglich gereinigt wird.
Ja, und dann trennten wir uns, mein Mann und ich. Recht schnell merkte ich, wie viel er tatsächlich im Haushalt gemacht hatte. Eben doch. Und dass ich es immer befremdlicher fand, wenn ich nach einem Arbeitstag voller Sitzungen, Termine und Verpflichtungen die einzige in der Wohnung war, die weiter emsig wie eine Biene herumschwirrte, während sich die Kids bequem aufs Sofa flätzten und darauf warteten, das Abendessen serviert zu bekommen. Also erklärte ich den Kindern, dass ihr Beitrag zum Familienwohl grösser werden müsse, wenn sie nicht eine zänkische, nörglerische Mutter haben wollten, die irgendwann zusammenklappt. Ich erwartete schon, den Vorwurf der Erpressung zu hören. Bereitete mich auf eine kleine Lektion in Gemeinsinn vor, dessen Bedeutung im Ursprung auf Aristoteles zurückgehe und die Bereitschaft meine, sich für das Gemeinwohl einzusetzen; aber es kam erstaunlicherweise kein Widerspruch.
Ein bisschen gestöhnt haben sie schon, daran kann ich mich erinnern. Doch dann überlegten wir miteinander, welche Arbeiten neben den bereits bestehenden anfallen, und jedes Kind sagte, wo es mitanpacken wollte. Wir einigten uns darauf, dass am Wochenende je zwei Ämtli zu erledigen waren. Der Älteste zeichnete eine Art Excel-Tabelle, die dann eine Weile am Kühlschrank hing, aber, Sie ahnen es, immer häufiger vergessen wurde. Ein Freund schlug vor, mit den Kindern Verträge abzuschliessen. Doch irgendwie graute mir davor, Jagd auf chronische Vertragsbrecher zu machen.
Fazit: Es gibt bei uns einige fixe Ämtli wie Katzenklo putzen, Katzen füttern, am Wochenende Zimmer aufräumen, Tisch abräumen. Daneben: Ist Kartonsammlung, müssen die Jungs ran. Lavabo putzen kann auch die Kleinste. Jedes Kind hilft nach Alter, Zeit und Verfügbarkeit. Das funktioniert recht gut. Und zwei Dinge haben die drei begriffen: Ihr Zuhause ist kein Hotel. Ohne sie geht es nicht.
Halt, ein Ämtli habe ich ganz vergessen, es steht erst kurz vor der Einführung: Wenn der Älteste 14 ist, wird er ein Jahr lang wöchentlich das Badezimmer putzen müssen (Badewanne, Lavabo, WC). Das wurde mir nämlich im ungefähr gleichen Alter ebenfalls aufgetragen. Ich kann mich erinnern, dass mir die Putzerei nicht sonderlich Spass gemacht hat. Aber auch daran, dass es sich ziemlich erwachsen anfühlte.
Und heute, knapp 30 Jahre später, merke ich, wie ich mir gerade ein bisschen wie eine Tiger-Mom in Haushaltsdingen vorkomme. Und mir dabei ganz gut gefalle.
Veronica Bonilla Gurzeler
Contra
Damit ich mich gar nicht erst verdächtig mache, eine von diesen sich aufopfernden Müttern zu sein, die ihren Kindern ein luschiges Leben in Saus und Braus ermöglichen: Nein, bin ich nicht. Ich nehme nicht automatisch die einzig hart gewordene Scheibe Brot, trage keine vergessenen Turnschläppchen hinterher und verlange – selbstverständlich – dass mein Töchterchen im Haushalt mithilft. Wir wohnen zu zweit, jeder macht das, was er kann. Punkt.
Und damit bin ich schon beim Mantra der derzeitigen Pädagogik: «Ämtli». Kein Lehrergespräch, in dem nicht schon die Erstklasslehrerin mit strengem Blick über den Brillenrand hinweg fragt: «Sie hat doch Ämtli?» Kein erziehungsambitionierter Haushalt, in dem nicht irgendwo eine Liste hängt, auf der vermerkt ist, wer für was genau zuständig ist. Oft verziert mit Sonnen oder Smileys für entsprechendes Wohlverhalten. Und kein Ratgeber, der ohne ein mahnendes «jedes Kind braucht Ämtli» auskommt. Anderenfalls, so schwingt düster mit, züchtet man sich einen ewig chillenden, tyrannischen Looser heran, einen Eltern ausnutzenden Parasiten der Gesellschaft.
Meine Tochter hat kein Ämtli.
Kein einziges.
Liegt sie deshalb herum und lässt sich von mir Luft zufächeln? Nein. Sie ist der hilfsbereiteste Mensch der Welt und so fleissig, dass ihr vermutlich bald die chinesische Staatsbürgerschaft ehrenhalber angetragen wird. Wer läuft und holt die Kehrichtsäcke, die ich vergessen habe? Sie. Wer ist als erste auf den Knien, wenn mein Ohrring unters Bett gekullert ist? Sie. Und dass sie den Kuchen fürs Skilager backt, empfindet sie nicht als saure Pflicht, sondern als Selbstverständlichkeit. Jetzt wird natürlich von der Fraktion der Ämtli-Verfechter sofort der Einwand kommen: Da hat die Mutter einfach Glück gehabt. Ich sage: Da habe ich Glück gehabt. Ja. Tonnenweise. Aber dass meine Tochter so hilfsbereit und freundlich ist, liegt auch daran, dass sie nie Auge in Auge mit einem Plakat frühstücken musste, auf dem steht: «Kehrichtsack raustragen». Sie nimmt ihn mit, wenn sie zur Schule geht. Oder ich, wenn ich zur Arbeit gehe.
Ich bin sicher: Die angeborene Hilfsbereitschaft von Kindern, ihre Freude daran, nützlich zu sein, ihren Beitrag zu leisten, eine Bedeutung zu haben, kann man ihnen auch austreiben. Entweder, indem man sie nicht mittun lässt oder jede anfallende Aufgabe zur Fron erklärt, deren Last es akribisch genau zu verteilen gilt.
Das andere ist: Ich halte die Unterstellung, dass Kinder faul sind, für komplett falsch. Sie haben ohnehin Ämtli in rauen Mengen. Bis zu 39 Stunden pro Woche Schulunterricht, dazu Uffzgi, für Prüfungen lernen, in die Klarinettenstunde gehen und auch dafür üben, daran denken, dass morgen Schwimmen auf dem Stundenplan steht und die Badehose im Thek liegt… Ich meine: Sind das noch immer nicht genug Aufgaben? Das darf man getrost mal zusammenrechnen, auf wie viele Wochenstunden da so ein Kind kommt. So viel arbeitet ja kein Erwachsener mit seinen üblichen 40 Wochenstunden! Und wo, bitte, ist in der knallvollen Kinderagenda Zeit zum Spielen? Zum Faulenzen? Zum Lesen? Zum Freunde treffen? Bei vielen Kindern sehe ich da keine. Dafür sehe ich viele lustlose Jungen und Mädchen, die Arbeit für genau das halten, was es im Mittelhochdeutschen mal bedeutet hat: «Mühsal ». Meine Tochter tut das nicht. Sie mistet den Meerschweinchenstall nicht, weil es in ihrem Pflichtenheft steht, sondern weil sie die Tierchen lieb hat. Maulen beim Misten schadet ja nicht.
Wir arbeiten beide. Ich erledige meinen Job hier in der Redaktion allein. Sie ihren Schuljob allein. Denn dass Hausaufgaben ihr Business ist, stand nie zur Diskussion. Aber wir faulenzen auch beide. Und mal lese ich ihr vor und mal sie mir und nirgendwo in unserer Wohnung hängt eine Stundentafel, auf der das vermerkt ist.
Meiner Ansicht nach erzieht jemand, der klein karierte Einsatzpläne erstellt, nicht zu Pflichtbewusstsein, sondern zu klein kariertem Denken. Denn was ist mit Unvorhergesehenem? Lässt man die undichte Spülmaschine die Wohnung fluten, weil niemand in seiner Agenda «aufwischen» stehen hat? Wer Selbstverständlichkeiten zu Arbeitsaufträgen aufhottet, muss sich nicht wundern, wenn er nachher Kinder hat, die peinlich genau darauf achten, nur das Nötigste zu tun und als Erwachsene zu denen gehören, die nie von alleine sehen, was ansteht, sondern nur eines beherrschen: Dienst nach Vorschrift.
Caren Battaglia