Essay
Was wollt ihr denn?

plainpicture/Etsa (Johan Willner)
Die meisten Eltern wollen für ihren Nachwuchs nur das Beste – und das ist auch gut so. Aus der eigenen Lebenserfahrung entwickeln wir Konzepte für das Gelingen des Lebenswegs unserer Kinder. Was genau aber ist das Beste? Wieso haben wir als Eltern so detaillierte und statische Überzeugungen davon, in welchen Hobbys sich unsere Kinder versuchen, welche Schulen sie besuchen und welche Sprachen sie lernen sollten? Wir möchten Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten nehmen, den späteren Bildungsweg und die Partnerwahl. Alles zum Wohle unserer Kinder. Weil wir ja schliesslich mit mehreren Jahrzehnten auf dem Buckel ganz gut wissen, wie der Hase läuft und wollen, dass die Kleinen es einmal leichter haben sollen als wir. Oder nicht? Hatten wir es denn wirklich so schwer und ist leichter gleichbedeutend mit besser? Schwer vorstellbar wie vieles andere auch.
So liegt es ausserhalb unserer Vorstellungskraft, uns die eigenen Kinder als Erwachsene mit einem erwachsenen Leben und erwachsenen Problemen zu imaginieren. Deshalb modellieren wir als Eltern diese Erwachsenen nach unseren eigenen, ausgesuchten Vorstellungen. Doch als Projektionsfläche für das, was wir selbst vom Leben verstanden zu haben glauben, bleiben diese Modelle zwangsläufig eindimensional und flach. All das, was wir im Umgang, in den Gesprächen und Beziehungen an Erwachsenen durchaus zu schätzen wissen, wollen wir weitestgehend von unseren Kindern fernhalten: Die Quereinstiege, die Brüche, das berufliche und beziehungstechnische Scheitern. Niederschläge, Neuorientierung und Wunden, immer wieder Wunden. Biografie light sozusagen. Das ist verständlich. Immerhin ist es eine der zentralsten Aufgaben von Eltern, den Kindern die schiere Wucht und Fülle des Lebens nur in dem Masse zuzumuten, welches sie ertragen können. Doch dabei schiessen wir nicht nur gelegentlich über das Ziel hinaus, indem wir an der Biografie eines Menschen mitwirken, der uns als erwachsener Gesprächspartner auf einer Party in seiner ganzen Durchschnittlichkeit und Vorhersehbarkeit wahrscheinlich unsäglich langweilen würde.
«Steckt hinter dieser zielgerichteten Oberfläche auch noch ein bisschen Lebenserfahrung? », würden wir uns fragen, wenn vor uns die Details des Weges ausgebreitet würden, den sich viele Eltern für ihre Kinder wünschen. Grundschule – Gymnasium – Matur – ein bisschen Ausland – Praktikum – Studium – nicht prekäre, unbefristete Arbeit – monogame Langzeitbeziehung – zwei Kinder (Junge, Mädchen). Nun ist gegen diesen Weg mit seinen entsprechenden Stationen nichts einzuwenden. Warum er allerdings der Beste sein sollte, bleibt fragwürdig, insbesondere wenn man dem Gedanken Raum gibt, dass die Anzahl der möglichen Probleme mehr oder weniger gleich bleiben könnte. In diesem Fall wäre ein solcher Lebenslauf nicht Ausdruck von geringer Problembelastung, sondern ein Schattenriss dessen, was im Argen liegt. Gerade weil wir mehr Lebenserfahrung als unsere Kinder haben, müssten wir doch wissen, dass unzählige Wege nach Rom führen – wenn man überhaupt nach Rom will. Als Erwachsene verfügen wir über einzigartige Individuallebensläufe. Wir haben die Schule geschmissen oder Abschlüsse gemacht, studiert oder abgebrochen. Wir haben Männer und/oder Frauen geliebt, verletzt, begehrt und zurückgewiesen. Wir haben Jobs verloren und aufgegabelt. Wir haben vieles richtig gemacht und fast genauso viel verbockt. Aber für unsere Kinder soll es bitteschön die Otto-Normal-Blaupause sein. Das kann doch nicht nur an unserem Wunsch liegen, sie zu beschützen.
Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, was der Schriftsteller Joseph Conrad einen Vater denken lässt, der ganz genaue Vorstellungen darüber hat, was für seine Tochter das Beste ist und wie es umzusetzen wäre: «Ihre Triumphe mit anzusehen, würde ihn selbst wieder jung machen.» Vielleicht juckt es uns einfach in den Fingern, in und mit unseren Kindern einen zweiten Versuch zu wagen, eine Neuauflage unserer eigenen Biografie. Nun wissen wir ja, worauf es ankommt: dranbleiben, nicht nachlassen, exzellente Ausbildung, Treue und Verantwortlichkeit. Wenn der Junge oder das Mädel sich also ein bisschen mehr Mühe geben würde, könnten er oder sie es zu etwas bringen.
Aber zu was eigentlich? Zu einer verbesserten Ausgabe unserer selbst? Zu Beziehungsunfähigkeit plus saftiger Midlifecrisis, weil nur der gerade Weg in den elterlichen Augen für gut befunden wird? Unsere Kinder werden Fehler machen. Manche von ihnen werden sich für uns grausam vermeidbar anfühlen, weil sie ganz genau so aussehen wie unsere eigenen: Auf den falschen Kerl oder das falsche Weib reinfallen. In den Mitzwanzigern Zeit in Sackgassen verschwenden. Dinge fallen lassen, die man wertschätzen sollte. Und Wunden, immer wieder Wunden.
So ist das Leben. Nicht nur Ihres und meins, sondern auch das unserer Kinder.