
DEEPOL by plainpicture/Lina Arvidsson
Vaterwerden
Vom Mann zum Vater: Vier Väter erzählen
Wie erleben Männer den Übergang zur Vaterschaft? Vier Väter erzählen aus dieser Hochrisikophase. Es sind Geschichten von Vorfreude, Orientierungslosigkeit, Überforderung und Gewissensbissen.
Jeder Mann erlebt das Vaterwerden anders. Hier berichten vier Väter aus der Schweiz von Umbrucherschütterungen in verschiedenen Schweregraden.
- Guido braucht Freiräume
- Nicolas hat Selbstzweifel
- Marcel greift zum Alkohol
- Sven geht fremd
- Hier bekommen Väter Unterstützung
Guido braucht Freiräume
Guido, 2 Kinder (5 und 3 Jahre alt) erzählt: «Für mich war immer klar, dass ich Vater werden möchte, denn ich selbst hatte eine sehr schöne Kindheit. Bis zur Familiengründung genoss ich viele Freiheiten und plante alles kurzfristig. Auch die Entscheidung für das erste Kind kam bei mir spontan, ohne zu überlegen, was zu einem Familienleben alles dazu gehört.
Bis zur Geburt des ersten Kindes hatte ich – im Gegensatz zu meiner Frau – nie mit Kleinkindern zu tun. Sie ist Kindergärtnerin. Bei den Vorbereitungen habe ich mich zwar engagiert, aber eher bei der Wahl des Autos, beim Zusammenbauen des Bettes und der Planung unserer finanziellen Möglichkeiten. Zu diesem Zeitpunkt war das reale Familienleben noch weit weg.
In der ersten Phase des Vaterseins übernahm ich rasch die Rolle des Teilzeit-Hausmannes, Einkäufers und Kinderwagen-Spaziergängers. Das passte. Die anstrengende Zeit begann, als unser Sohn 6 Monate alt war und weniger schlief. Da ich einen leichten Schlaf habe, erwachte ich bei jeder seiner Bewegungen im Beistellbettchen, tagsüber war ich oft müde, abends fehlte die Erholung. Da ich selbst in einer 4-köpfigen-Familie aufwuchs, war für mich klar, dass wir noch ein zweites Kind wollten. Ich war vielleicht etwas naiv, aber ich dachte: Zwei sind doch nicht viel anders als eines…
Weit gefehlt. Jetzt kam die mit Abstand grösste Herausforderung für mich. Vor allem, wenn ich Kollegen sah, die alles mit scheinbarer Leichtigkeit bewältigten. Für mich war der vermeintlich ‹arbeitsfreie› Montag allein mit den Kindern sehr mühsam: ohne Pause, immer beschäftigt, keine Minute für mich und ein Grossteil des Tages auf den Knien. Seither habe ich grösste Hochachtung vor jeder Mutter und jedem Vater, die täglich für die Kinder da sein ‹müssen›.
Wir haben mittlerweile gelernt, dass ich ein besserer Vater bin, wenn ich von Zeit zu Zeit Freiraum für mich habe und komplett abschalten kann. Mit Ausblick auf persönliche Pausen kann ich mich auf die gemeinsame Zeit freuen. Zum Glück habe ich eine Frau, die das versteht. Zudem können wir jetzt alle zusammen wandern, Ski fahren und biken. Bis in ein paar Monaten Kind Nr. 3 zur Welt kommt… Aber ich freue mich.»
Nicolas hat Selbstzweifel
Nicolas (36), 1 Kind (5) erzählt: «Die Zeit mit meiner Frau während der Schwangerschaft fühlte sich magisch an. Der Gedanke, dass wir bald zu dritt sein würden, war schön. Was das konkret heisst, konnte ich mir nicht vorstellen. Der Geburtsvorbereitungskurs war eher eine theoretische Aufklärung darüber, wie der Geburtsprozess abläuft. Es nahmen zwar viele Männer teil, aber wir waren nicht wirklich Thema. Ich war wohl nicht der einzige mit Fragen oder Befürchtungen, was alles passieren kann während der Geburt.
Da ich in meinem Freundeskreis als erster Vater wurde, hatte ich niemanden, mit dem ich mich austauschen konnte. Ich probierte es bei meinen Eltern – das war ein Reinfall. Ich fühlte mich nicht ernst genommen. Sie pflegten ein anderes Rollenmodell, als wir es vorhatten. Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater arbeitete Vollzeit. Ich hingegen wollte mein Pensum auf 80 Prozent reduzieren und einen Vatertag haben. Ich hatte eine sehr romantische Vorstellung vom Elternsein.
Nach der Geburt konnten wir im Geburtshaus bleiben, die Pflegefachfrauen und Hebammen unterstützten uns kompetent und freundlich. Meine Frau lernte, richtig zu stillen, und wir machten unsere ersten Erfahrungen mit dem Wickeln. Das Kind war aber 7/24 bei meiner Frau. Ich kam mir sehr überflüssig vor. Klar konnte ich zu Hause kochen, einkaufen, putzen oder Windeln wechseln. Wenn das Kind aber weinte, schaffte ich es fast nie, es zu beruhigen, ich musste es immer meiner Frau geben.
Da stellte ich mich schon infrage. Wie soll ich ein guter Vater sein, wenn ich es nicht einmal zustande bringe, meinen Sohn zu beruhigen? Was heisst das für meinen Papitag nach dem Mutterschutz? Weint mein Sohn dann die ganze Zeit? Werde ich hilflos und mit den Nerven am Ende sein? Werde ich weinen oder ihn anschreien? Die Überforderungsgefühle lösten in mir Ohnmacht und Wut aus. Die Tage und Wochen vergingen. Eine fixe Tagesstruktur war inexistent.
Unser Dasein bestand aus Schlafen, Essen, Wickeln – die Haushaltung stand fast still. Durch den wochenlangen Schlafmangel war ich sehr dünnhäutig, habe das Weinen meines Sohnes manchmal nicht ausgehalten. Ich schlief fortan in einem anderen Zimmer oder ging allein spazieren, um herunterzufahren, bevor ich austickte. Ich funktionierte einfach.
Meine sonstigen sozialen Kontakte waren auf ein Minimum reduziert. Mir fehlte die Kraft dazu. Ich fühlte mich allein und hatte neben meiner Frau niemanden, mit dem ich mich über väterliche Fragen und Probleme austauschen konnte. Wenn ich bei meinen Eltern nachfragte, kam die standardisierte Antwort: ‹Das ist normal, das geht vorbei!›. Ich fühlte mich danach meistens noch frustrierter.
Es war ein anstrengender Lernprozess für uns als Familie. Zum Glück fanden meine Frau und ich immer wieder eine Lösung.»
Marcel greift zum Alkohol
Marcel* (48), drei Kinder (10, 7 , 4) erzählt: «Bei allen drei Kindern war für mich klar, dass ich ein guter und liebevoller Vater sein wollte. Meine Ex-Frau und ich haben uns gut vorbereitet. Leider war ich während der Schwangerschaft in einer anstrengenden Weiterbildung und verlor zudem innerhalb kurzer Zeit zweimal meine Stelle.
Trotz Stress liebte ich es sehr, Vater zu sein. Da ich im Herzen selbst ein Kind geblieben bin, fiel es mir leicht, mich um unseren Sohn zu kümmern. Ich versuchte, ihm Liebe und Geborgenheit zu geben. Meine Ex-Frau ging in ihrer Rolle als Mutter voll auf und übernahm viel Verantwortung. Neben der Erziehung unseres Sohnes hat sie auch mich begleitet und unglaublich viel hingenommen.
Denn bei mir wurde vor vielen Jahren eine Bipolare Störung und ADHS diagnostiziert. Ich weiss nicht, ob meine psychischen Schwierigkeiten zum Absturz beitrugen. Jedenfalls begann ich abends immer regelmässiger einen halben Liter Weisswein zu trinken. Trotz dieser labilen und schwierigen Phase wünschte sich meine Ex-Frau ein zweites Kind. Grundsätzlich teilte ich diesen Wunsch, spürte aber, dass ich mit mir nicht im Reinen war. Ich konnte nur noch funktionieren.
Die Probleme verdrängte ich mit Alkohol, sexuell zog ich mich zurück. Doch als ich für einen Moment nachgab, entstand mein jüngerer Sohn. Noch während der Schwangerschaft besuchten meine Ex-Frau und ich einen Paartherapeuten. Ich wünschte, wir hätten dies früher getan. Denn es ging bald nicht mehr darum, unsere Beziehung zu retten, sondern darum, gemeinsam einen Weg für die Trennung zu finden.
Ich bezog eine kleine Einzimmerwohnung mit Einbauküche. Schon vor der Trennung lernte ich eine neue Frau kennen. Mit ihr habe ich heute eine 4-jährige Tochter. Wie im Alkohol, suchte ich auch in dieser Beziehung nach Liebe, Anerkennung und Geborgenheit. Wohl um das tiefe Loch in mir zu füllen. Auch diese Beziehung zerbrach.
Was folgte, waren zwei Jahre Kampf gegen einen Gegner, den ich nicht bezwingen konnte: die Alkoholsucht. Ich war leer, voller Selbstmitleid und Schuldgefühle, ich vermisste meine Kinder schrecklich und fiel in eine tiefe Depression. Dank einer professionellen Suchttherapie im Casa Fidelio und der Selbsthilfegruppe Narcotics Anonymus habe ich es geschafft, heute ohne Substanzkonsum zu leben. Das Casa Fidelio begleitet suchtkranke Männer bei der Integration zurück in die Gesellschaft. Weitere Meilensteine meiner Genesung waren Gespräche mit einem Therapeuten und die regelmässige Gruppentherapie mit den Mitbewohnern.
Zurzeit befinde ich mich in der Psychiatrie, in der Abteilung Angststörungen und Depressionen. Vor fünf Monaten starb mein jüngerer Sohn an seiner angeborenen, schweren Erkrankung. Bei meiner Tochter wurde kürzlich eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Die wiederkehrenden suizidalen Gedanken von der Mutter meines älteren Sohnes und die zeitweise Überforderung der Mutter von meiner Tochter haben mich in den letzten Monaten als Vater erneut unglaublich gefordert.»
**Name von der Redaktion geändert*
Sven geht fremd
Sven* (45), 1 Kind (6) erzählt:
«Als Sozialarbeiter und reflektierter Mann fühlte ich mich eigentlich gut vorbereitet auf das Familiendasein: Ich las Bücher zur Vereinbarkeit und dachte, wer nicht gut in die Vaterschaft startet, ist einfach zu doof, sich rechtzeitig damit auseinanderzusetzen. Dennoch erwischte es mich auf dem falschen Fuss. Die Kindsmutter kannte ich noch nicht lange, als sie schwanger wurde. Klar war für uns, dass wir das Fair-Share-Modell wollten: Beide sollten gleich viel Zeit in Familien- und Erwerbsarbeit investieren. Ich mochte auf keinen Fall die traditionelle Rolle des Ernährers einnehmen.
Dennoch geriet ich von allen Seiten unter Druck. Finanziell wurde es eng und ich hatte Angst, ob ich als Vater genüge. Dann war da die Sorge, meine Autonomie zu verlieren. Ich führte bis anhin ein städtisches und unabhängiges Leben, machte, was ich wollte. Dann zog meine schwangere Partnerin in meine Dreizimmerwohnung, die ich zuvor allein bewohnt hatte. Plötzlich gab es keinen Rückzugsort mehr, keine Zeit und keinen Raum, wo ich auftanken konnte. Die Verlangsamung, die ich um die Geburt herum genossen hatte, stand auf einmal als einzige Perspektive vor mir. Ich hatte das Gefühl, mein Leben sei zu Ende und ich würde nie mehr tun können, was ich will. Ich spürte eine Lebensschwere, die sich vor allem in Gereiztheit und Aggressivität äusserte.
So guckte ich plötzlich am liebsten Actionfilme und las rebellische Literatur. Ich hatte das Bedürfnis nach einer Gegenwelt. Das ist ja an sich harmlos. Aber ich fing auch an, zu viel zu trinken und suchte Sex ausser Haus. Schon während der Schwangerschaft. Ich verfügte ja noch über Kontakte zu Affären aus meiner Zeit als Single und hatte einfach den Drang, einen Teil meines Junggesellen-Lebens weiterzuführen.
Sex und Kuschelnest zu Hause brachte ich nicht zusammen. Gleichzeitig ertrug sich das überhaupt nicht mit meinem Selbstbild. Ich finde ja selber, dass ein Vater, der seine schwangere Frau betrügt, ein Superarschloch ist. Man ist recht allein als betrügender Mann und es ist schwierig, mit dem schlechten Gewissen und dem Selbsthass umzugehen.
Meine Partnerin und ich hatten das Thema Sex ausgeklammert, sprachen nicht darüber und machten keine Abmachungen. Ich dachte, sie würde schon sagen, wenn sie klare Vorstellungen von Treue hat. Sie war der Ansicht, dass monogame Beziehungen die Norm seien und alles andere von mir angesprochen werden müsste. Als unsere Tochter eineinhalb Jahre alt war, kamen die Seitensprünge auf den Tisch. Für meine Partnerin war es traumatisch, wir gingen emotional durch die Hölle.
Mit einer vorübergehenden Trennung, Gesprächen mit Freunden, einer Paartherapie und Vertrauensaufbau fanden wir wieder zueinander. Den Preis bezahle ich bis heute mit Nulltoleranz, was Kontakte ausserhalb der Beziehung betrifft. Aber wir schafften es, das zerrissene Seil zwischen uns wieder zu verknüpfen: Der Knopf bleibt sicht- und spürbar – hält jetzt aber besonders gut.»
**Name von der Redaktion geändert*
Hier bekommen Väter Unterstützung
Väter in der Krise suchen selten Unterstützung. Dabei gibt es durchaus Anlaufstellen für Männer. Zum Beispiel diese hier:
Männer.ch
männer.ch ist der Dachverband Schweizer Männer- & Väterorganisationen. Dieser bietet kostenlose Erstberatungen an und verweist in zahlreichen Links auf alle regionalen Beratungsstellen. ➺ männer.ch
Väter- und Mütterberatung
Der Schweizerische Fachverband für Mütterund Väterberatung verweist unter ➺ sf-mvb.ch > Für Eltern auf alle regionalen Mütter- und Väterberatungsstellen, bei welchen Eltern niederschwellig und schnell Hilfe finden.
Elternnotruf
Der Elternnotruf berät Väter und Mütter auch bei «kleinen» Problemen 24/7. Unter 0848 35 45 55, per Mail oder Face-to-Face. ➺ elternnotruf.ch > Angebot
Kriseninterventionszentren (KIZ)
Fast jeder Kanton verfügt über ein oder mehrere Kriseninterventionszentren, die rund um die Uhr niederschwellig Hilfe anbieten.
Pro Juventute
Unter ➺ projuventute.ch > Elternberatung finden Väter rund um die Uhr schnell, unkompliziert und kostenlos Ansprechpersonen. 058 261 61 61, elternberatung@projuventute.ch.
Casa Fidelio
Das Casa Fidelio unterstützt und begleitet suchtkranke Männer und ist die einzige, rein männerspezifische Institution in der Deutschschweiz. Casa Fidelio, Niederbuchsiten (SO), 062 389 88 77, ➺ casafidelio.ch
Postpartale Depression Schweiz
Der Verein Postpartale Depression Schweiz bietet zahlreiche Infos, Tipps und Therapeut* innen-Listen und setzt sich dafür ein, dass betroffene Mütter und Väter rasch die richtige Hilfe finden. ➺ postpartale-depression.ch
Paarlife
Paarlife hilft dank Paartherapie und Workshops mit, die Partnerschaft zu stärken. ➺ paarlife.ch