Kultur / Theater
Vom Lied zur fertigen Produktion
Von Jörg Rüdiger – MärliMusicalTheater

Michael Sieber





Alles beginnt mit einer ersten Liedkomposition…
Es ist Mitte Oktober 2014, gerade ist die Premiere des MärliMusicals «Ladina und d Plunderlampe» aufgeführt worden – unter grossem Applaus des Publikums. Am Premiere-Essen singt Andrew Bond seine soeben entstandene Liedkomposition «Chumm, ich nimm dich a de Hand» vor. «Das Lied», so der Liedermacher, «soll die Titelmelodie eines neuen Traummusicals werden». So mal die Idee. Spätestens nach dem zweiten Refrain stimmen alle mit ein, die Vorfreude unter allen Beteiligten ist spürbar.
Wenn man die Qual der Wahl hat…
Anfang November schweben noch immer drei verschiedene Musicalideen für die nächste Spielsaison im Raum – oder besser in Andrews Kopf – herum. Andrew skizziert für sein Kernteam die drei möglichen Musicalstorys etwas genauer und erläutert dazugehörende Themen und Elemente.
Der Entscheid fällt
Im Dezember ist es dann soweit: Der Entscheid fällt, das Stück wird irisch inspiriert sein, in eine Traumwelt führen und wahrscheinlich «Tom Träumer» heissen.
An die Arbeit…
Einige Tage nach der Weihnachtspause beginnt die gedankliche und musikalische Ideenfindungsphase. Andrew wälzt mögliche Handlungsstränge, Figuren, Pointen und Themen. Tage- und nächtelang drehen sich Szenen in seinem Kopf, seitenweise verfasst er handschriftliche Notizen. Die Betonung liegt dabei auf: Notizen mit Bleistift, denn noch ist nichts definitiv, alles kann und darf wieder ausradiert werden.
Das Stück vor Augen
Langsam aber sicher kristallisieren sich die einzelnen Inhalte heraus, oder wie es Andrew es ausdrückt: «Ab einem gewissen Moment sehe ich das gesamte Stück direkt vor Augen.» Im Februar 2015 schreibt er in einer Intensiv-Schreibwoche in Nordengland die Szenen, verfasst die Liedtexte und komponiert die Melodien. Die Charaktere werden beschrieben, das Farbkonzept wird bestimmt und das Bühnenbild skizziert. Dabei spielt parallel auch immer die Durchführbarkeit bzw. Machbarkeit eine wichtige Rolle.
«Wow!»
Wieder zurück in der Schweiz stellt Andrew seinem Kreativteam das Stück. Diskutiert wird im Vergleich zu den früheren Jahren dieses Mal sehr wenig, denn bereits zu diesem frühen Zeitpunkt macht sich im Team schnell das Gefühl breit, dass hier fast alles fast perfekt zusammen passt. Oder wie es Thomas Lüdi, Geschäftsführer des MärliMusical-Theaters und Regisseur spontan formulierte: «Wow, das wird einfach genial!»
Musik liegt in der Luft
In den Monaten März und April entstehen Kostüme, Bühnenbild und gewisse Requisiten. Noch während der laufenden Tournee von «Ladina und d Plunderlampe» erhalten die Schauspieler vor einem Auftritt im Volkshaus Zürich die Kostüme im Garderobengang zur Anprobe. Das neue Skript wird an die Schauspieler. Gleichzeitig nimmt Andrew die Musik auf, das meiste davon spielt er selbst ein.
Der offizielle Startschuss fällt…
Kaum ist der letzte Vorhang von «Ladina und d Plunderlampe» gefallen, kommt Anfang Mai das erweiterte Team zusammen, um Fotos zu schiessen und um gemeinsam den «Träumer-Faden» aufzunehmen. An diesem äusserst fröhlichen und entspannten Tag im Kikuri (KinderKulturRiich) in Wädenswil nehmen 26 Personen teil: sechs Schauspieler und Schauspielerinnen, Regisseur, Choreographin, Bühnenbildner, Kostümschneiderin, Grafiker und Grafikerin, Tourneeverantwortliche, PR-Team, Tourneetechniker, hauseigenes Frosh-TV-Team, Musiker (auf dem Gruppenfoto fehlen der Maskenbildner, einzelne Musiker und der Tontechniker). Ein gemeinsames Essen rundet den Tag ab und alle stossen auf die bevorstehende Traum-Zeit an.
Alles bereit für die Proben
Anfang August steht im Kikuri alles bereit: Die letzten Gastmusiker waren im Studio, die Songs sind gemischt. Die erste Probewoche startet und dient der Charakterfindung und der Bewegung und Choreographie. Dabei werden noch keine Dialoge geprobt. Es ist heiss in der Schweiz, die Woche äusserst intensiv und gewinnbringend.
Es folgen drei Wochen, in denen aus der Papierfassung ein echtes Stück entsteht. In dieser Phase profitieren alle gegenseitig vom hohen Mass an durchdachter Vorbereitung und professioneller Arbeitsweise. Und es macht trotz engagierter Diskussionen und temporären Meinungsverschiedenheiten vor allem extrem viel Spass! Am Ende dieser ersten Probephase stehen die Aufnahmen der Dialoge und Gesangsstimmen für die CD an. Wer als Zuschauer miterleben darf, wie die Schauspieler ihre Rollen vor den Mikrofonen spielen, kommt kaum aus dem Staunen und auch aus dem Lachen heraus.
Die Rollen sitzen
Während einer Probepause von drei Wochen im September festigen die Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Rollen und Choreographien selbstständig. Die letzten Anpassungen an Kostümen, Bühnenbild und Requisiten werden vorgenommen und vor allem werden sämtliche Drucksachen wie Programmheft oder Autogrammkarten hergestellt. Ein Maskenbildner instruiert an einem weiteren Fototag die Schauspieler, das definitive Gruppenbild wird aufgenommen. Der Vorverkauf zieht an, die gesamte PR- und Marketingarbeit läuft nun auf Hochtouren. Die Vorfreude ist mit Händen greifbar.
Endspurt
Nochmals knapp zwei Wochen wird in den nächsten Wochen im Kikuri geprobt. Am Stück wird (theoretisch!) nichts mehr geändert. Anschliessend bewegt sich das gesamte Team mit allem Material in der Kulturhalle Glärnisch in Wädenswil, um die letzte Probewoche auf einer richtigen Bühne und unter Einbezug von Licht- und Tontechnik zu absolvieren, was nochmals viele Stunden Programmier- und Feinarbeit bedeutet. Bühnenumbauten werden zentimetergenau orchestriert. Alles, alles, alles muss jetzt stimmen. Nun ist auch die Nervosität spürbar und mit Händen greifbar.
Ta-taaa!
Und dann… am Samstag, 17. Oktober um 14 Uhr erreicht die Spannung ihren Höhepunkt, wenn der erste Vorhang sich hebt und der erste Applaus ertönt für das neue MärliMusical «Tom Träumer».
Einer wird sich dann jedoch ganz entspannt zurücklehnen, denn seine Arbeit ist getan. Andrew Bond: «Was für ein Traumberuf: Geschichten, Charaktere und Lieder ersinnen, die dann von Profis umgesetzt werden. Okay, wenn ich gewusst hätte, was mit einem solchen Musical alles auf mich zukommt, hätte ich nie damit begonnen. Aber ich bin sehr froh, dass ich es nicht wusste.» In Gedanken ist er bereits beim neuen Stück, das in einem Jahr Premiere feiern wird.