Familie / Gesundheit
Viele Praxen sind übervoll
Von Anita Zulauf Fotos Fabian Unternährer
Kinderarztpraxen in der Schweiz verschwinden wie Fliegen an Frosttagen. «Ausser vielleicht in Genf besteht grundsätzlich überall eine Unterversorgung, je nach Regionen mehr oder weniger», sagt Heidi Zinggeler Fuhrer, Präsidentin vom Verband Kinderärzte Schweiz.
Und die Situation dürfte sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Jetzt schon arbeiten viele Ärzte über das Pensionsalter hinaus, weil es ihnen schwer fällt, ohne Nachfolgelösung aufzuhören. Wie Dieter Ambühl. Fast drei Jahre hat er intensiv gesucht. Dass er doch noch jemanden gefunden hat, ist auf seine Hartnäckigkeit zurückzuführen. Mit Gesprächen und schriftlichen Anfragen überzeugte er letztendlich seinen Wunschnachfolger CarstenSimon. Hätte Ambühl keinen Nachfolger gefunden, er hätte trotzdem Ende dieses Jahres aufgehört. Dann wären wohl diemeisten seiner Patienten ohne Kinderarzt dagestanden. Vor zehn Jahren noch hätte man einfach zum nächsten gewechselt. Doch das war mal. Heute ist das schier unmöglich. Der Kinderarzt des Vertrauens – er wird zur gefragten Rarität.
Eltern telefonieren sich oft die Finger wund auf der Suche nach einem Kinderarzt. Meist erfolglos. Terminkalender bestehender Praxen sind proppenvoll, viele haben längst einen Aufnahmestopp veranlasst. Noch die besten Chancen haben Familien mit Neugeborenen. Weil hier die Betreuung am Wichtigsten ist, halten viele Kinderärzte für Babys Plätze frei. Bei manchen besteht gar die Möglichkeit, sich bereits in der Schwangerschaft auf eine Warteliste setzen zu lassen. Ohne Gewähr. Wenn dann die Eltern mit dem Arzt nicht zufrieden sind, ist ein Wechsel meist unmöglich. «Ich nehme keine Patienten, die bereits einen Arzt haben. Ich mache es nicht besser als der Vorgänger», sagt etwa Verbandspräsidentin Heidi Zinggeler, selber Kinderärztin im Medizinischen Zentrum Chur. Zumal es erst mal Zeit brauche, sich bezüglich der Vorgeschichte des Patienten einen Überblick zu verschaffen, den der andere Arzt bereits hat.
Wirklich grosse Probleme haben Familien, wenn sie umziehen und deshalb einen neuen Arzt suchen müssen. Finden sie keinen, wäre der Hausarzt eine Idee – vorausgesetzt, es gibt noch freie Plätze, denn dort ist die Situation ähnlich prekär. Heidi Zinggeler Fuhrer sagt, dass der Hausarzt zwar eine Alternative sei. Aber: «Ideal wäre, wenn alle Kinder und Jugendlichen von einem Kinderarzt betreut werden könnten. Denn heute lernen viele Hausärzte während ihrer Ausbildung nicht mehr, mit Kindern umzugehen.» Zudem hätten sich die Ansprüche der Gesellschaft und die Aufgaben bei der Betreuung der Patienten verändert.
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