Putzen
Immer Streit ums Putzen
Familie macht Dreck - wer ihn wann wegputzen muss, ist das Streitthema Nummer1 bei Paaren: Warum eigentlich hat das Putzen so einen schlechten Ruf?
Es gibt ein Wort, das wirkt, als hätte man ein Tiefdruckgebiet mitgebracht: «Putzen». Kaum gefallen, erstarren Mienen, giften sich Paare an, gähnen Gesprächsrunden…Und es ist klug, das Thema dann zügig zu wechseln, will man die Stimmung nicht so hartnäckig versauen wie Fettspritzer die Küchenplättli. Ja, übers Putzen zu reden, ist offenbar ähnlich unappetitlich wie das Zeug, mit dem man es dabei zu tun hat. Merkwürdig eigentlich, verbringen wir damit doch deutlich mehr Zeit als mit, na, nehmen wir was Nettes: Sex oder Sport.
Ganze 4,7 Stunden wöchentlich – hat das deutsche Meinungsforschungsinstitut Forsa ermittelt – wischt, saugt und wienert der erwachsene Mensch. Frauen doppelt so viele Stunden wie Männer. Und da an dem Klischee offenbar etwas dran ist, dass Schweizer besonders reinlich sind, die Meister Proper unter den Europäern, fällt die hiesige Scheuer-Bilanz, (inklusive Wäschewaschen), noch um zwei Stunden verheerender aus. Ausser für Böden und Bad natürlich.
Kochen ist Kult - Putzen ist Bäh
Nun ist es zwar so, dass es wohl jeder und jede gerne sauber hat, sich an haarfreien Duschen, schimmellosen Kühlschränken und Kinderzimmern ohne Käfer erfreut. Doch der Akt des Reinigens selbst, der hat einen miserablen Ruf im Vergleich mit anderen Hausarbeiten wie Aufräumen à la Marie Kondo oder auch Kochen: Kochsendungen, Kochblogs, Kochposts von Kamala Harris – Kochen ist Kult. Aber Putzen? Bäh. Es muss gemacht werden, da hilft nix, aber doch, bitteschön, möglichst unsichtbar. Eimer, Schrubber, Putzhilfe – alles wird stets diskret versteckt. Die private Reinigungskraft in neun von zehn Fällen, sagen Schätzungen, auch vor der Steuer. Möglicherweise – aber das ist nur eine Vermutung – schützt die weitgehende Unsichtbarkeit ebendieser Putzhilfen zudem vor unbequemen Grübeleien. Wer will schliesslich allwöchentlich über die moderne Dienstbotenklasse, Lohndumping, prekäre Arbeitsverhältnisse (meist) migrantischer Frauen oder über den Alltag der mehr als 200 000 Menschen nachdenken, die in der Schweiz ihren Lebensunterhalt mit Putzen verdienen? Keiner.
Ist Putzen Frauensache?
Und – hier kommt die nächste Vermutung – kann es sein, dass Putzen nicht allein wegen des unappetitlichen Sujets nie Thema ist, sondern auch, weil Unsichtbares traditionell und bis heute vornehmlich das Sujet von Frauen ist? Ganz nach dem guten alten Schiller «Und drinnen waltet Die züchtige Hausfrau, Die Mutter der Kinder(…) Und reget ohn` Ende Die fleissigen Hände, Und mehrt den Gewinn Mit ordnendem Sinn, Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden.»
Nett, das mit den duftenden Laden, Schubladen vermutlich, aber doch nun wirklich nicht der Rede wert. Nice to have, aber beeindruckend ist anders. Da könnte man drüber nachdenken. Irgendwie aber eignen sich Flecken und Fusseln nicht so richtig, um das ganz grosse Fass von Historie, Gender und System aufzumachen. Öffentlich wird jedenfalls gerne über die Endlosschleife mit Mopp und Besen geschwiegen. Ganz, als sei Reinigen ein schmutziges Geschäft.
Stimmungskiller
Folgerichtig schildern Dichter, Denker und Autoren aller Art Wanderungen durch Wald und Wiese, erfolglosen Fischfang, Liebeshändel, ja, selbst das Husten oberhalb von Davos. Aber Gedrucktes übers Dreckwegmachen? Über etwas Selbstverständliches, wenig Geschätztes, gemacht von wenig Geschätzten? Fehlanzeige. Sechs Milligramm Staub, die nach Wischlappen schreien, lagern sich täglich pro Quadratmeter ab. Einfach so. Tag für Tag für Tag.
Und annähernd ebenso häufig zanken sich Paare darüber. «Ordnung und Sauberkeit» rangiert nach einer Untersuchung des Deutschen Institutes für Demoskopie» unangefochten auf Platz 1 der Streitthemen. Wenig sonst bietet schliesslich einen solch bunten Strauss an Zankmöglichkeiten: Ist ein Fenster «sauber», solange man noch einigermassen hinaussehen kann? Gilt ein Tisch als «abgewischt», wenn dabei kein Lappen zum Einsatz gekommen ist, sondern nur die Handfläche, weshalb jetzt alle Krümel am Boden liegen? Dürfen Teenager unterm eigenen Bett getragene Socken, Lebensmittel und das verschwitzte Sportzeug des vergangenen Schuljahres kompostieren? Oder das Baby: Darf das sauen? Auf Teppichen voller Hundehaare herumkrabbeln?
Wer ist dran mit Putzen?
Und dann erst die Gretchenfrage mit Stimmungskiller-Garantie: Wer von uns ist dran mit Putzen? Antwort – wie gesagt: meist die Frauen. Werden aus diesen Frauen Mütter, scheuern, schrubben und wischen sie in den ersten drei Lebensjahren der Kinder laut einer YouGov-Studie sogar gleich dreimal so häufig wie die Väter. Männer übernehmen daheim eher die «nicht repetitiven Aufgaben»: Kaputtes reparieren, Gartenhecke stutzen, Druckerpatrone wechseln…Auch nicht toll, doch wenigstens gibt es dafür schon mal Anerkennung, ein Danke oder Lob. Aber für einen Badezimmerspiegel ohne Spritzer?
Putzen ist sich Gutes tun
Ja, in Familien ist das leidige Putzen ein facettenreicher Streit-Longseller. Leidig? Das sieht Linda Thomas aber vollkommen anders. «Putzen ist etwas Schönes», sagt die 70-jährige Inhaberin des ersten ökologischen Putzinstitutes der Schweiz in Dornach. «Es bedeutet, Gutes für sich und andere zu tun.» Und weil Putzen für sie mehr Berufung als Beruf ist, hat sie Bücher zum Thema geschrieben mit Titeln wie «Frühjahrsputz – Putzen als kulturelle Tradition und andere schöne Dinge» und «Putzen lieben!?». Lieben? Nicht Ihr Ernst, Frau Thomas.
Doch, es ist ihr Ernst. «Wissen Sie», erklärt die gebürtige Südafrikanerin sanft, «alles ist eine Frage der Beziehung zu den Dingen.» Sich zu baden beispielsweise, sei ja, nähme mans genau, ebenfalls eine Art «Körperputz», ein Schaumbad aber trotzdem ein Genuss. «Deshalb ziehe ich das Wort ‹Pflegen› dem Wort ‹Putzen› vor.» Es gehe nicht darum, dem Dreck schrubbend den Kampf anzusagen, sondern in harmonischen, rückenfreundlichen Bewegungen Raum zu schaffen für Frische, Licht und Sauberkeit.
Dankbar für ein sauberes WC
Ähm ja, okay. Aber «schön», «lieben» und «WC scheuern»? Geht das zusammen? «Natürlich!», Linda Thomas ist in ihrem Element. «Beim Reinigen der Toilette kann man tiefe Dankbarkeit empfinden.» Und dann erzählt sie, wie sie als Kind, damals in Südafrika, nur ein Plumpsklo hatten und ihre Mutter allmorgendlich volle Nachttöpfe leeren musste. «Da wird man dankbar für eine saubere Toilette», findet sie. Überhaupt gehe es beim Grossreinemachen wenig um Dreck, jedoch viel um eben jene Dankbarkeit, Achtsamkeit, Werte und Kultur.
Besser lernen
Oft hält Linda Thomas deshalb Vorträge in Schulen, wo sie Kindern davon erzählt, wie würdelos zuweilen die Bedingungen sind, unter denen Reinigungskräfte arbeiten, wie wenig sie wertgeschätzt werden. Und manchmal putzt sie gemeinsam mit Schüler* innen die Klassenzimmer. «Denn erstens gehen Kinder, die etwas selbst gereinigt haben, damit künftig sorgfältiger um, und zweitens lässt sich in einem gepflegten Raum besser lernen.» Dass Finnland im Bildungsstand-Wettbewerb Pisa stets so glänzt, mag Lernforscher verblüffen, nicht aber Linda Thomas. So glänzend, wie dort die Böden der Schulen, die Fenster und Pulte sind: «Alles tipptopp sauber, hell, frisch – kein Vandalismus, keine Graffitis – nichts.» Je sauberer die Schulen, desto besser die Schüler – den Satz habe sie mal irgendwo gelesen und gleich plausibel gefunden.
Blinde Flecken in der Bildungspolitik, unsauberer Umgang mit Reinigungskräften und Streit in Beziehungen – ist die Lösung von allem eine positive Sicht aufs Putzen? Nur eine Frage der Haltung? Vielleicht. Wahrscheinlich nicht. Zumindest nicht, wenn ansonsten alles beim Alten bleibt. In Familien. In der Gesellschaft. Aber um gründlich in den Köpfen durchzuwischen und Spinnweben wegzufegen, muss als Erstes eines passieren: raus mit dem Thema aus der Schmuddelecke. Putzen lieben üben wir dann im nächsten Schritt.
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.