Konflikte
Ein Brief an die Mutter meines Stiefkindes
Von «Brigitte Mom»
Eine Frau findet eine neue Liebe. Doch da ist auch die Mutter ihres Stiefkindes, die alles kompliziert macht. In einem Brief an die Ex erklärt sie, wie sie sich in diesen schweren Jahren fühlte.
Neulich habe ich einen Brief in «Brigitte Mom» gelesen und gedacht, der könnte von Dir sein. Es ist, als wäre die Verfasserin bei uns Mäuschen gewesen. Nur dass es schon ein paar Jahre her ist, seit ich bis über beide Ohren in Deinen Exmann Nils verliebt war. Eure Tochter Anna war noch klein, vier Jahre alt, und ich sehr naiv. Als ich Nils kennenlernte und er mir von Trennung, Scheidung und von seiner Tochter erzählte, sagte ich: «Prima, ich liebe Kinder!»
Ich hatte ja keine Ahnung, in was ich da reingeschlittert war. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass die Fronten geklärt sind. Weil doch Du diejenige warst, die sich von Nils getrennt hat. Weil ich dachte, Du freust Dich, wenn er wieder glücklich ist. Aber Du warst von Anfang an nur eifersüchtig. Du wolltest Nils nicht mehr, aber eine andere sollte ihn auch nicht haben.
Nils und ich, wir hatten eigentlich nie Zeit nur für uns. Nicht mal ganz am Anfang. Wir waren nie ganz allein, und damit meine ich nicht Anna. Für mich war viel belastender, dass da immer eine im Hintergrund war, die lauerte und uns beobachtete. Und immer, wenn es Dir nicht gut ging, war da der Vorwurf: Ihr seid glücklich, warum bin ich es nicht!
Besonders schlimm wurde es nach ein paar Monaten, da war ich schon schwanger. Das kam für uns alle überraschend und vielleicht auch zu früh. Nils hat sich gar nicht getraut, es Dir zu erzählen. «So zwischen Tür und Angel geht das nicht», hat er gesagt. Und sonst war auch nie «der richtige Moment». Und irgendwann, ich war gar nicht daheim, hast Du Anna bei uns abgeholt, und auf der Kommode lag ein Stapel Umstandshosen. Da wusstest Du gleich, was los ist. Und bist ausgerastet. Die Feigheit von Nils hat mir Deinen ganzen Zorn eingebracht: Ich war die blöde Schlampe mit dem Braten in der Röhre. Ich weiss, dass Du das gesagt hast. Anna hat es gehört. Sie hat sich trotzdem auf ihr Brüderchen gefreut. Sehr sogar.
Wir haben vorher gar nicht so oft gekuschelt, irgendwie hatten wir da beide wohl Berührungsängste. Aber als der Bauch dann dicker und dicker wurde, da war es auch Annas Bauch. Am liebsten hätte sie die ganze Zeit obendrauf gelegen. «Da ist mein Bruder drin», hat sie gesagt. «Der gehört zu mir.» Und es hat sich richtig angefühlt, all die Küsse und die Lieder, die sie für ihn gesungen hat und sogar die schwer zu ertragende Nähe. Darüber habe ich mich selbst gewundert. Eigentlich war sie in dieser Zeit die Einzige, die mich anfassen durfte. Ich habe es gehasst, wenn Fremde mir den Bauch getätschelt haben. Selbst bei Nils war mir jede Berührung zu viel. Als unser kleiner Emil dann geboren war, wollte Anna auch Mama zu mir sagen. Das hat sich aber falsch angefühlt. «Nein, du hast eine Mama», habe ich gesagt. «Ich bin Kathrin.» Später hast Du mir erzählt, wie wichtig Dir das war. Du hattest Angst, ich könnte Deinen Platz einnehmen, aber mit Emils Geburt war mir klar: Ich kann für Dein Kind nicht Mutter sein. Ich kann es mögen. Sehr sogar. Ich kann mir vornehmen, immer fair und respektvoll zu sein, wenn Anna bei uns ist. Aber lieben wie meinen Emil kann ich sie nicht. Mutterliebe ist dann doch noch mal was ganz anderes.
Wir hatten Deine Tochter fast jedes Wochenende und in den Ferien bei uns, und in meiner Erinnerung ging keine Übergabe glatt. Die Zwischenfälle waren mal mehr, mal weniger dramatisch, aber immer nervenaufreibend. Einmal, als wir bei Oma und Opa waren, wolltest Du uns Anna am Bahnhof aus dem Zug heraus übergeben und gleich weiterfahren. Bloss keine Zeit verschwenden. Aber als wir dann ein paar Wagen zu weit vorn gewartet haben und Du uns nicht gleich gesehen hast, bist Du total hysterisch geworden. Und Anna, zwischen abfahrendem Zug, keifender Mutter und abgehetzter «Zweitfamilie», sah einfach nur verzweifelt aus. Das hast Du uns dann vorgeworfen, bis Anna 14 war. Danach nicht mehr. Nicht mehr nach dem Griechenland-Urlaub. Für den hatten wir Anna ein Flugticket gekauft, damit sie nachkommen konnte. Am Flughafen haben wir vergeblich gewartet. Du hattest Dir einen falschen Abflugtag in den Kalender eingetragen. Angeblich.
Eigentlich ist es immer schiefgegangen, wenn es uns wichtig war, dass sie bei uns war. Bei Geburtstagen oder wie damals im Urlaub. Das hast Du bewusst torpediert. Wir sind dazu übergegangen, Dich auszutricksen: Wir haben gesagt, an dem und dem Wochenende passt es uns nicht so gut, da konnten wir uns dann darauf verlassen, dass sie kam. Dann haben wir was Schönes gemacht.
Aber Wochenende für Wochenende mussten wir wieder von vorn anfangen, und Anna musste sich an uns und unser Leben gewöhnen. Am ersten Tag war immer Terror: Die Sosse war auf der falschen Tellerseite, «bei Mama geh ich immer ohne Jacke raus», dem kleinen Bruder wurde alles weggenommen. Immer Alltagskämpfe und Kräftemessen. Das hat mich auch wegen Emil so traurig gemacht. Er hat sich tagelang auf seine Schwester gefreut und dann so viel abgekriegt. Ich war auch oft viel strenger zu ihm als zu Anna. Aus Angst, ihn zu bevorzugen. Oder weil ich dachte, sie ist nur zwei Tage da, ich werde nicht gross an ihr rumerziehen. Ich bin Emil in vielen Situationen nicht gerecht geworden. Das tut mir am meisten leid.
Wenn wir uns dann eingegroovt hatten, ist Anna wieder nach Hause gefahren. Sie war sehr verschlossen und zurückhaltend in diesen Jahren, hat kaum von Dir erzählt, und ich denke, von mir hat sie auch nicht oft gesprochen. Sie wollte es eben uns beiden recht machen.
Ich habe andere Paare beneidet, wo es keine Exfrauen gab und keine Kinder aus früheren Beziehungen. Die konnten einfach ihre neue Liebe geniessen und Vertrauen aufbauen. Das war bei uns nicht möglich. Wir haben von Anfang an sehr viel gestritten. Oft ging es um Loyalität. Um Rücksicht, die Du eingefordert und von meinem Mann auch bekommen hast. Wenn es Dir nicht gut ging, musste ich zurückstecken. Viele dieser Risse, die in diesen Jahren entstanden sind, konnten wir nie mehr kitten. Ich habe mich so oft hilflos gefühlt, fremdbestimmt und mit dem Rücken zur Wand. Ein Mensch, den ich eigentlich gar nicht kannte, bestimmte meinen Kalender und auch den Ort, an dem ich lebte.
Ich war immer sehr freiheitsliebend, und plötzlich war da eine Vergangenheit, die nicht meine war, und die hat mein Leben diktiert. Immer wieder musste ich mir vor Augen führen, dass Deine Tochter nichts dafür kann. Dass sie an ihrem Vater hängt und ein Recht darauf hat, mit ihm und ihrem kleinen Bruder aufzuwachsen. Dafür hatte ich mich ja entschieden. Anna und Emil sollten eine unbeschwerte Kindheit haben. Oft habe ich mir gewünscht, dass wir einfach normal miteinander umgehen können und Du uns als Familie für Deine Tochter sogar gut findest.
Aber wir waren beide zu oft gekränkt. Hätten wir nur früher angefangen, miteinander zu sprechen. Ganz am Anfang darüber, dass Du Deine Babystrampler gern wiedergehabt hättest, die Anna ganz stolz für ihren kleinen Bruder mitgebracht hatte. Oder darüber, dass Anna nie etwas von den Sachen angehabt hat, die ich ihr gekauft habe.
Heute backe ich mit Dir zusammen Kuchen für Annas 18. Geburtstag … Wann kam eigentlich die Wende? Ich weiss es nicht mehr genau. War es, als Du wieder einen Partner hattest und noch eine Tochter bekommen hast? Oder war es, als Du Dich vom Vater Deiner zweiten Tochter wieder getrennt hast? Egal. Irgendwann hast Du mir gesagt, dass Du verstanden hättest, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Anna sich bei uns so wohlfühlt und dass Du dankbar bist für alles, was ich für sie getan habe. Heute bin ich sehr gerührt, wenn ich sehe, wie gut sich die beiden Halbgeschwister verstehen. Das ist mehr, als ich je erhofft habe. Ich dachte, fünf Jahre Unterschied, da wachsen sie nicht wirklich zusammen auf, die beiden werden nicht viel miteinander anfangen können. Umso schöner ist es, dass sie so ein eingeschworenes Team sind. Auch ich habe im vergangenen Jahr noch ein kleines Mädchen bekommen. Zur Taufe unserer Nachzüglerin hatte ich Dich und Deine Tochter natürlich auch eingeladen, plus den Vater Deiner Tochter, der inzwischen Dein neuer Exmann ist, samt seiner Mutter, also Deiner Ex-Schwiegermutter. Da mussten wir sogar lachen.
Die Geschichte hat leider nur fast ein Happy End. Nils und ich sprechen immer öfter von Scheidung. Daran hat auch das neue Baby nichts geändert. Zu tief ist die Kluft, die zwischen uns schon in den ersten Jahren entstanden ist. Unsere Beziehung war immer wackelig. Immer war da jemand, der an ihm zog, sich uns in den Weg stellte und Kraft gekostet hat. Wir hatten zu wenig Zeit für uns. Ich gebe Dir keine Schuld, das wäre zu einfach. Du würdest heute sicher vieles anders machen und ich auch. Aber ich hoffe, dass andere Mütter begreifen, dass den Kindern am wenigsten damit gedient ist, wenn auch die zweite Familie in die Brüche geht.
Also: Falls es in der neuen Familie gut klappt, seid froh. Versucht nicht, wegen Eurer Eifersucht, verletzten Gefühlen und zerplatzten Träumen «der Neuen» das Leben schwer zu machen. Versackt nicht in diesem ewigen Selbstmitleid, das zwar bewegt wie ein Schaukelstuhl, aber kein bisschen nach vorn bringt.
Dieser Brief ist ein Abdruck aus «Brigitte Mom», die neue Ausgabe erscheint am 16. August.