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Eltern müssen sich trennen dürfen
In der Süddeutschen Zeitung und anderswo wird gerade eine Debatte angestossen, die längst überfällig ist: Ich meine damit die Tatsache, dass Ehen immer später geschieden werden und Scheidungskinder hinterlassen, die im juristischen Sinne schon erwachsen sind. Solche Menschen werden nicht zu den allgemeinen Statistiken gezählt und finden auch sonst wenig Beachtung, wenn es darum geht, die Auswirkungen auf Betroffene zu analysieren. Überhaupt Betroffenheit: Ist man zum Zeitpunkt der Scheidung der Eltern volljährig, scheint die nicht zu gelten. Immerhin ist man aus dem Gröbsten raus, wohnt vielleicht schon eigenständig und braucht seine Erziehungsberechtigten nicht mehr.
Ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht.
Während man in der Kindheit und Jugend noch auf ein klar definiertes Ziel zusteuert (Endlich 18 sein, solange aufbleiben wie ich will, mir von niemandem mehr was sagen lassen, saufen bis der Arzt kommt etc.), merken viele, dass Erwachsensein so nicht funktioniert. Erwachsensein bedeutet, dass man das, was man seine für unerträglich gehaltene Verantwortung gegenüber den Eltern und anderen Autoritätspersonen gegen eine sehr viel umfassende Verantwortung eintauschen muss und dabei das ein oder andere Mal scheitert. In dieser Phase die Trennung seiner Eltern verkraften zu müssen, ist alles andere als einfach. Zugleich sollte eine Trennung der Eltern immer möglich sein – egal zu welchem Zeitpunkt. Dinge verändern sich, Liebe erlischt oder wird unmöglich. Selbstverständlich leiden Kinder darunter. Aber neben dieser Trennung geht es gerade für erwachsene Scheidungskinder um etwas ganz anderes.
Es geht um Authentizität, Offenheit und Respekt. Wenn mir als Anfang 20 Jähriger von einem Elternteil eröffnet wird, dass man schon seit Jahren mit dem Gedanken an Trennung spielt, dies aber zu keinem Zeitpunkt in meine Richtung kommuniziert hat, dann ist das ein eklatanter Vertrauensmissbrauch.
Auf der anderen Seite sollten sich Eltern trennen können – und zwar als Paar, damit sie bestenfalls realisieren, dass sie sich als Eltern nicht trennen sollten und durch Verantwortung und Zeit aneinander gebunden sind. Mein Kind hört nicht auf mein Kind zu sein, nur weil ich mit seiner Mutter nicht mehr zusammenleben will. Und meine Partnerin disqualifiziert sich bei einer Trennung auch nicht automatisch als Mutter meines Kindes. Im Gegenteil: Ihre Qualitäten sind gerade dann besonders gefragt.
Also ja, Menschen trennen sich. Und wenn diese Menschen deine Eltern sind, dann fühlt sich das wahrscheinlich extrem ätzend an. Richtig beschissen wird es allerdings, wenn der Trennung jahrelange Lügen vorausgehen. Die sind es, die richtig wehtun.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.