wir eltern:Das Projekt Teilzeitmann ist zehn Jahre alt, das Ziel der 20 Prozent Männer, die in Teilzeit arbeiten, ist nicht erreicht. Und auch der Vaterschaftsurlaub läuft nur zögerlich an. Sind Sie enttäuscht?
Markus Theunert: Beim Vaterschaftsurlaub braucht es Zeit, bis alle Väter ihr Recht kennen und es sich in Anspruch zu nehmen trauen. Und bis ins Jahr 2020 ist die Zahl der Teilzeit arbeitenden Männer auf 18,3 Prozent angestiegen. Das ist beachtlich. Aber um Ihre Frage direkt zu beantworten: Ja, manchmal bin ich enttäuscht, wie langsam alles geht und wie schwer sich Männer und Väter damit tun, sich von ihrer einseitigen Erwerbsorientierung zu lösen. Gleichzeitig ist das auch nichts als logisch. Die Botschaften, die auf Männer niederprasseln, sind dermassen widersprüchlich. Da dürfen wir uns über eine gewisse Orientierungslosigkeit und Verwirrung nicht wundern.
Die von Ihnen erwähnte Zahl bezieht sich auf Männer ohne Kinder und sinkt auf 12,7 Prozent bei Vätern mit Kindern unter 25 Jahren. Wie erklären Sie das?
«Ja, es ist irritierend, dass ausgerechnet bei den Vätern kleiner Kinder der Teilzeitanteil nochmals deutlich geringer ist als in der männlichen Bevölkerung insgesamt. Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei ihnen massiv auseinander. Denn wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Männer heute ein anderes Vaterbild leben wollen, als das ihre Vorväter gemacht haben. Sie wollen in der Familie präsent sein und einen nahen Bezug zu ihren Kindern haben. Bloss: Dieses Leitbild ersetzt keineswegs die traditionelle Vorstellung des Familienvaters als leistungsstarken Ernährer. Vielmehr kommt diese Anforderung einfach noch obendrauf. Dass diese beiden Anforderungen überhaupt nicht zusammenpassen, wird geflissentlich übersehen.
Also wird von den Vätern zu viel verlangt?
Ich finde schon. Das Resultat ist dieselbe Doppelbelastung, unter der Frauen schon viel länger leiden. Konkret: Väter haben in den letzten 20 Jahren ihr wöchentliches Engagement in der Familie um 10 Wochenstunden erhöht, ohne entsprechende Entlastung in der Erwerbsarbeit gefunden zu haben. Die Zeit fehlt dann bei der Erholung, dem Sozialen, den Hobbys. Das ist auf lange Dauer nicht grad gesundheitsfördernd.
Ist das ein Problem der Arbeitgeber oder der Politik?
Beides. Aber ich sehe mehr Bemühen seitens Arbeitgeber, Vereinbarkeitsfragen von Vätern ernst zu nehmen. Doch die Schweizer Gleichstellungspolitik blendet die Gleichstellung in der Familie und Care-Arbeit nach wie vor weitgehend aus.
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Patric Sandri
Gleichberechtigung
Väter, seid ihr in der Ernährerrolle wirklich glücklich?
Welche Rolle spielen die Frauen? Wollen sie überhaupt finanzielle Verantwortung übernehmen und dem Mann Anteile an Kindererziehung und Haushalt überlassen?
Es gibt einen Teil von Müttern, die Kinderbetreuung und Hausarbeit als ihre Domäne sehen und verteidigen. «Maternal gatekeeping» heisst der Fachausdruck dafür. Dann haben Väter kaum eine Chance, halbwegs vergleichbar kompetent zu werden in Betreuungs- und Erziehungsfragen. Aber: Das ist eine Minderheit. Die meisten Mütter – und vor allem auch die gut ausgebildeten Mütter, auf die der Arbeitsmarkt so begehrlich blickt – sind noch so froh, wenn der Mann ernst macht mit Gleichstellung und mehr Verantwortung für Familie und Kinder übernimmt. Ganz viele erbringen den Tatbeweis.
Und trotzdem bleibt ein grosser Teil der Hausarbeit und Kinderbetreuung an den Frauen hängen.
Ja, wenn man genau anschaut, was Männer zu Hause leisten, bleibt das Bild erstaunlich traditionell: Spielen mit dem Kind tun beide Eltern etwa gleich viel. Putzen, Einkaufen, Waschen oder auch das Daheimbleiben, wenn das Kind krank ist, ist Sache der Frauen. Ganz zu schweigen vom «Mental Load», das An-alles-Denken-Müssen. Viele Männer bleiben in der Rolle der Ausführenden und überlassen das Management immer noch gern ihren Frauen.
Was ist zu tun?
Ich empfehle allen Frauen, die das ändern wollen, nicht einzelne Aufgaben, sondern ganze Verantwortungsbereiche abzutreten. Das macht die Sache für Männer attraktiver, wenn sie in diesem Bereich ihre eigene Herangehensweise entwickeln können. Das bedingt aber natürlich schon, dass die Frau diese Verantwortung wirklich abgibt – und auch damit leben kann, wenn er anders an die Sache herangeht, als sie das gewohnt ist.
Was muss sich gesellschaftlich ändern?
Wir sind auf dem Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Politisch sind Individualbesteuerung, Elternzeit und bezahlbare Krippenplätze die grossen Baustellen. Gesellschaftlich braucht es meines Erachtens mehr Ehrlichkeit und Pragmatismus: Lieber kleine Schritte tatsächlich gehen, als hehre Egalitätsideale aufzustellen, an denen man in der Praxis nur scheitern kann. Die Umsetzung des Verfassungsziels «tatsächliche Gleichstellung in allen Lebensbereichen» ist kein Selbstläufer.
Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Er lebt mit seiner Familie in Zürich und teilt sich die Kinderbetreuung mit seiner Frau.