Monatsgespräch
«Wir können nicht verhindern, dass Homosexuelle Kinder haben»
wir eltern: Frau Copur, mit welchen Anliegen kommen gleichgeschlechtliche Paare zu Ihnen?
Eylem Copur: Sie wollen genau wissen, wie es um ihre Rechte steht. Der Wunsch, gemeinsam ein Kind zu bekommen oder das Stiefkind zu adoptieren, ist zu diesem Zeitpunkt schon längst da. Offen sind die Fragen, wie der Gesetzgeber ihre Situation handhaben wird. Die Konstellationen meiner Klienten könnten unterschiedlicher nicht sein: Ich berate Lesbenpaare, die dank Samenspende Mütter wurden, schwule Männer, die ihr Stiefkind adoptieren möchten oder gleichgeschlechtliche Paare, die mit einem Freund/einer Freundin ein Kind planen.
Wie sieht denn die Rechtslage für diese Regenbogenfamilien heute aus?
Eine lesbische Frau kann als Alleinstehende ein Kind adoptieren; sobald sie jedoch in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, verliert sie dieses Recht. Ausserdem können eingetragene Partner das Stiefkind, das etwa aus der ersten Ehe kommt, nicht adoptieren, auch nicht, wenn es in ihrem Haushalt lebt. Bei einer Trennung erhält die eingetragene Partnerin zwar gewisse Besuchsrechte, ähnlich wie bei Heterosexuellen. Das Gesetz sieht sogar ein kleines Vertretungsrecht vor, etwa in der Schule. Pflichten hat diese Partnerin aber keine. Die Unterhaltspflichten der nicht leiblichen Mutter entstehen lediglich gegenüber der Partnerin, nicht aber der Kinder.
Was heisst das konkret für die Kinder?
Stellen Sie sich vor, das Kind wird schwer verletzt, die leibliche Mutter ist jedoch gerade geschäftlich im Ausland und nicht erreichbar. Ihre Partnerin, die das Kind miterzieht, der das Kind genau so vertraut wie der Mutter, hat keinerlei Entscheidungsbefugnis, sollte es zu einem chirurgischen Eingriff kommen. Angenommen die leibliche Mutter stirbt, könnte das Kind gemäss Gesetz fremdplaziert werden, obwohl die zweite Elternhälfte bereit ist, das Kind in ihrer Obhut zu behalten. Bei einer Trennung wiederum kann die ungelöste Unterhaltsfrage das Kind in eine finanzielle Notlage bringen.
Aber eine Vormundschaftsbehörde wäre wohl kaum so unmenschlich und würde einen Halbwaisen zu allem Unglück auch noch aus seiner vertrauten Umgebung reissen. Oder?
Wahrscheinlich nicht. Solange dies jedoch nicht gesetzlich geregelt ist, gibt es dafür keine Garantie. Jedes einzelne Kind ist auf den Goodwill von Behördenmitglieder angewiesen. Es gibt immer noch Menschen (auch in Behörden), die grosse Vorurteile gegenüber Homosexuellen haben und der «Witwe» aus diesem Grund das Sorgerecht verweigern könnten. Ein Gesetz gäbe den Hinterbliebenen – und damit meine ich in erster Linie die Kinder, die für die Partnerwahl ihrer Eltern nicht verantwortlich sind – die Sicherheit, eine Familie bleiben zu dürfen. Allein die Möglichkeit behördlicher Willkür, und sei sie noch so klein, ist meines Erachtens Grund genug, das Gesetz zu ändern. Wenn nicht für die Homosexuellen, dann mindestens für die Kinder.
Und was macht die Politik?
Letzten Herbst empfahl der Bundesrat, die Motionen für die Adoption bzw. Stiefkindadoption abzulehnen. Problematisch daran finde ich, dass die beiden Sachlagen gleich behandelt wurden: Die Notlage von Familien mit Stiefkindern wurde so mit der Grundsatzfrage vermischt, wie eine adoptionswürdige Familie auszusehen hat. Man müsste die Stiefkindadoption prioritär behandeln. Und die Frage, ob Homosexuelle ein fremdes Kind adoptieren dürfen, separat diskutieren und entscheiden. Adoption ist ein heikles Thema – auch bei Heterosexuellen Paaren.
Gemäss dem Dachverband «Regenbogenfamilien» hat eine repräsentative Umfrage ergeben, dass eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung für eine Gleichbehandlung homosexueller Elternpaare ist. Wie erklären Sie sich diesen Wandel?
Vielleicht realisieren wir heute, dass es in erster Linie um die Kinder geht. Egal, wie man zu Schwulen und Lesben steht, Tatsache ist: Wir können nicht verhindern, dass Homosexuelle Kinder haben. Also müssen neue Gesetze diese Kinder schützen.
Sie betreuen ein Lesbenpaar, das dank Samenspende Kinder hat und seine Rechtslage überprüfen will. Was heisst das konkret?
Wir haben Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht, nachdem die vorherigen Instanzen die Genehmigung der Stiefkindadoption abgelehnt haben. Theoretisch könnte das Bundesgericht zwar entscheiden, dass das Schweizer Partnerschaftsgesetz EMRK*-widrig ist. Das erfordert zwar juristischen Mut, aber ich denke, dass wir durchaus eine reelle Chance haben. Falls das Bundesgericht dennoch ablehnt, müssen wir vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Dort können wir einerseits die Diskriminierung meiner Mandantinnen und andererseits das Kindesrecht geltend machen. Wenn die Klage Erfolg hat, würde meinen Klientinnen Schadenersatz zugesprochen. Bis dieser Entscheid jedoch fällt, kann es Jahre dauern. Die Verfahren vor dem EMRK sind langwierig – angesichts der Dringlichkeit des Falls zu langwierig.
Frau Copur, was halten Sie vom Einwand, dass es «widernatürlich» sei, wenn ein Kind mit zwei Müttern oder Vätern aufwächst?
Gar nichts. Das Leben eines Kindes mit zwei Müttern oder Vätern ist so widernatürlich wie das eines Kindes, das nur bei Mama oder Papa aufwächst. Oder als Einzelkind, oder mit dunkler Hautfarbe, obwohl die Eltern weiss sind. In Regenbogenfamilien sind die Konstellationen so unterschiedlich wie die Menschen selber. Gleichgeschlechtliche Paare reflektieren ihren Kinderwunsch ausgiebig. Ihre sexuelle Orientierung hat sie früh gelehrt, sich selber und die Gesellschaft zu hinterfragen und zu verstehen. Sie kommen mit glänzenden Augen zu mir und berichten von ihren Erfahrungen und Ängsten und möchten nur das, was die meisten Eltern für ihre Kinder wollen: das Beste. Sollte es beim Elternsein nicht genau darum gehen?
*EMRK ist die Abkürzung für Europäische Menschenrechtskonvention. Sie enthält einen Katalog von Grundrechten und Menschenrechten, über deren Umsetzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg wacht.