Reisen
Wanderferien mit Buggy der Küste entlang
Von Karina Scholz
Wo früher die Grenzschützer patrouillierten, können Familien heute wandernd mit Kinderwagen die Landschaft erkunden. Eine Reportage vom Gendarmenpfad zwischen Deutschland und Dänemark.
Eine echte Piratenschaukel ! », ruft Milla unvermittelt. Ich sehe nichts. Meine Gedanken kreisen darum, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Der Strand ist menschenleer. Da sehe ich es: Ein Tau mit einer Schlinge hängt von einem Baum herab. Meine eben noch erschöpfte Tochter sprintet auf den Baum zu, juchzt vor Freude und schmeisst ihren Rucksack ab, um die Schaukel zu testen.
Wir wandern auf dem Gendarmenpfad, einem 84 Kilometer langen Wanderweg in Dänemark entlang der Grenze zu Deutschland. Bis 1958 liefen hier dänische Grenzgendarmen Streife, um Ausschau nach Schmugglern zu halten, die ihre Waren über die Flensburger Förde ins Land bringen wollten. Heute trägt die einstige Route der Kontrolleure den Titel europäischer Qualitätswanderweg.
Unterwegs blinzeln wir in Richtung Horizont und stellen uns vor, wie die Gendarmen ein illegales Boot erspähten. Mal führt der Weg über Felder, wir hören das Korn in der Mittagssonne knistern; mal rauschen die Bäume des Küstenwaldes über uns. An den Ochseninseln liegt der Duft frittierter Pommes in der Luft, das Wasser riecht nach Algen. Ab und zu durchqueren wir ein Wohngebiet und sehen kunstvoll angelegte Gärten voller Rosen und Lavendel.
Sehnsucht nach Wandern und Zelten
Der Gendarmenpfad ist leicht zu gehen und hält dennoch Unwägbarkeiten bereit, wie bei unserem heutigen Abschnitt: Der Strand ist zu steinig, um einen Kinderwagen zu schieben. Mein Mann muss mit Ronja, 1, einen Umweg fahren. Milla, 7, und ich sind allein unterwegs. Wir treffen uns bei dem Bed & Breakfast wieder, das wir für heute gebucht haben. Vorausgesetzt, Milla und ich finden dorthin. Fürs Erste sieht es so aus, als ob ich sie von dieser Schaukel nicht mehr wegbekomme. Immer noch jauchzend schwingt sie über die kleinen Wellen der Förde.
Die Idee zu diesem Urlaub kam durch einen für Eltern recht egoistischen Gedanken zustande. «Ich möchte mal wieder wie früher wandern gehen, mit zelten und richtig Kilometer machen, nicht nur spazieren gehen», hatte ich zu meinem Mann gesagt. Ich dachte an irgendwann, in zehn Jahren. «Ich weiss da was», meinte er. Er schlug den Gendarmenpfad vor, in diesem Sommer. Ich war skeptisch. Wie sollten wir das schaffen – mit zwei kleinen Kindern und all dem Gepäck?
Ein paar Wochen später packen wir unsere Rucksäcke in dem weissen Dachzimmer unserer Gastgeberin Else im Örtchen Kollund noch einmal komplett aus. Wir haben viel zu viel Zeug dabei. Schweren Herzens sortieren wir die warmen Fleecejacken und Ronjas Schlafsack aus. Die Regenjacken werden uns schon warmhalten, Ronja und Mama können sich einen Schlafsack teilen.
Am nächsten Morgen gehen wir tatsächlich los: mit zwei Wanderrucksäcken, einem ziemlich überladenen Sportbuggy, der neben Ronja zwei Zelte, einen Sturmkocher und Proviant enthält – und einer aufgekratzten Siebenjährigen, die noch nicht ahnt, wie zäh sich 13 Kilometer anfühlen können.
Der Kinderwagen knarzt in den Kurven. «Unser neuer Campervan», scherzt mein Mann. Ronja hat wenig Platz für ihre Beine, vor ihren Füssen ist ein Zelt festgeschnallt. Wanderer, «Tagesziel erreicht: Wir sind satt, haben einen trockenen Schlafplatz, warme Kleidung. Was sollte uns noch fehlen?» die uns entgegenkommen, ziehen die Augenbrauen hoch. Ronja lässt die Landschaft an sich vorbeiziehen, bis ihr vom wohligen Geruckel die Augen zufallen. Milla findet Muscheln und Steine am Wegesrand, läuft auf jeden Steg hinaus.
Geschichten für die Motivation
Ich lese aus dem Reiseführer vor. Wir halten Ausschau nach alten Ziegelsteinen, die in vorindustrieller Zeit hier produziert wurden und deren Bruchstücke man noch heute aufsammeln kann. Milla freut sich, dass im Küstengebiet ein echter Seeräuber gelebt hat. Der berühmte Alf wurde 1298 gefangen und gehängt, sein Schatz wurde nie gefunden. In den Pausen kaufen wir Eis oder essen Gemüse, belegte Brote und Müsliriegel. Mit Fantasie wird aus einer halb geschälten Salatgurke ein «Gurken-Eis», das Milla ihre schweren Beine vergessen lässt.
Hat sie mitten auf der Strecke einen Durchhänger, kommt uns Zauberei zu Hilfe. « Soll ich noch was von Harry Potter erzählen ?», brauche ich nur zu fragen und für die nächsten fünf Kilometer gibt es keine anderen Gesprächsthemen als Gleis 9 ¾, Hermines Zeitumkehr-Medaillon und andere Details aus dem für Milla sonst unbekannten Epos.
Dann kommt die Nacht, die wir in einer Schutzhütte verbringen wollen. Eine Alternative gibt es auf diesem Abschnitt mitten in der Natur nicht. Wir haben Nudeln mit Sosse zum Abendessen und Pfannkuchen zum Frühstück eingeplant. Hoffentlich werden wir auch Trinkwasser finden, denn das geht uns gerade zur Neige. Auf dem Weg zur Hütte müssen wir uns das erste Mal trennen, da der Abschnitt zu schlammig für den Kinderwagen ist.
«Kein Problem », sage ich zu Milla, «wir treffen Papa und Ronja bald wieder. » Stunden später stellt sich heraus, dass ich bei Punkt 9 b auf der Wanderkarte bin, mein Mann dagegen bei Punkt 9 a auf uns wartet. « An dieser Hütte ist ein Trinkwasser-Anschluss », rufe ich ins Handy. Mein Argument punktet. Mein Mann nimmt abermals einen Umweg in Kauf, um unser bereits erobertes Nachtlager zu erreichen. Kaum angekommen, geht er zum Strand, um sich im eiskalten Wasser der Förde zu waschen. Nach ihm sticht eine junge Mutter mit Stand-up-Paddle-Board in See, am Ufer parkt ihr Bulli mit Freund und Baby. Bis zum Einbruch der Nacht kommen Wanderer an, die ihre Zelte aufbauen.
Nichts, was fehlt
An diesem Abend sind eigentlich zu viele Mücken in der Luft. Ronja ist quengelig, will nicht einschlafen. Später beginnt es zu regnen, mit der Dunkelheit zieht Kälte auf. In den Beinen spüren wir die gelaufenen Kilometer. Trotzdem breitet sich eine wohlige Zufriedenheit in uns aus: Wir haben unser Tagesziel erreicht. Wir sind satt, haben einen trockenen Schlafplatz, warme Kleidung. Was sollte uns noch fehlen ?
Wer den Gendarmenpfad wandern möchte, findet alle nötigen Informationen auf gendarmsti.dk/de. Hier ist die Route in fünf Etappen erklärt, es gibt eine Wanderkarte und Tipps für Übernachtungen, von Camping bis zu Pensionen und Hotels. Die Tourist-Info in Sønderborg verkauft einen Reiseführer, der 74 Kilometer der Strecke ausführlich beschreibt und Hintergründe zu Geschichte, Natur und Kultur erklärt. Padborg ist als Start gut mit Auto oder Bahn zu erreichen. Auf der Strecke verkehren Buslinien des dänischen Anbieters Sydtrafik. Auch ein Auto-Transfer von Padborg nach Skovby (Ziel) wird verlinkt. Ein Highlight ist ein Besuch der alten Ziegelei Cathrinesminde, heute ein Museum. (Adresse: Illerstrandvej 7, Broager). Erwachsene und Kinder können gleichermassen Neues lernen, zum Beispiel, wie Ziegel per Hand hergestellt wurden oder wie Arbeiterfamilien im 19. Jahrhundert lebten. Auch Schloss Sønderborg ist eine Besichtigung wert und schon für Schulkinder geeignet. → gendarmsti.dk/de
Ein Liter Kuhmilch und eine beschichtete Pfanne wären nicht schlecht, wie sich am Morgen herausstellt. Der Pfannkuchenteig ist mit Hafermilch angerührt, der einzig haltbaren Milchvariante, die wir unterwegs auftreiben konnten. Er backt im Sturmkocher zu kleinen, halbgaren Klumpen zusammen. Aber die Klumpen schmecken süss, also essen die Kinder sie gerne. Interessanter ist, dass man beim nächsten Aussichtspunkt die Chance hat, Schweinswale zu sehen. Also nichts wie los.
Womit wir bei besagter Piratenschaukel vom Anfang des Textes wären. Als ich Milla überzeugt habe, dass es Zeit zum Weitergehen ist, fällt uns in der Uferböschung eine morsche Holztreppe auf. Das könnte die Abkürzung sein, auf die wir gewartet haben. Die steile Treppe führt offenbar zur Strasse. Vorsichtig klettern wir Stufe für Stufe hinauf.
Wie durch ein Wunder hält die Treppe. Als wir die Strasse erreichen, durchströmt uns ein Glücksgefühl. Milla hat sofort neue Energie, ihr Papa kann nicht mehr weit sein. Wir hatten uns ein zweites Mal getrennt, weil der Weg nicht kinderwagentauglich war. Nach ein paar hundert Metern steht er in einer Einfahrt. Auf dem rechten Arm trägt er Ronja, in der linken Hand hält er ein Bier, das er hochhebt, um uns zu grüssen.
Tiere und eine Busfahrt
Unser Gastgeber Peter betreibt eine Mikrobrauerei mit eigenem Bier-Shop. Daneben führt er einen Onlinehandel für Brauereizubehör und hat eine Familie mit sechs Töchtern, wie wir bei der Begrüssung erfahren. Es dauert nicht lange und Milla ist mit den Mädchen des Hauses verschwunden, um Kaninchen und einen Leguan zu streicheln. Auf der Veranda des Hauses steht ein riesiger Swimmingpool in Form eines Flamingos.
Am nächsten Morgen unternehmen wir die von Milla heiss ersehnte Busfahrt. Wir bleiben spontan eine zweite Nacht bei Peter, obwohl sein B & B ausgebucht ist. In einem Lagerraum richtet er uns ein Matratzenlager her, das Ronja und mir den besten Schlaf der Woche beschert.
Rundweg Engelstock (SZ)
Rigi, Lauerzer- und Vierwaldstättersee vor Augen – die Rundwanderung um den Engelstock eignet sich perfekt für ein einfaches «Wander-Event» für die ganze Familie. Befahrbar mit Kinderwagen mit grossen Rädern, ca.2 Std. → sattel-hochstuckli.ch
Cauma- und Crestasee, Flims (GR)
Die einfache Wanderung von Flims Waldhaus nach Trin Mulin führt an zwei Bergseen vorbei: Caumaund Crestasee. Im türkisblauben Wasser lässt es sich wunderbar abkühlen. Kinderwagengängig 2 ½ Std. → wegwandern.ch
Alpenpanoramaweg Gantrisch (BE)
Der Gantrisch Panoramaweg bietet einen umwerfenden Rundblick vom Napf über die Innerschweizer Berge bis zu den 4000ern im Berner Oberland. Für Familien: Wanderungen und Themenwege wie der Gäggersteg oder der Grasburg-Naturerlebnispfad. 1 ½– 4 Stunden, bedingt kinderwagengängig. → gantrisch.ch
Viele weitere Tipps
→ kinderwanderwege.ch
→ wandersite.ch
In Sønderborg geht unsere Wanderung bei einem grossen Eis an der Hafenpromenade zu Ende. Unsere gelaufenen 68 Kilometer sind Nebensache. Ich bin glücklich über die Erkenntnis: Meine Wünsche muss ich nicht wegen der Kinder zurückstellen. Unsere Kinder sind so gut drauf, die machen einfach mit.