Schönheit
Bäuche, die was geleistet haben
Straff und schlank – so sieht doch kein Mama-Bauch aus. Deshalb sollte die Wahrheit jetzt echt mal ans Licht.
Auch in diesem Sommer werden wir wieder sehen, dass wir sie nicht sehen: Ex-Babybäuche. Normale Ex-Babybäuche, wie normale Mütter sie eben haben. Nicht Berufsbäuche wie die von Heidi Klum und Konsorten, die wenige Wochen nach der Entbindung wieder über die Laufstege stöckeln. Nicht die Bauchdecken der Beckhams und Bündchens oder andere instagramtauglich gefilterte oder chirurgisch zurechtgezurrte Bäuche, sondern eben: echte. Welche, denen man ansieht, dass da drin ein Kind gewohnt hat, die aussehen wie matschige Wassermelonen, hängen, verbeult sind, sich auch unbewohnt unverdrossen nach aussen wölben oder gemustert sind mit Schwangerschaftsstreifen.
Badeanzug statt Bikini?
Diese Bäuche, die sieht man nicht. Offenbar meiden die dazugehörigen Mütter Kameras und Schwimmbäder oder finden, von jetzt an sei Badeanzug statt Bikini Pflicht, müsste Kaschierendes oder wurstige Spanx-Unterwäsche her.
Sein müsste das nicht. Denn: Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn man einem Bauch ansieht, was er geleistet hat? Verhüllen etwa Bauarbeiter schamhaft ihren Bizeps, den sie vom Arbeiten bekommen haben? Genieren sich Schwimmerinnen für Ihren Rücken? Tänzer für ihre Beine? Kämen die gar nicht auf die Idee. Aber Mütter kommen auf die Idee, sich für die Leistung, die ihr Bauch erbracht hat, zu schämen und turnen daher nach Videos von Pamela Reif. Die ist das Ideal. So müsste frau doch mittig aussehen, oder? Nö. Muss sie nicht. Als Mutter schon mal gar nicht. Deshalb wäre es nicht schlecht, wenn Postpartum-Bäuche ab und an zu sehen wären, damit man sich nicht so rar und selten fühlt wie einst die weissen Tiger von Siegfried und Roy und stattdessen merkt: Das soll so.
Okay aussehen reicht nicht
Es stimmt natürlich, dass es schwierig ist, kritische Blicke und beknackte Kommentare auszuhalten, aber es erleichtert, sich selbst einen Spruch der Autorin Margarete Stokowski ins Poesiealbum zu schreiben: «Menschen, die andere Menschen aufgrund ihres Körpers abwerten, sind der grösste als unpolitisch geltende Scheissverein der Welt.» Und es hilft, sich in Erinnerung zu rufen, was der Bauch in der Schwangerschaft vollbracht hat:
♦ Seinen Umfang um im Schnitt 40 Zentimeter vergrössert
♦ Eine 500 statt bislang 70 Gramm schwere Gebärmutter beherbergt
♦ 400 bis 800 Gramm Plazenta eingepackt
♦ Mitgemacht, dass die geraden Bauchmuskeln auseinanderdriften, um Platz zu schaffen
♦ Bis zu 1,5 Liter Fruchtwasser aufgenommen
♦ Und nicht zu vergessen: Innerhalb der Bauchhaut etwa 3,5 Kilogramm Baby getragen
Das soll sich in Luft auflösen? Aussehen wie nie gewesen? Schwupp, wegtrainiert werden? Unbestritten ist Sport eine prima Sache. Er ist gesund und Spass macht er – manchmal – auch. Das sind gute Gründe und deshalb sollte sich auch niemand vom Sport abhalten lassen. Ein schlechter Grund dagegen ist die postnatale Taillen-Optik. Wenn nämlich die Wiener Autorin und Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner in ihrem Buch «Riot, don’t diet!» recht hat mit ihrem Satz «Schönheit ist ein System, das nur dann funktioniert, wenn es viele ausschliesst», dann reicht «okay», wie die meisten auszusehen, folgerichtig ohnehin nicht. Dann muss es makellos sein, wird Selbstoptimierung ein Fass ohne Boden.
Längst stimmt es auch nicht mehr, dass Mütter drüberstehen über diesen Jung-Mädchen-Gedanken von «bin-ich-schön-genug» bis «was-denken-die-anderen» … Nein. Nicht mal die Schwangerschaft ist beautynormfreies Gelände.
Essgestörte Schwangere
Laut einer Studie des britischen Instituts für Kindergesundheit und der psychiatrischen Abteilung der Universität London gab von 739 schwangeren Probandinnen jede vierte an, grosse Angst vor einer Gewichtszunahme und vor der Veränderung ihres Körpers zu haben. Jede zehnte zeigte mehrere Verhaltensweisen, die auf eine Essstörung hinweisen – wie Hungern, exzessiv Sport treiben, Abführmittel-Missbrauch.
Jede 15. Schwangere wies das Vollbild einer Essstörung auf. Eine Studie von Brenda Broussard von der Universität Seattle kam sogar zu noch drastischeren Ergebnissen. 27 Prozent der Schwangeren verhielten sich, laut ihrer Untersuchung, eindeutig essgestört.
Diese Zahlen, sei hier vermutet, dürften nach der Entbindung noch höher liegen, wenn das Baby als Begründung für vermeintlich fehlerhaftes Aussehen wegfällt. Dann gibt es keinen milden Blick mehr, dann wird er unbarmherzig. 2013 sahen sich sogar zahlreiche Journalist* innen genötigt, in ihren Artikeln ausführlich zu erklären, weshalb die britische Herzogin Kate kurz nach der Geburt von Klein-George noch ein winziges Bäuchlein mit sich herumtrug. Offenbar spukt in den Köpfen die Erwartung herum, dass Mütter-Mitten zeitgleich mit der letzten Presswehe in sich zusammenschnurren wie ein gespanntes Gummiband.
Vergesst: fit und schlank nach der Geburt
Wozu schliesslich gibt es Rückbildungsgymnastik. Die sorgt doch dafür, oder? Nein, die sorgt nicht dafür. Sondern dafür, dass der weibliche Beckenboden wieder belastbar wird, Organe zurück an die richtige Stelle kommen, Muskeln ihre Arbeit aufnehmen und dafür, dass der Rücken der Frau nicht wehtut. Deshalb ist der Name «Rückbildungsgymnastik» für einen solchen Kurs gut, und «Fit und schlank nach der Geburt» oder «Straff und schlank» sind unangebracht. Wie auch die im Netz penetrant wiederholten Hinweise, dem Baby die Brust zu geben verbrenne glücklicherweise 600 Kalorien pro Tag. Leute, das ist kein Still-Work-out!
Vielleicht also wäre es wirklich an der Zeit, die angesagten Baby-Bump-Shootings auszuweiten: auf Empty-Bump-Shootings. Die amerikanische Marathonläuferin Stephanie Rothstein Bruce machts auf ihrem Instagram-Account vor und auch all diese Frauen hier mit ihren tollen Fotos. Also: Bauch raus!
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.