Thomas Knecht, Gerichtspsychiater und leitender Arzt der Klinik Münsterlingen, befasst sich u.a. mit verschiedenen Ausprägungen von Pädophilie.
wir eltern: Herr Knecht, darf man heute noch nackte Kinderfudis zeigen?
Thomas Knecht: Als Psychiater betrachte ich die realen Verhältnisse und kann deshalb nur wenig dazu sagen, ob wir etwas tun sollen oder dürfen. Das ist eine Frage der öffentlichen Meinungsbildung und letztlich auch der Gesetzgebung. Insofern sind die Ebenen nicht immer deckungsgleich.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Nach anonymen Umfragen hat sich ergeben, dass rund ein Fünftel der Männer empfänglich ist für sexuelle Reize, die von Kindern ausgehen. Das heisst natürlich nicht, dass diese auch aktiv werden. Jedoch muss man sich die Zahl vor Augen halten, wenn man eine Liberalisierung vornehmen möchte. Denn Kandidaten, die davon «profitieren» würden, wären durchaus vorhanden.
Eltern, die ihre Kinder in einem Park nackt im Brunnen plantschen lassen, leisten also «Beihilfe» zur Pädophilie?
So weit würde ich nicht gehen. Allerdings wären sie gut beraten, das kindliche Bad zu überwachen.
Aber raubt man nicht gerade mit dieser Angst vor dem pädophilen Blick den Kindern ihre Unschuld?
Ja, das ist eine Nebenwirkung einer strikten Politik, wie sie heute gefahren wird und letztlich auch das sexuelle Bewusstsein von Menschen prägt. Dabei ist der Umgang mit Pädophilen in unserer Gesellschaft starken Schwankungen unterlegen. Wir erinnern uns: Bei den Griechen waren pädophile Handlungen kulturell akzeptiert. Oder in den Siebzigerjahren hatten wir einen sehr offenen Umgang mit Nacktheit. Die Schraube wurde in den letzten Jahren deutlich angezogen.
Welche Konsequenzen hat diese Tabuisierung von nackten Kinderkörpern?
Für achtzig Prozent der Männer – und für Frauen sowieso – werden in unserer Gesellschaft überflüssige Schutzmassnahmen getroffen. Eine kleine Minderheit bringt also eine Mehrheit dazu, sehr strenge Massstäbe anzusetzen – gerade auch in punkto Freikörperkultur. Wir werden prüde aus einem Wunsch heraus, die Kinder vor jeder Art von Belästigung zu schützen. Der freie Lebensstil und das Verhältnis des Kindes zum eigenen Körper könnten dadurch schon beeinträchtigt werden. Schade zum einen, zum anderen verständlich, wenn man berücksichtigt, dass es trotz strengen Verbotsregelungen immer noch zu Übergriffen kommt. Ein Dilemma.
Sprechen wir über die «Gefahr» Internet: Produzieren wir mit der digitalen Verbreitung von Kinderfotos pädosexuelle Menschen?
Mit Sicherheit nicht. Eine sexuelle Prägung wird bereits früh im Leben angelegt, manchmal sogar im Mutterleib durch hormonelle Einflüsse. Eine «Umpolung» ist nicht möglich, das heisst ein Heterosexueller wird nicht plötzlich homosexuell und ein Pädophiler entwickelt nicht plötzlich Vorlieben für Erwachsenensex. Es ist allerdings wichtig, verschärft gegen die kommerzielle Verbreitung von Kinderpornografie vorzugehen, da deren Produktion kindliche Opfer schafft.
Welche bildlichen Erzeugnissen sind für Pädophile anturnend?
Die Streubreite ist natürlich gross und steht in Abhängigkeit von den individuellen Vorlieben des Pädophilen. In der Regel kann man aber davon ausgehen, dass ein Urlaubsfoto von einem nackten Kind am Strand interessant ist, mehr aber auch nicht.
Was raten Sie Eltern, die fürchten, ihr Kind könnte Opfer eines Pädophilen werden?
Sie sollen sexuelle Aufklärung betreiben, und zwar bereits in der Unterstufe, und ihre Kinder darauf hinweisen, dass auch sie von gewissen Erwachsenen als Sexualobjekt betrachtet werden können.